Beim Gang durch Ihre eben eröffnete Galerie in Flachau sind die Olympischen Spiele 1998 in Nagano, Ihr spektakulärer Abfahrtssturz und die beiden Goldmedaillen im Anschluss, das bestimmende Thema. Was ging Ihnen im Moment dieses Abflugs durch den Kopf?
HERMANN MAIER: Es wird schwierig, das nächste Tor zu erwischen. Und es stellte sich heraus: Es wurde wirklich immer schwieriger, die Skier stiegen immer weiter nach oben. Es sind Dinge, die hängen bleiben: Man will alles niederreißen - und nach einer halben Minute ist alles wieder vorbei. Mit dem, was dann ein paar Tage später rauskam (zwei Goldmedaillen, Anm.), hätte ich nicht mehr gerechnet.
Was fällt Ihnen zum Begriff "Herminator" ein, mit dem man Sie in der Folge adelte?
Das war sicherlich martialisch, aber angesichts der Begleiterscheinungen - Primetime in Amerika, dazu Arnold Schwarzenegger - blieb mir das eben haften.
Waren Sie mit dem "Herminator" manchmal auf Kriegsfuß?
Wenn man die Figur Hermann Maier betrachtet, ist das nicht so falsch. Man darf sich nur nicht damit identifizieren, man ist ja keine Maschine. Auch für die Rückkehr, die Rehabilitation brauchte ich Zeit. Der Herminator ist eine Figur und im Skisport gibt es keine Figuren, das sind Menschen.
Auf welchen Ihrer Pokale sind Sie besonders stolz?
Jedes Stück hat seine Geschichte, aber besonders sind sicher die Disziplinen-Weltcups. Über zwei Saisonen hinweg vier Kugeln gewinnen zu können, obwohl so viele Spezialisten am Start waren - da sieht man erst rückblickend, was man erreicht hat.
Verfolgen Sie den Ski-Weltcup noch?
Zu wenig. Ab und zu geht es sich aus, die Klassiker probiere ich mir schon anzuschauen. Abfahrt und Super-G sind besser für mich, die sehe ich während des Mittagessens.
In Ihrer Ausstellung findet sich ein Titannagel - was geht Ihnen bei dessen Anblick durch den Kopf?
Wie schön der eigentlich ausschaut, er wurde ja doch ziemlich malträtiert. Das Training, damit wieder an die Spitze zu kommen, daran erinnert man sich. Wahnsinn, was so ein Teil aushält! Bei der WM in St. Moritz, der Kälte und den weiten Sprüngen der WM (2003, Anm.), dachte ich mir: Jetzt kommt der Nagel einmal oben raus. Dass man damit einen Super-G in Kitzbühel gewinnen kann, zeigte mir, was möglich ist.
Schaudert es Sie, wenn Sie ihn sehen?
Gar nicht, ich kann gut damit umgehen. Es ist auch sonst so, dass ich bei der Versorgung von Verletzungen zuschauen muss. Es ist wichtig, alles aufzuarbeiten, alles zu akzeptieren und gleich wieder an die Zukunft zu denken. Ich nehme den Nagel für mich an und muss ihn nicht aus meinem Kopf streichen. Wenn es sein muss, gebe ich ihn wieder rein (lacht) ...
Was würde jetzt passieren, wenn Sie die Streif in Kitzbühel runterfahren müssten?
Das würde schlecht ausschauen. Bis vor zwei, drei Jahren hätte das noch leichter funktioniert. Aber ganz klar: Mit dieser Entschlossenheit da ans Werk zu gehen, ginge nicht. Kitzbühel wäre für einen Neubeginn der falsche Ort. Da bräuchte es einen flachen Start. Einfach hinunterfahren wäre ganz okay, aber auf Zeit sicherlich nicht.
Sie gelten als Comeback-König, der Kämpfer, der immer wieder zurückkam. Wie sehr haben Sie von diesem Image profitiert?
Ich weiß nicht, ob ich davon profitiert habe. Es hat sich so durch mein Leben gezogen – schon vor der Karriere, weil es für mich nicht einfach war, überhaupt an einem Rennen teilzunehmen. Das lag daran, dass mein Weg nicht der typische war, also keine Karriere von klein auf aus dem Österreichischen Skiverband heraus. Deshalb gab es für mich eigentlich immer wieder Comebacks, von Kindesbeinen an. Und so zieht sich das durch. Es wurde mir nicht leicht gemacht.
Wie viele haben Ihnen diesen Weg zugetraut?
Fast niemand. Selbst innerhalb der Familie gab es kaum jemanden, der daran glaubte, der an mich glaubte. Die meisten dachten: "Lasst den machen, das wird sowieso nichts." Aber das war mir ziemlich egal.
Steckte diese Fähigkeit in Ihnen drin?
Das musste so sein. Denn wenn du deine Leidenschaft gefunden hast, gibst du bei schwierigen Situationen entweder irgendwann auf oder nimmst das Ganze an. So viele verschiedene Leidenschaften hat ein Mensch ja nicht. Und wenn du probierst, deiner Leidenschaft nachzugehen, dann erfordert das meistens enorm viel Aufwand. Ein Leben lang kannst du so etwas natürlich nicht durchziehen, weil du dann mit diesem Aufwand zu Grunde gingest.
Was ist heute Ihre größte Leidenschaft?
Einfach abzuspannen und Ruhe zu haben. Ich habe gelernt, dass ich meine Leidenschaft, das Skifahren, noch immer ausüben kann, aber einfach abseits des Weltcups. Das Drumherum nimmt Dimensionen an, die über die Jahre so nicht aushaltbar wären. Wenn man heutzutage schaut, welchen Stab jeder um sich hat, der vorne mitfährt - das war bei uns noch überhaupt nicht der Fall. Ich stand alleine vorne. Es gab einen Pseudotrainer, der nie für mich alleine da war. Das ist nicht vergleichbar. Heute muss ein Sportler eigentlich mehr oder weniger nur noch Skifahren, alles andere wird für ihn gemacht. Natürlich muss er auch darüber nachdenken, wie er sein Material am besten abstimmt – der Aufwand ist größer geworden –, aber die Dinge rundherum werden weitergegeben.
Der Comeback-Sieg in Kitzbühel (Super-G 2003, Anm.) rührte sogar Sie zu Tränen.
Wenn man so lange kämpft, ist das einfach etwas Besonderes. Zu einer perfekten Karriere gehört einfach ein Comeback. Dass das dann so aussieht und dass es so schnell geht, war aber nicht vorherzusehen. Andererseits – wenn man als Nr. 1 aufhört, ist man sehr ungeduldig - ich hätte schon gerne zwei Wochen früher in Adelboden gewonnen...
Es war damals das Comeback des Jahres, Sie wurden dafür mit dem "Laureus" ausgezeichnet.
Wenn man sieht, was da für Sportpersönlichkeiten anwesend sind, erkennt man erst den Stellenwert des Pokals. Wintersportler waren bei dieser Wahl nur selten unter den Top 3, das unterstreicht den Wert.
Ihren verhängnisvollen Unfall im Jahr 2001 verursachte damals ein deutscher Autofahrer. Hatten Sie je Kontakt zu ihm, sind Sie ihm böse?
Natürlich ist man ein bisschen sauer, weil es körperliche Einschränkungen gibt. Das wäre sonst nicht so und bedeutet viel Aufwand. Wenn ich nach dem Unfall das Training nicht durchgezogen hätte, wäre die Invalidität noch weiter fortgeschritten. Ab und zu denkt man sich beim Langlaufen: Oh, der Fuß brennt. Ich muss rechts einen größeren Schuh tragen als links. Damals als Leistungssportler war das noch einmal anders: Jeder kämpfte mit der Feinabstimmung, bei mir war es Grobabstimmung.
Wie denken Sie rückblickend über den Unfall?
Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber wäre es nicht da passiert, wäre vielleicht etwas Ähnliches woanders passiert. Wahrscheinlich hätte ich das Schicksal dann beim Skifahren so weit herausgefordert. Gewinnen allein war mir irgendwann zu wenig. Das Comeback war dann eine riesige Herausforderung. Das mag jetzt seltsam klingen, aber zum guten Ton eines Skirennfahrers gehört zum Beispiel ein Kreuzbandriss (lacht). Die Auswirkungen durch den Unfall waren natürlich größer, deshalb darf man so einen Gedanken nie haben, denn dann kommt es schlimmer als erwartet.
Sie sprachen unlängst die Kinder an, deren Ehrlichkeit Sie so schätzen. Etwas, das Sie als Sportler mitunter vermisst haben, wie Sie meinten.
Bei Kindern weißt du immer, woran du bist. Es war doch so: Wenn man den Maier in der Mannschaft hat, dann kann sich dahinter alles verstecken, auch der Trainer. Sich dahinter zu entwickeln ist einfach. Und wenn etwas nicht funktioniert, wurde ohnehin auf den Maier hingehaut. Es wären damals stärkere Persönlichkeiten vor den Athleten wünschenswert gewesen.
Trainer werden wollten Sie nie?
Es war nicht mein oberstes Ziel. Klar könnte man sehr viele Erfahrungen und Tipps weitergeben, die Frage ist nur, ob der Trainerposten das richtige für mich wäre.
Sie waren alleine vorne - passieren als Aushängeschild auch Fehler, die Sie mit etwas mehr Abschirmung vermeiden hätten können?
Natürlich habe ich sehr viele Fehler gemacht. Das gehört einfach dazu, weil ich mich auf den Sport fokussiert habe und das andere nebensächlich war. Interviews wurden nie gegengelesen, nie. Und dann sagt man irgendetwas, das komplett anders interpretiert wird. Dabei kamen Dinge heraus, die nicht vergleichbar waren mit dem, was ich gesagt habe. Andererseits: Wenn man sich jetzt anschaut, wie fast jeder perfekt dastehen will und deshalb auch mit der Authentizität zu kämpfen hat – auch nicht schön. Das wiederum war der Vorteil für mich und die Zuschauer, die uns Sportler als Menschen so zu sehen bekamen, wie wir sind. Aber natürlich hat man die Sportler dann auch mal im schlechtesten Moment erwischt, das hat man heute gar nicht mehr.
Früher reisten Sogar Busse zu Ihnen nach Hause. War Ihnen das zuviel?
Ich war ja meistens unterwegs, für mich war es nicht das große Problem. Für die Familie war es natürlich heftig, wenn du dir das Schuhband bindest und einer steht vor dem Elternhaus und schaut durchs Fenster. Und dann kommen auch noch die Busse vorbei – da ist man schon überrascht. Für die Familie war es eine riesengroße Herausforderung und eine noch größere Umstellung als für mich.
Wie wirkt sich Ihre Öffentlichkeit heute aufs Privatleben aus?
In Zeiten von Smartphones ist es (zögert)...schlimm, weil jeder Blödsinn fotografiert wird. Man kann dann alles hindrehen, wie man will. Eigentlich ist mir das auf der einen Seite egal, aber andererseits ist der Verlust der Anonymität ein hoher Preis. Man kann sich das gar nicht vorstellen, wenn man das selbst nicht erlebt hat. Es ist ja auch nicht so, dass alles schlecht wäre, es gibt auch sehr, sehr viel Positives.
Können Sie eine dieser Alltagssituationen beschreiben?
Wenn man mit der Familie unterwegs ist, mit kleinen Kindern, dann weint auch mal ein Kind - ein Kind muss weinen, sonst wäre es kein Kind. Und überraschenderweise weint ein Maier-Kind genauso wie andere. Und wenn dann jemand versteckt hinter der Autotür mit seinem Smartphone steht und die ganze Zeit fotografiert, ist das unangenehm. Das Eigenartige ist: Es sind nicht nur Junge, sondern auch Alte, die noch mit dem Wähltelefon aufgewachsen sind. Das verwundert mich. Dass man fragt, ob man ein Bild machen dürfe, gehört sich einfach und ist eine Frage des Anstands. Der Anstand ist über die Jahre immer weniger geworden. Aber ich glaube, die Leute fangen langsam an umzudenken.
Es gibt den Hermann-Maier-Platz, Ihnen zu Ehre dazu eine Straße, ein Starthaus, eine Galerie...
Solange der Paketdienst zu mir findet, ist das okay.
Wie geht es Ihren Töchtern (Zwillinge/3 Jahre, jüngstes Kind 1 Jahr) mit dem Skifahren? Treten Sie in Ihre Fußstapfen?
Das sind derzeit noch mehr Langläufer (lacht). Aber im Ernst: Mir ist es recht, wenn Sie keine Skirennläufer werden. Wenn man Michael Schumacher hernimmt, wenn man sieht, wie sein Sohn in der Auslage steht und probieren muss, hinzukommen, wo der Vater war - das kostet viel Energie. Das Wichtigste ist, die Kindheit zu leben. Und die kann man nur leben, wenn man Dinge machen kann, die einem Spaß bringen. Mit einer anderen Person identifiziert zu werden, ist das Schlimmste. Eigene Erfahrungen machen, ein eigener Mensch werden – darum geht es.
Sie sprechen über viele Schattenseiten Ihrer Karriere - findet sich so wenig Sonne?
Keineswegs. Die Sonne überwiegt, weil man den Sport ja ausübt, um sich selbst zu verwirklichen. Es gibt nichts Tolleres, als Material und Körper auszureizen und ans Limit oder darüber hinaus zu gehen. Das sind Erlebnisse, die ich so nie wieder haben werde. Sie sind im Kopf verankert, und das sind die richtig schönen Seiten, die in meiner Karriere Gott sei Dank sehr oft vorkamen.
Testen Sie Ihr Limit heute noch aus?
Mein Limit ist dermaßen weit nach unten gesunken, dass es nicht schwierig ist, es auszureizen. (lacht)
Worum geht es Ihnen, wenn Sie heute Skifahren?
Das Wichtigste ist, dass man sich mit der Gegenwart auseinandersetzen kann, dass man sich in seiner Haut wohlfühlt. Man muss sich nicht immer Ziele setzen, das wäre ja dann immer Wettkampf. Der Mensch war früher jagen, und war dann zufrieden. Ich fuhr eben von Rennen zu Rennen, aber man war nicht immer bereit für den Wettkampf. Früher war es für mich oft so, dass die roten und blauen Tore die Landschaft zerstören. In den Momenten habe ich gemerkt, dass ich gar nicht bereit bin für den Wettkampf.
Sehnen Sie sich nie zurück?
Nein. Schon am ersten Tag nach dem Rücktritt merkte ich: Jetzt ist was weg. Es ist ja auch in meiner Karriere viel mehr passiert als erhofft, so hört man dann leichter auf. Schwer ist es, wenn man der hochgehandelte Rohdiamant war und wenig Erfolg hatte, dann hört man ganz anders auf. Ich ging im Guten weg.
Wovon träumen Sie in der Gegenwart?
Es geschehen ja viele Dinge. Mit diesem Wettlauf zum Südpol (Fernseh-Wettrennen im Jahr 2010, Anm.) hätte ich zum Beispiel nie gerechnet, das war ein einschneidendes Erlebnis, das man mit Nagano (Olympische Spiele 1998, Anm.) vergleichen kann. Dass ich mal ein Hotel eröffne, hätte ich auch nie gedacht. Dann waren es zwei, jetzt werden es drei. Es geht von einem zum anderen, das Leben ist so schnelllebig. Deshalb muss man auch immer wieder diese Momente finden, für sich selbst das Richtige zu machen, auf sich selbst zu achten. Das geht manchmal ein bisschen verloren.
Was war am Südpol so herausfordernd?
Das ist ein Ort, an dem du nicht weißt, was passiert. Als Sportler wolltest du immer wissen, was passiert. Du wolltest agieren, nicht reagieren. Am Südpol wusste ich aber nicht, was auf mich zukommt bei minus 30, 40 Grad, nur mit einem Zelt unterwegs.
Gehen Sie dem Risiko mehr aus Weg, seit Sie Kinder haben?
Schwierig zu sagen. Skifahren war nicht unbedingt das ganz große Risiko, ich konnte mich immer gut einschätzen. Nagano war natürlich kompletter, jugendlicher Leichtsinn, mein Riesentorlauf-Schwung hat in der Abfahrt leider nicht so gut funktioniert (lacht). Aber sonst wusste ich immer, wo meine Grenzen sind, das Risiko war fast immer abschätzbar. Ich kann nicht sagen, dass ich jetzt weniger Risiko eingehe. Wenn ich eine Skitour mache, weiß ich natürlich, was ich tue, aber es bleibt ein Restrisiko. Und ich glaube, dass es jetzt fast höher ist als zu meiner aktiven Zeit. Damals war man überall geschützt und abgesichert.
War Nagano Ihr prägendster Moment?
Es war einer der ersten Momente, der erste richtige Abflug, deshalb ist er auch so gut verankert. Ich war am Anfang meiner Karriere und unverbraucht.
Der ehemalige Skirennläufer Christian Neureuther meinte, "der Maier" sei schon ein "Pfundskerl". Welche Leute beeindrucken Sie besonders?
Mich inspirieren leidenschaftliche Menschen, die sich für was begeistern können. Ganz wurscht, was es ist. Wenn einer zum Beispiel Lärchenschindeln macht und begeistert davon ist, wie der Baum wächst, wann man ihn schlägt - das ist das Um und Auf. Diese Begeisterung gefällt mir – das muss nichts Supertolles, nichts Supergescheites oder Kreatives sein. Die wahre Intelligenz ist es, finde ich, seine Leidenschaft zu finden, sich zu begeistern und nicht irgendwo im Mittelmaß zu sein.
Gibt es noch Freundschaft zu Leuten aus der Ski-Szene von damals?
Auf alle Fälle! Es gab ja viele Ausnahmesituationen, und das ergibt besondere Beziehungen.
Wer fällt Ihnen da ein?
Keine bestimmten Namen, aber es wäre fast ein Bus voll (lacht). Ein ganz kleiner...
Wie hat sich die Arbeit im österreichischen Skiteam Ihrer Meinung nach gewandelt?
Es fällt auf, dass man probiert, an alten Erfolgen festzuhalten. Und man macht dabei alles, das durch eine Person abzudecken. Gewisse Personen konnten sich über Jahre gut verstecken, nur der Präsident ist und war immer im Rampenlicht. Man wird heute immer an der Vergangenheit gemessen, sollte sich aber lieber davon lösen und der Realität ins Auge blicken. Man sagt immer: Wir sind die Besten, stellt dazu aber Vergleiche mit der Vergangenheit an - das sollte man lassen. Ehrlichkeit währt am längsten. Österreich sollte sich immer wieder der Gegenwart besinnen.
Florian Madl