Manch einer flippt nach dem ersten Sieg im Ski-Weltcup völlig aus. Vincent Kriechmayr zählt definitiv nicht zu dieser Menschengattung. Ein kurzes Schulterzucken auf die Frage nach der Feier des Meilensteins ist zunächst alles, was ihm zu entlocken ist. Und ein. "Nein, es gab keine Feier. Meine Leute haben sich gefreut, mich umarmt. Aber das war’s." Und der Grinser, der dabei seine Lippen umspielt? "Den hatte ich vor dem Sieg auch schon die ganze Zeit."
Kriechmayr sieht seinen Erfolg im Super-G von Beaver Creek eher nüchtern. "Es ist eh’ Zeit geworden, dass es mir gelingt", sagt er und antwortet auf die Frage, ob die Jagd nach dem ersten Sieg die grauen Ansätze an den Schläfen des 26-Jährigen zu verantworten hat, mit noch breiterem Lächeln: "Die grauen Haare kriegt man halt, wenn man so lange im Skizirkus ist. Aber die Freundin stört es nicht."
Die nächsten Schritte
Ihn hat es da schon mehr gestört, dass es mit dem Sieg so lange gedauert hat. Der zweite Erfolg soll nicht solange dauern: "Ich habe mit dem ersten Sieg ja nur ein Hakerl auf meiner To-Do-Liste machen können. Aber da sind schon noch andere Sachen drauf. Ich will noch mehr Erfolge feiern – das war ja hoffentlich nur der erste Schritt."
Eventuell ja auch ein Sieg im heutigen Super-G in Gröden (ab 12.15 Uhr im Liveticker) - der ist allerdings im Normalfall norwegisches Sperrgebiet. Seit 2011 und dem Erfolg von Beat Feuz war der Schnellste im Super-G in Südtirol immer ein Norweger – entweder Kjetil Jansrud (zwei Siege) oder Aksel Lund Svindal (drei Siege, insgesamt sogar vier Erfolge im Gröndertal im Super-G). Aber die Österreicher fühlen sich bereit, neben Kriechmayr natürlich auch Hannes Reichelt, der in den letzten vier Super-Gs allesamt auf dem Podest zu finden war.
Bei Kriechmayr liegt das Geheimnis des Erfolges vor allem in einem Detail: "Ich bin in der Vergangenheit zu verkrampft gefahren, zu verbissen", sagt er. Deshalb legte er im Sommer Wert auf Lockerheit. "Aber das", erklärt der Oberösterreicher, "kann man nur bedingt trainieren, das ist eine Kopfsache." Und was im Kopf passiert, das macht Kriechmayr einzig mit sich selbst aus. "Mentaltrainer? Hab’ ich nicht", sagt er kopfschüttelnd. Da vertraut er eher seinem Servicemann Wilfried "Wiff" Wieser. "Der sagt mir statt des Mentaltrainers manchmal, was ich für ein Fetzenschädel bin! Und ganz ehrlich. Das brauche ich auch genau so – offene Worte."
"Mich kennt in Linz keiner!"
Offen ist er auch für weitere Siege, am liebsten in Abfahrt, "oder überall – eigentlich würde ich gern alles gewinnen." Vor allem und zuerst eine Abfahrt. Denn. "Ohne Sieg in der Abfahrt bist du kein Abfahrer, dann bist ein Brauser. Seien wir doch ehrlich!" Dass mit Siegen auch Popularität kommen würde, das ist der einzige Teil, der dem sympathischen Oberösterreicher weniger behagt. "Mich kennt keiner in Linz. Und das ist auch gut so. Mein Traum wäre es ja, so viel wie Marcel Hirscher zu gewinnen und trotzdem unerkannt zu bleiben!"
Nur das wird es wohl nicht spielen, wenn der Traum wahr werden würde. Falls doch, bleibt er lieber daheim. "Unsere Landwirtschaft liegt abgelegen, da kommt nicht einfach einer vorbei in den Stall, um mir zu gratulieren", sagt er. Und falls ihn dann doch viele erkennen würden, könnte er sich damit anfreunden. "Das heißt dann, dass du in deiner Karriere was erreicht hast. Oder ein Riesen-Fetzenschädel bist. Da hoffe ich doch auf Ersteres. . ."
Hoffen würde er auch in Gröden. Auf einer Abfahrt, die für ihn die "schwierigste Passage" des Weltcupwinters beinhaltet: Die Kamelbuckel. "Ein paar sagen ja, das ist dodleinfach", erklärt Kriechmayr, "aber wenn du mit 130 km/h da hin krachst und den Buckel siehst. . . Wenn du bei dem Tempo und dem Luftstand einen Fehler machst, ist es blöd. Deswegen habe ich hier fast mehr Respekt als vor der Mausefalle in Kitzbühel." Letztlich aber überwindet er sich immer wieder – und genießt letztlich den Sprung. Fast so wie den Sieg.