Felix Neureuther, der Österreicher liebster Deutscher und erfolgreichster Weltcup-Fahrer seiner Nation, sorgt für Wirbel in der heilen Skiwelt. Der Vater zweier Kinder plädiert für eine Verschiebung des Weltcup-Auftaktes. Ende Oktober sei es "zu früh", es sei eine Frage des Zeitgeists in Zeiten des Klimawandels, als Sport zu reagieren und voranzugehen. Nicht die einzige Änderung, die er anregt. Die Ski-Wirtschaft ist "not amused", speziell in Sölden. Dort, wo James Bond einst auf Film-Jagd ging, sieht man den Skisport eher als Retter der Gletscher, sagt Jakob "Jack" Falkner, Geschäftsführer der Bergbahnen, OK-Chef des Söldener Weltcups und Tourismuspionier. 

PRO von Ex-Weltcup-Star Felix Neureuther

Der Skiweltcup hat Vorbildfunktion. Die Gletscher schmelzen schnell wie nie zuvor. Und wenn sich der Sport nicht den Fakten stellt und  nachhaltiger wird, bekommt er ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Felix Neureuther
Felix Neureuther © APA/HELMUT FOHRINGER

Ich liebe den Skirennsport, mit ihm groß geworden, verdanke ihm eine unvergleichliche Jugend und kann mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Und doch darf und muss man gerade dieser Position hinterfragen, ob alles zeitgemäß ist.  

Die Klimaveränderung ist dramatisch, der Wintersport besonders betroffen. Der Skisport steht insgesamt wegen seines hohen Energiebedarfs und den Eingriffen in die Natur in der Kritik. Und gerade der Rennsport muss sich erklären, ob er sich zum Thema „Nachhaltigkeit“ bekennt. „Wegschauen“ würde den Verlust unserer Glaubwürdigkeit bedeuten. Das fände ich schade.

Natürlich kann man sagen, dass die Gletscher so oder so schmelzen und dass es egal ist, ob man darauf Ski fährt. Aber das ist der falsche Denkansatz. Es ist für mich nicht mehr zeitgemäß, im Sommer auf Gletschern Ski zu fahren. Auch den frühen Weltcup-Auftakt sollte man hinterfragen. Ich weiß, dass diesen niemand besser organisiert als die „Söldener“. Und doch sind die Einschaltquoten außerhalb Österreichs mäßig. Durch die klimatische Verschiebung kann einfach noch keine Begeisterung erzeugt werden kann. Winter beginnen heutzutage einfach später. Einst geschaffen für die Industrie, um Appetit auf Skiurlaub und die Skikauf zu generieren, ist der Aufwand für die heutige Zeit zu gigantisch.  Warum nicht vier Wochen warten, um uns Ende November auf und im Naturschnee zu präsentieren und so eine größere Akzeptanz zu generieren? Wir haben eine Vorbildfunktion, die in der Bereitschaft für Veränderungen erkennbar sein sollte.

Auch der Trainingsplanung aller Teams, den Verletzungsrisiken der Athleten und der aufwändigen Suche nach Trainingsplätzen auf den verbliebenen Gletschern würde das extrem helfen. Und ein Beharren auf dem frühen Auftakt auf dem Gletscher macht dich angreifbar. Das gilt auch für die Erweiterung und den Ausbau neuer Skigebiete. Solche Investitionen sollten in die Qualität der Skigebiete und in den CO2-neutralen Fußabdruck gehen, das würde den Skisport attraktiver machen als weitere Pistenkilometer.

Ich habe mit "National Geographics" eine Dokumentation über die Auswirkungen der Klimaerwärmung in den Alpen erstellen dürfen. Dabei zeigte mir ein Glaziologe drastisch auf, was mit den Gletschern in Zukunft passieren wird und welche Auswirkung das auf das sehr komplexe System des Wasserhaushalts unserer Täler und Flüsse haben wird. Das betrifft uns alle. In dem Zusammenhang muss ich  doch hinterfragen, was wir alle, die vom Skisport leben, dazu beitragen können, um diese Entwicklung zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen. Wäre ein verschobener Weltcup-Auftakt dazu nicht ein guter Anfang?

Mir geht es nicht darum, den Sport zu verbieten oder ihn runterzuziehen. Ich möchte nur, dass die Werte dieses Sports noch lange erhalten bleiben. Dazu benötigt es nicht nur Anpassung, sondern Veränderung. Letztlich liegen in ihr  auch große Chancen, denn wir stellen uns dann nachhaltig für die Zukunft auf. Jeder kann auf seine Weise dazu beitragen. Es geht nicht nur um Gletscher, es geht um viel mehr. Um auf den Rennsport zurückzukommen: Es geht auch um eine vernünftige Kalenderplanung mit weniger Rennen und nachhaltiger Struktur, dazu gehört auch eine Beschränkung des Gletschertrainings im Sommer und vieles mehr. Es geht um die Rettung des Sports, der so einzigartig ist und die Menschen in die Natur bringt – so lange es sie noch so gibt.

KONTRA von Sölden-Bergbahnen-Chef Jakob Falkner

Die Bewirtschaftung der Gletscher durch die Liftbetriebe trägt erwiesenermaßen zum Erhalt der Gletscher bei. Und der Auftakt erfolgt auch nicht zu früh: Wir arbeiten nicht gegen die Natur, sondern mit ihr.

Jakob "Jack" Falkner


Die Gletscher über Sölden, der Tiefenbach- und der Rettenbachferner, sind nachweislich bis in die 1980er-Jahre gewachsen. Das ist genauso Tatsache wie der Gletscherrückgang, der seit vielen Jahren spürbar ist. Aber es ist auch genauso Tatsache, dass sie mit oder ohne uns zurückgehen. Was in diesem Zusammenhang aber wichtig ist: Wir sorgen als Liftgesellschaft sogar dafür, dass wir diesen Rückgang eindämmen. Weil wir den Gletscher bewirtschaften und mit diversen Maßnahmen unterstützen. Das reicht vom Zusammenschieben des Schnees über Abdeckung durch Folien und technische Beschneiung bis hin zu Schneedepots.  Zahlreiche Untersuchungen und wissenschaftliche Studien belegen, dass wir zum Gletschererhalt wesentlich beitragen.

Gesamthaft zeigen alle Untersuchungen und Vergleichsfelder, dass die Summe der Gletscherflächennutzung durch den Skibetrieb und die Summe der erwähnten eingesetzten Maßnahmen eindeutig eine Verringerung der Abschmelzrate und eine Verringerung der Gletschermächtigkeitsabnahme zur Folge haben – nach den Untersuchungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nämlich eine Verringerung der Abnahme um 0,77 Meter pro Jahr im Vergleich zu ungeschützten Gletschergebieten. Laut Untersuchungen der Academia Engiadina in der Schweiz wird der Gletscherrückgang so in zehn Jahren um 400 bis 500 Meter verringert. Und das heißt: Ein Ruhenlassen der Gletscher im Sommer bewirkt ausschließlich ein Zuschauen beim ungebremsten Rückzug der Alpengletscher.

Die Erwärmung ist aber natürlich ebenso Tatsache wie der Gletscherrückgang. Aber auch das gab es schon. Als wir etwa 2003 den Lift, den der Weltcup benützt, bauten, wurde im Bodenaushub Schafmist nachgewiesen. Das heißt, dass da einmal kein Gletscher gewesen sein kann; ebenso wissen wir, dass die Baumgrenze schon einmal weit höher war, als sie derzeit ist. Man kann natürlich der Meinung sein, dass der Auftakt für den Weltcup zu früh erfolgt. Aber wir haben seit 1993 praktisch immer ausgezeichnete Bedingungen, nur ein einziges Mal musste abgesagt werden. Wichtig ist mir auch, festzustellen, dass wir niemals gegen die Natur arbeiten, dann würden wir ja gegen uns selbst arbeiten.

Natürlich ist der Auftakt auch für die Tourismusindustrie wichtig. Wir transportieren durch die Bilder Emotionen, die Buchungen steigen in der Woche nach dem Rennen spürbar.

Das Klima tut, was es will. Wir haben da auf dem Gletscher im Prinzip null Einfluss – wir helfen dem Gletscher sogar.