Man hat sie noch im Hinterkopf, die Bilder von der Gold-Fahrt von Franz Klammer 1976 in Innsbruck (natürlich auch, weil sie anlässlich seines 60. Geburtstags wieder auf und ab gespielt wurden). Die fast leeren Straßen von Wien, die Menschentrauben vor den Elektrogeschäften, die sich damit quasi zu „Public Viewing“-Vorreitern machten. Der Skisport hielt das Land in seinem Bann und dieses Land den Atem an – mit Happy End.
Ganz so dramatisch wird es heute nicht werden, doch wenn Marcel Hirscher um 20.15 Uhr das Podium des hippen Veranstaltungszentrums Gusswerk in Salzburg betreten wird, können alle live dabei sein. Via TV-Gerät und ORF 2 ebenso wie Servus TV – aber auch mit dem Livestream der Kleinen Zeitung. CNN ist übrigens nicht dabei, schickt aber einen Vertreter, der eine Frage stellen soll, ebenso die „New York Times“. Dabei geht es nur um die Klärung einer simplen Frage, es geht um das „Ja“ zur Fortsetzung der Karriere – oder das „Nein“, gleichbedeutend mit dem Ende der erfolgreichsten Sportkarriere, die dieses Land je gesehen hat. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Chancen auf das Ja schwindend klein sind, auch hart gesottene Fans müssen sich mit dem Liveabschied anfreunden.
Die Sucht nach Erfolgen, das Elixier des Siegens, es lockt nicht mehr. 67 Weltcupsiege, mehr als jeder Österreicher zuvor, dazu acht große Weltcupkugeln in Serie, gleich 20 mit den Disziplinenwertungen, sieben WM-Goldmedaillen und vier Silberne und 2018 endlich auch zwei Goldene bei Olympia – das reicht dem Familienvater offenbar.
Schon im Frühjahr, beim traditionellen Abschlussgespräch der Saison, hatte er den Weg vorgezeichnet: „Ganz, oder gar nicht.“ Soll heißen: Entweder Angriff auf Gesamtweltcupsieg neun oder das Ende. Dieses „Ganz“ scheint nun doch zu viel des Guten geworden zu sein. Hirscher sehnt sich nach Ruhe, Familie, Abgeschiedenheit.
Tatsache ist aber: Noch hat niemand verraten, was genau passiert.
Das Team rund um Hirscher hielt dicht, der Superstar selbst spricht ohnehin nicht vor diesem Tag. Aber ehrlich: Das Einberufen einer solchen Veranstaltung zum Hauptabendprogramm, um die Fortsetzung der Karriere zu verkünden, würde den Rahmen sprengen. Ebenso wie die Verpflichtung eines ganz besonderen Moderators: Denn Marco Büchel wird der Mann sein, der durch diese Pressekonferenz führt. Der Liechtensteiner ist selbst, wie er beteuert, ratlos: „Ich weiß nicht, was passieren wird. Das erfahre ich selbst erst am Nachmittag.“ Klar ist ihm aber: „Ich bin sehr stolz und nehme es als große Aufgabe wahr, dass ich gefragt wurde, es zu machen. Es ehrt mich, dass Marcel das wollte – was auch immer passiert.“
Büchel, selbst einst Weltklasse und nun ZDF-Ski-Experte, kennt Hirscher. Und erklärt, was den Sportler Hirscher ausmacht – gegen die Vergangenheitsform legt er (noch) Protest ein. „Sein Streben und seine Akribie auf dem Weg zur Perfektion faszinieren mich immer wieder, das gab es so noch nie.“ Auch Hirscher-Freund Felix Neureuther, der im Frühjahr seine Karriere beendete, ist gespannt: „Ich habe bis zuletzt gehofft, dass der Marcel weitermacht“, sagte er dem „Spiegel“, „mich überrascht das, ich hätte damit nicht gerechnet. In jedem Fall extrem bitter.“ Wie wahr.