Von 100 auf null, Vollbremsung. In Ihrem Beruf funktioniert die Beschleunigung normalerweise andersherum. Wie lebt ein Mensch, dessen Beruf die Geschwindigkeit ist, mit der neuen Langsamkeit?
MATTHIAS MAYER: Es ist schnell gegangen, stimmt. Ich habe das gekannt, nur anders. Wenn ich an meine Wirbelbrüche denke, da konnte ich ein halbes Jahr gar nichts tun. Jetzt ist das anders: Mein Beruf ist ja der Sport an sich, den kann ich ja nach wie vor ausüben. Ich kann bei uns daheim eine Runde laufen, in der Natur, allein. Ich kann Fitness trainieren, darauf achten, fit zu bleiben. Und man muss auch sagen: Rein beruflich gesehen hat es uns Skifahrer nicht ganz so grob getroffen, die Saison war ja fast schon vorbei.
Aber auch, wenn nur noch wenig übrig war: Sie hätten ja noch die Chance gehabt, zumindest eine kleine Weltcupkugel zu gewinnen und damit die österreichische „Null-Bilanz“ in dieser Saison noch zu retten – die Form hat ja gepasst.
MATTHIAS MAYER: Das stimmt schon, es wäre noch um viel gegangen, im Super-G um die Kugel. Aber die Situation ist so zu akzeptieren, die Vorschriften sind einzuhalten. Wir haben ja schon beim Heimflug aus Kvitfjell gemerkt, dass die Einschränkungen und Beschränkungen zunehmen. Dann habe ich mich zwar auf Kranjska Gora vorbereitet, aber schon gemerkt, dass es damit wohl nichts mehr werden wird.
Sie sagten, dass Sie Ihren Beruf – Sport – noch ausüben können. Aber als Skifahrer braucht man doch auch Schneetage, oder?
MATTHIAS MAYER: Das stimmt schon, ja. Und ich hätte schon noch ein paar Tests geplant gehabt, da war schon alles perfekt hergerichtet, alles ist gestanden. Schauen wir, wann und ob ich sie nachholen kann.
Denken Sie jetzt schon darüber nach, ob wir im Herbst wieder einen Weltcup sehen werden?
MATTHIAS MAYER: Im Moment ist ja alles nicht wirklich fix und alles schwer absehbar. Ich hoffe es natürlich. Aber ob wir zum Beispiel wirklich im August nach Chile oder Argentinien fahren können, um zu trainieren, das ist ja unwahrscheinlich. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass wir in ein paar Monaten alles überwunden haben.
Apropos überwunden – die Ski-Nation hat den Verlust des Nationencups noch nicht ganz überwunden. Wie denken Sie darüber?
MATTHIAS MAYER: Nationencup? Ich bin ganz ehrlich, ich habe erst im vergangenen Herbst das erste Mal so richtig mitbekommen, dass es den gibt. Klar ist: Wir haben alle unser Bestes gegeben, in manchen Bereichen ist es, aus vielerlei Gründen, nicht optimal gelaufen. Aber an der Behebung der Fehler wird gearbeitet.
Sind Sie manchmal enttäuscht, dass die Gesamtsituation nahezu ein wenig überdeckt, dass Sie die beste Saison Ihrer Karriere gefahren sind?
MATTHIAS MAYER: Nein, ich habe damit kein Problem. Als österreichisches Skiteam steht man im Rampenlicht, ich habe jahrelange Erfahrung damit und weiß, was die Medien schreiben und sagen. Und ich selbst kann mich ja ohnehin nur auf mich konzentrieren.
Das hat gut funktioniert – was war der Unterschied zu den Jahren davor?
MATTHIAS MAYER: Ich habe heuer wirklich sehr viel Spaß am Skifahren gehabt, sehr viel Emotion dabei gehabt. Das hat man, glaube ich, auch bei meinen Siegen gesehen, wie ich mich gefreut habe. Das war ein wichtiger Punkt. Dazu kommt unsere super Truppe, mit der man gut arbeiten kann. Über all dem stehen natürlich jahrelange Erfahrung, hartes Training, viel Schweiß – die Grundvoraussetzungen.
Sie haben nach zwei Olympiasiegen auch heuer das wichtigste Rennen der Saison gewonnen – und zwar in Kitzbühel. Ein besonderes Talent?
MATTHIAS MAYER:Ich konzentriere mich schon sehr auf diese besonderen Tage, auch wenn es nicht immer aufgegangen ist. Aber ich streiche mir diese Tage an, probiere, genau da die beste Leistung abzurufen.
Bei allem Respekt – das tun viele. Bei Ihnen klappt es aber.
MATTHIAS MAYER: Es kommt vielleicht auf die richtige Mischung an. Man muss dem Paket vertrauen können, der Vorbereitung, alles blind und unterbewusst abrufen zu können. Das war heuer so. Ich konnte mich voll überwinden, ans Limit gehen. Ich muss nicht bremsen, ich gehe aber auch nicht darüber.
Was noch fehlt: die Konstanz über alle Rennen hinweg.
MATTHIAS MAYER: Das ist klar, das ist das große Ziel für die nächsten Saisonen. Das braucht es auch, um gegen Beat Feuz oder Dominik Paris zu bestehen. Aber ehrlich: Ich kann in Kitzbühel nichts mehr finden, was ich besser machen könnte. Und heuer waren es nicht viele Rennen, die nicht funktioniert haben. Die Abfahrt in Beaver Creek, die in Saalbach – da war ich davor krank.
Und zwar richtig – die echte Grippe. Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass das ähnlich wie Covid-19 war?
MATTHIAS MAYER: Ich bin jedenfalls froh, dass ich damals einen Test gemacht habe. Ich weiß also, dass es das nicht war, sonst würde ich mir jetzt wohl meine Gedanken machen, was das damals war.
Sie sind gläubig – wie geht es Ihnen damit, das Osterfest in diesem Jahr anders feiern zu müssen?
MATTHIAS MAYER: Es ist normal eine spezielle Woche, das stimmt. Am Karfreitag, mit dem Kreuzweg, da war ich immer in der Kirche. Und dann ist da die Osterjause, die Verwandtschaft, die Gemeinschaft – all das fällt heuer natürlich weg.
Wie schaut Ihr Tag im Moment denn aus?
MATTHIAS MAYER: Mir ist schon wichtig, dass man Struktur hat. Ich gehe gerne eine Runde laufen in der Früh, lese Zeitung, löse das Kreuzworträtsel – jetzt, wo es ja täglich ein großes gibt. Der Tag hat Fixpunkte – bei mir das Training natürlich.
Trotzdem bleibt Zeit – auch zur Besinnung?
MATTHIAS MAYER: Diese Zeit hat jeder, ja. Bei mir ist es schon die Morgenrunde. Wenn die Vögel zwitschern, alles grün wird im Frühling, das reicht, um nicht über Sport und Skifahren nachzudenken, nicht über das Leben von anderen.
Auf den sozialen Medien war zu sehen, dass Sie das Kochen für sich entdeckt haben.
MATTHIAS MAYER: Ja, ich hab ja mit meiner Freundin Claudia eine gute Lehrerin. Und wir schauen, dass wir immer etwas Neues ausprobieren. Zuletzt war es Rinderfilet mit Bandnudeln in Weißweinsauce. Aber ich hab auch schon Kasnocken gekrendelt.
Was tun Sie noch?
MATTHIAS MAYER: Lesen, derzeit gerade Bertold Brecht. Oder andere philosophische Dinge, von der Antike bis jetzt.
Matthias Mayer, der Hobbyphilosoph?
MATTHIAS MAYER:Das ist ein liebes Wort, irgendwie. Ich will mir das alles anschauen. Oder ich lese Krimis, weil Philosophie gibt es nicht jeden Tag.