Diese Erfolge sind kein Aprilscherz. Seit Samstag ist die am 1. April 1997 geborene Katharina Liensberger zweifache Ski-Weltmeisterin. In Cortina d'Ampezzo schnappte sich die brillante Technikerin neben Parallel-Gold und Riesentorlauf-Bronze auch noch Gold im Slalom, ihrer besten Disziplin. "Es ist wirklich ein Traum, der wahr wird", sagte sie. Ihr Weg "hat sich irgendwie abgezeichnet, auch wenn man das hinterher immer leicht sagen kann", meinte Trainer Christian Mitter.
In den vergangenen drei Weltcup-Slaloms hatte sich Liensberger knapp geschlagen geben müssen. In Semmering, Zagreb und Flachau musste sie in der Reihenfolge den erfahreneren Athletinnen Michelle Gisin, Petra Vlhova und Mikaela Shiffrin den Vortritt lassen und sich mit Platz zwei begnügen. Bruchteile einer Sekunde sprachen jeweils gegen sie. Nun erklomm sie ausgerechnet bei der WM, auf der neben Olympia größtmöglichen Bühne des alpinen Skisports, das erste Mal die oberste Stufe. Vlhova und Shiffrin hatten das Nachsehen. Im Leben kommt alles zurück - in der Plattitüde steckt viel Wahrheit.
Am Samstag sei es ihr gelungen, das umzusetzen, was für sie am meisten zähle, nämlich "mit Herz und Begeisterung" Ski zu fahren. "Ich denke, wenn man was wirklich will, dann hilft einem auch das ganze Universum, das zu erreichen. Heute war definitiv der Tag, an dem mir das gelungen ist", meinte Liensberger. "Dass es jetzt am Ende für Gold reicht, das ist unglaublich."
Die passionierte Harfespielerin hatte am 12. Jänner 2016 in Flachau ihr Weltcup-Debüt gegeben. Scheiterte sie da noch an der Qualifikation, kam Liensberger im Dezember 2016 als 22. im Semmering-Slalom erstmals in die Punkteränge. Später ging es jede nachfolgende Saison immer ein Stückchen bergauf: erstes Top-Ten-Resultat im Jänner 2018 in Zagreb, ein Jahr später stand sie unter Flutlicht in Flachau als Dritte erstmals auf dem Podium.
Im ÖSV wusste man da längst um das außergewöhnliche Talent der Göfnerin. Vor der Saison 2019/20 bemühte sich zunächst Sportdirektor Anton Giger mit großem Eifer darum, ein brutales Karriere-Intermezzo zu verhindern. Liensberger hätte ab dem vergangenen Weltcup-Winter eigentlich mit der Vorarlberger Skimarke Kästle statt Rossignol und Lange-Schuhen fahren wollen, dies scheiterte aber an dazugehörigem Schuhmaterial, das den Bedingungen des Austria Ski Pool entsprochen hätte. Lange, das zu Rossignol-Gruppe gehört, sagte Nein zu einem Ausrüstervertrag für Kästle.
Nach Gesprächen mit ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel einigten sich die Parteien schließlich doch noch kurz vor dem ersten Slalom in Levi. Liensberger blieb Rossignol erhalten. "Sie hat gesehen, dass der Markenwechsel zu dem Zeitpunkt kein Vorteil gewesen wäre", betonte Schröcksnadel. Dass Material macht sie schnell und ermöglichte ihr jetzt bei der WM ihre bisher größten Erfolge. Dass die erste Weltmeisterin aus Vorarlberg seit Marianne Jahn 1962 im ORF-Fernsehen von einer Rossignol-Jacke in Gold schwärmte, die sie zwei Tage später von Biathlon-Ikone Martin Fourcade tatsächlich überreicht bekam, unterstreicht die gute Beziehung zum französischen Unternehmen.
Liensberger sei extrem fleißig und konsequent im Training, sie setze neue Inputs sehr schnell um, sagt Damen-Rennsportleiter Mitter. Aus den Erzählungen ihres Vater Thomas ließe sich ein angeborener Ehrgeiz seiner Tochter heraushören. "Als kleines Mädchen wollte sie nicht mit Stützrädern Fahrradfahren, sondern ohne. Sie wollte schwimmen, aber nicht mit Schwimmflügeln", erzählte er den "Vorarlberger Nachrichten". Ihre Fähigkeit, an Dingen dranzubleiben, sich stetig verbessern zu wollen, sei herausragend.
Ihre Eltern begleiten die Karriere der heute 23-Jährigen intensiv. Mutter Herlinde wäre normalerweise dieser Tage bei der WM in Cortina eng an ihrer Seite, die Coronavirus-Pandemie verhinderte das. Liensberger, in Liebesdingen mit Freund Philipp glücklich, ist ihr Umfeld generell sehr wichtig. Ihr Heimatverein ist der SC Rankweil, bei dem auch Kombinations-Olympiasieger Mario Reiter, im ÖSV für Marketing-Agenden zuständig, gelegentlich noch immer aktiv ist.