Es soll ja Leute geben, die meinen, dass sich Österreichs erfolgreichster Skiverband diesen Winter warm anziehen muss, ohne seine Nummer eins. Ohne Marcel Hirscher ist die Aussicht darauf, den neunten Gesamtweltcupsieg in Folge nach Österreich zu holen, eher gering. „Wir ziehen uns jeden Winter warm an“, sagt ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel dazu. Nachfolger werden von allen in Stellung gebracht, oder haben das, wie der Norweger Henrik Kristoffersen, zusammen mit dem Franzosen Alexis Pinturault in der Topposition um die Nachfolge, schon getan.
Die Österreicher? Könnten schon in Sölden einen Vorgeschmack auf eine in Teilen, wie dem Riesentorlauf, eher triste Saison bekommen. Es kann aber an diesem Wochenende, an dem es auch in Sölden viel zu warm sein wird und an dem das Schneeband den Rettenbachferner hinunter den Winter selbst am Gletscher mehr oder minder nur vortäuscht, alles anders kommen. Dass die, die sich ob des vermeintlichen Absturzes der Skination Nummer eins schon in Schadenfreude üben, selbst einfädeln. Fix sind nur zwei Dinge: Zum einen wird es dauern, bis es in Österreich wieder einen Dominator à la Marcel Hirscher gibt, wenn überhaupt je wieder einer da ist. Hirscher-Trainer Michael Pircher wechselte an die Schnittstelle zwischen Weltcup und Europacup. Dorthin, wo die Nachwuchs-Hirschers jenen Schritt an die Spitze tun sollen, der zuletzt oft nicht gelang. Und er ist ehrlich, wenn er sagt: „Es wird lange dauern, bis der nächste Hirscher kommt.“ Er sagt aber auch: „Es kommen einige große Talente nach.“
Zum anderen ist fix, dass es ein neues Gesicht geben wird, das am Ende der Saison die große Kristallkugel stemmt. Denn erstmals seit der Premiere des Weltcups im Jahr 1968 wird kein Läufer am Start sein, der den Weltcup schon gewonnen hat - zumindest in Sölden. Denn Carlo Janka, der vor genau zehn Jahren der vorletzte Sieger vor der „Ära Hirscher“ war, lässt den Riesentorlauf aus. Und ob seiner immer wiederkehrenden Rückenprobleme ist es nach wie vor unsicher, dass er in den Abfahrten in Übersee Anfang Dezember dabei sein wird. Logische Folge: Das Ende der Hirscher-Ära wird der Beginn einer neuen sein. Fragt sich nur, wie lange die anhält und wer Hirschers Thronfolger wird. So oder so: Hirschers Erfolgssystem mag zwar von Henrik Kristoffersen kopiert werden, aber es ist vorbei.
Den ÖSV plagen derzeit aber ohnehin andere Sorgen - und die haben gar nichts mit den Herren zu tun. Denn der „Fall Katharina Liensberger“ wird immer verfahrener. Am Mittwoch ließ die Vorarlbergerin, die so gerne auf Kästle fahren würde, eine Frist verstreichen, bis zu der sie den Vertrag mit ihrem alten Ausrüster Rossignol hätte unterschreiben müssen. Das will die 22-Jährige nicht. In weiterer Folge wurde der Vertrag von Kästle seitens des Austria Ski Pools gekündigt. Man wolle die Zusammenarbeit auf neue Beine stellen, hieß es seitens des Pools.
Die Fronten sind aber verhärtet, wie es scheint. Liensberger kämpft um ihren neuen Ausrüster, der nach 22 Jahren ein Comeback im Weltcup feiern will. Und der will sich weiter darum bemühen, die Läuferin ausrüsten zu dürfen. Und deshalb steht das „Erfolgssystem Ski Pool“ des ÖSV plötzlich auf dem Prüfstand - wegen einer simplen Frage: Darf man einer Läuferin vorschreiben, einen Ausrüstungsvertrag haben zu müssen, um im Weltcup zu fahren? Oder, anders formuliert: Darf man einer Läuferin verbieten, sich einfach Teile der Ausrüstung zu kaufen und auch ohne Vertrag zu verwenden?
Beim ÖSV sieht man das ganz klar: Ja, man muss sogar. „Ich habe den Pool einst geöffnet, ihm aber auch die Macht genommen, sich in sportliche Belange einzumischen“, sagt Schröcksnadel noch heute. Und der besagte „Ausrüstervertrag“, um den sich alles dreht, sei Schutz für alle Seiten. Nur so sei sichergestellt, dass es während der Saison keine dauernden Materialwechsel gäbe - und damit sind sowohl Ski, Schuhe, Bindung auf der einen Seite, als auch der Wechsel von Läufern seitens der Firmen gemeint.
Das Problem: Kästle ist nur Skiherrsteller, hat aber keine Schuhe und keine Bindung. Deshalb kaufte man sich Skischuhe, ließ diese tunen und war nach Rückfrage beim Ski Pool der Meinung, das sei regelkonform. Ist es aber nicht. „Ohne Vertrag kein Start“ lautet die Prämisse des Verbandes und des Pools, der daraufhin gleich den gesamten Vertrag zwischen Kästle und Liensberger für ungültig erklärte und der Vorarlbergerin den Weg zurück zu ihrem alten Ausrüster Rossignol ebnete, allerdings für eine Dauer von zwei Jahren.
Damit würde Liensberger um Kästle umfallen. Das will sie nicht. Bis 15. November hat sie nun Zeit, eine Lösung zu finden, sonst muss sie die Saison pausieren. Der Spielraum scheint gering, denn Rossignol akzeptiert die Rückkehr nur, wenn ein Zweijahresvertrag unterschrieben wird. Das wiederum scheint Liensbergers Umfeld nicht zu akzeptieren. Logisch, würde es eine Zusammenarbeit mit Kästle ja praktisch gänzlich ausschließen. Es kann also durchaus sein, dass diesmal die Athletin auf der Strecke bleibt.