Eine uncharmante Frage: Was tut Ihnen gerade weh?
FELIX NEUREUTHER: Nach einem harten Tag spürt man am Abend schon einiges, klar. Ansonsten sind die Schmerzen vor dem Schlafengehen aber überschaubar. Der Morgen ist immer schlimmer. Bis der Körper da wieder in Schwung kommt, dauert es.
Schmerzfreies Aufwachen während der Saison...
NEUREUTHER: ... gibt es leider nicht.
Was spricht überhaupt fürs Skifahren? Man muss verdammt früh aufstehen und als Dank leidet man.
NEUREUTHER: Wenn du als Erster morgens auf dem Berg stehst, ihn für dich alleine hast und den Sonnenaufgang erlebst, dann weißt du es. Das ist einfach wunderbar und entschädigt für vieles.
Ihre Eltern Rosi Mittermaier und Christian Neureuther waren sehr erfolgreiche Skifahrer. Haben die beiden Sie als Kind zum Fahren, sagen wir, ermuntert?
NEUREUTHER: Ich habe mich freiwillig für den Sport entschieden. Die einzige Sache, zu der mich meine Eltern gezwungen haben war, zum Glück, das Abitur. Aber sie haben mich unterrichtet, dagegen hatte ich natürlich nichts. Wer bekommt schon so gute Skilehrer – ganz umsonst.
Haben Sie nie an der Entscheidung, professioneller Skifahrer zu werden, gezweifelt?
NEUREUTHER: Auf keinen Fall. Ich bin sehr dankbar, dass mein Arbeitsplatz der Berg ist. Da sind andere in ihrer Freizeit und zahlen dafür. Aber natürlich gibt es sie, diese harten Momente, in denen man sich fragt, ob das alles, was man tut, noch einen Sinn ergibt, ob man dranbleiben und weiterzumachen soll.
Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen. Blöder Kalenderspruch oder etwas Wahres dran?
NEUREUTHER: Auf jeden Fall ist da was Wahres dran. Hinfallen ist okay – solange man nicht liegen bleibt.
Ihre Frau hatte als Jugendliche einen schweren Unfall und wechselte von der Abfahrt zum Biathlon. War Ihre Frau cleverer als Sie?
NEUREUTHER: Ich bin da einfach anders. Ich scheue vor neuen Verletzungen nicht zurück – und diese Einstellung brauchst du beim Ski alpin. Skifahren ist ein gefährlicher Sport. Zum Glück fährt der Gedanke an eine mögliche Verletzung nicht mit den Berg runter. Ich denke zum Beispiel über meinen Kreuzbandriss keine Sekunde mehr nach. Mir war schon damals klar, dass ich alles wieder genau so machen würde – mit allen dazugehörigen Konsequenzen.
Keine Sekunde einen Gedanken gehabt, dass es jetzt reicht?
NEUREUTHER: Klar hatte ich den. Und es gab auch davor schon viele solcher Momente, logisch. Ja, ich habe darüber nachgedacht, ob es – auch in meinem Alter – noch Sinn ergibt, weiterzumachen, Arbeit reinzustecken, sich zurück zu kämpfen.
Wie waren die ersten Tage und Wochen nach der Kreuzband-OP, die Zeit, in der Sie nichts machen konnten?
NEUREUTHER: Das war schwierig für mich. Zum Nichtstun, zum Stillstand gezwungen zu werden, ist hart. Ich hatte sogar Probleme damit, mich zum Aufstehen zu überwinden.
Gibt es bestimmte Tricks, sich immer wieder zu motivieren?
NEUREUTHER: So doof es klingt: Man muss den inneren Schweinehund überwinden. Und das geht am besten, wenn man Ziele vor Augen hat. Wenn man sich daran erinnert, dass man sich mit dem Sport seinen Kindheitstraum erfüllt hat. Es ist ganz einfach: Man muss das, was man tut, lieben. Mehr Motivation gibt es nicht. Ich auf jeden Fall lebe meinen Traum und will ihn so lange es geht weiterleben.
Ihr Idol ist, beziehungsweise war, der italienische Skifahrer Alberto Tomba. Hilft ein Idol dabei, nicht aufzugeben?
NEUREUTHER: Eindeutig ja. Alberto Tomba war für mich als Kind extrem wichtig. In ihm hatte ich jemanden, dem ich nacheifern konnte – bis hin zum Fahrstil. Durch ihn war mir klar: Ja, ich will auch irgendwann den Weltcup fahren. Ja, ich will auch irgendwann aufs Podest. Und: Ja, ich will auch irgendwann gewinnen.
Und wie ehrgeizig sind Sie?
NEUREUTHER: Sagen wir so: Ich respektiere die Leistungen anderer, aber ich kann nicht gut verlieren. Da ist es egal, ob es Ski-fahren ist, Fußball oder was anderes.
Wie ist das jetzt so als Vater einer gut einjährigen Tochter. Ändert das etwas in Bezug auf Ehrgeiz und Risiko?
NEUREUTHER: Alles. Auf einmal bin ich nicht mehr nur für mich verantwortlich, sondern für einen anderen Menschen. Mir fällt es zum Beispiel sehr schwer, von daheim wegzufahren. Klar gibt es Dinge wie FaceTime, aber auf dem Display zu sehen, wie die Tochter da durch die Wohnung krabbelt, ist halt was anderes, als selbst vor Ort zu sein.
Dann werden Sie doch Hausmann und Ihre Frau Miriam wird wieder hauptberuflich Biathletin.
NEUREUTHER: Hätte ich kein Problem damit.
Diese Saison wird entscheidend für Sie sein. Was, wenn Sie nach zwei, drei Rennen merken, dass Sie die Leistung nicht abrufen können?
NEUREUTHER: Wenn es bei mir nicht mehr richtig geht, bin ich der Letzte, der versucht, sich mit Biegen und Brechen an etwas zu klammern. So wichtig das Dranbleiben ist, so wichtig ist es auch, loslassen zu können. Dann gestehe ich mir ein: "So Felix, das war es, das macht keinen Sinn mehr." Und dann bin ich raus.
Wie groß wird das schwarze Loch sein, in das Sie dann fallen?
NEUREUTHER: Das Loch gibt es nicht. Ich habe keine Angst vor diesem Moment. Während der Verletzung – und übrigens auch davor schon – hatte ich genügend Zeit, mir Gedanken zu machen, was sein wird, wenn ich nicht mehr professionell Ski fahre. Das kann einem ja als Sportler immer passieren. Eine schwere Verletzung – und es ist aus. Zack. Wie man regelmäßig beobachten kann, sind nicht alle Profisportler auf die Zeit nach der ersten Karriere vorbereitet. Fragen Sie mich nicht, warum. Man hat als Profisportler genügend Zeit, sich Gedanken zu machen – über was auch immer. Wenn mir jemand erzählte, er lebe nur für seinen Sport, glaube ich das nicht. Also ich könnte nicht 24 Stunden am Tag Skifahren.
Wie sehen denn Ihre Pläne für die Zeit danach aus?
NEUREUTHER: Da gibt es viele. Unter anderem bin ich beteiligt an der Firma ABS, die den Lawinenairbag erfunden hat und erfolgreich Lawinenrucksäcke herstellt. Das ist eine Verbindung, die sehr gut passt.
Obwohl Ihre Versicherung Sie sicher rausschmeißen würde, wenn Sie heute abseits der Piste im Tiefschnee unterwegs wären.
NEUREUTHER: Nee, das darf ich und das mache ich. Der Bastian Schweinsteiger ist ja auch immer mit mir Ski fahren gegangen. Ihm habe ich tatsächlich jedes Mal wieder gesagt, er solle bitte aufpassen. Weil er sonst sicher Probleme mit seinem Vertrag bekäme. Darauf meinte er: »Bei mir nicht, ich kann ja Ski fahren.« Würde sich ein für den FC Bayern spielender Brasilianer, der noch nie im Schnee war, auf Skier stellen, wäre das aber was anderes, sagte er.
Was planen Sie sonst noch?
NEUREUTHER: Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass Kinder sich genug bewegen. Mit meiner Stiftung erreiche ich momentan über 600.000 Kinder, die davon profitieren. Da gibt es viel Arbeit, für die ich nach meiner aktiven Zeit noch mehr Zeit hätte. Und dann gibt es noch viele andere Sachen, die aber noch nicht spruchreif sind.
Sie haben, was viele nicht wissen, bereits zwei Kinderbücher veröffentlicht. Hand aufs Herz, selber geschrieben?
NEUREUTHER: Logo. Und es geht weiter, Band drei habe ich schon im Kopf. Da bleibe ich auf jeden Fall dran.