Sie ist das Maß aller Dinge im Damen-Slalom, sie machte eine gravierende Knieverletzung schon mit ihrem ersten Rennen danach unvergessen und nahm der Konkurrenz beim letzten Slalom in Jasna den Druck ab, irgendwie einen Gedanken an den Sieg zu verschwenden. 400 Punkte in vier Rennen - das schaffte zuletzt Ingemar Stenmark78/79. Das ist Mikaela Shiffrin. Die US-Amerikanerin wurde gerade 21 Jahre alt. Wenige Tage später steht sie auf einer Bühne in St. Moritz und erklärt als Botschafterin der Uhrenmarke Longines jungen Athleten unter 16 Jahren, wie man Nervosität in Speed umwandelt. Wer weiß es besser, als sie? Sie, die sich bei manchen Rennen Tor um Tor so fühlt, als würde sie von einem Bär verfolgt werden.
Was es damit auf sich hat, bei welchem österreichischen Kracher sie an den Start gehen wird und warum sie jemand ist, der ganz genau über den Sinn und Unsinn ihrer Worte nachdenkt, erzählt sie im Interview.
Du hattest beim letzten Rennen 2,36 Sekunden Vorsprung auf den Rest der Welt. Wird Slalom für dich eigentlich schon langweilig?
Mikaela Shiffrin: Nein, ich liebe Slalom! Wenn ich eine Woche Super-G oder Riesentorlauf trainiere und ich wieder auf den Slalom-Skiern stehe – puh – das fühlt sich einfach zu großartig an!
Diese Liebe sieht man auf der Zeittafel. Es gab nach dem Rennen Headlines zwischen "Zerstörerin" und "Dominatorin".
Die Zerstörerin! (lacht) Nein, ehrlich: Ich rutsche manchmal in diese ganz spezielle Mentalität, diese spezielle Denkweise im Slalom. Es war schon in Aspen so. Mein Warm-up war nicht gut, ich war etwas müde und nervös. Ich denke mir also, wenn ich nicht so schnell, wie ich nur kann, runterfahre, werde ich mit viel Rückstand verlieren Bei jedem Tor habe ich dann das Gefühl, ich bin zurück und muss aufholen. Es fühlt sich so an, als würde mich ein Bär die Strecke runterjagen. Ich weiß, es klingt verrückt, es hört sich an wie Ski or Die. Es pusht mich, es pusht meinen ganzen Wettkampf. Aus dieser Motivation, richtig guten Sport zu produzieren, kommt viel von meinem Speed.
Speed, der im Slalom neue Maßstäbe setzt.
Ich weiß nicht, ob es so weiter geht. Irgendwann werden mich die anderen Mädels satt haben. In Wendys (Holdener, Anm) Augen sehe ich dieses Feuer. Es sagt: 'Ich komme, um dich zu holen!'. Sie sind alle sehr entschlossen, wie ich. Aber ich bin die Person, die sie alle jagen. Da ist diese Zielscheibe auf meinem Rücken. Nehmt sie runter! Ihr könnt sie haben! (lacht)
Wir müssen über dein Comeback sprechen. Zwei Monate weg vom Fenster und dann diese Rückkehr als "Zerstörerin". Wie geht das?
Kurz nach der Verletzung war es wirklich frustrierend. Ich brauchte Krücken, durfte mein rechtes Knie nicht belasten. Ich versuchte alles, um möglichst wenig Muskeln zu verlieren. Ich hatte keine Erfahrung mit solchen Verletzungen, aber ich musste schon in den ersten 24 Stunden danach mit der Reha beginnen, da man in dieser Zeit bis zu 50 Prozent seiner Muskelmasse verlieren kann. Wir haben schon im Flugzeug mit den ersten Maßnahmen begonnen. Was sich die Leute hinter mir gedacht haben, will ich mir gar nicht vorstellen (lacht). Die Zeit verging danach wahnsinnig schnell. Die Reha war härter als mein Sommer-Programm. Nach den ersten zwei Wochen konnte ich schon sagen, dass sich mein verletztes Knie besser anfühlt, als das andere (lacht). Wir hatten wirklich einen guten Plan. Schritt für Schritt bis zum Comeback.
Du unterstützt als Botschafterin der Uhrenmarke Longines beim Longines Future Ski Champion viele junge Athleten auf ihren Weg nach oben. Wie hat es sich für dich an angefühlt, Kristall-Kugeln, Olympia- und WM-Gold noch vor deinem 20. Geburtstag zu gewinnen?
Ich denke darüber gar nicht so viel nach, schon als ich noch klein war wollte ich in dem was ich tue immer die Beste sein. Und zwar die Beste der Welt. Als es dann passiert ist, hat es sich irgendwie normal angefühlt. Das hört sich komisch an, ja. Meine erste Goldmedaille war überwältigend, auch das erste Olmypiagold. Die zweite WM-Goldene in meiner Heimat war nicht mehr ganz so intensiv, man hat die Medaille von mir erwartet. Wisst ihr was? Es ist echt hart zu beschreiben, ohne dabei völlig arrogant zu wirken …
Versuch es ...
Wenn ihr Interviews und Notizen macht und dann eure Artikel schreibt, ist das normal. Also: Ein Interview ist mein Training, der fertige Artikel ist meine Medaille oder der Sieg. Ergibt das Sinn? (lacht)
Aber nicht jeder Artikel wird ein Volltreffer und somit ein Sieg. Bei dir sitzt jeder Schwung. Deine "Normalität" ist das Siegen. Ist das schwierig?
Das ist es! Auch wenn es nicht immer so aussieht. Ich weiß, was ich im Slalom machen muss, darin bin ich jetzt vier Jahre gut. Im Riesentorlauf habe ich es noch nicht gezeigt, mit dem Super-G habe ich gerade erst begonnen. Manchmal glaube ich, dass ich im Riesentorlauf echt schwache Leistungen zeige, aber vielleicht fahre ich dafür im Slalom derzeit über meinem eigentlichen Level. Daher würde ich manchmal gerne etwas von meinem Slalom-Können rüber in den Riesentorlauf schieben, das wäre perfekt!
Ist das dein Ziel?
Ich will mein Slalom-Niveau halten und den Riesentorlauf auf ein ähnliches Level bringen. Ich hatte gerade mein Timing im RTL gefunden, dann habe ich mich verletzt. Das muss ich wieder finden und da habe ich noch einen sehr weiten Weg vor mir. Als ungeduldige Person versuche ich mich dabei in Geduld zu üben. Wenn man über Ziele spricht, die die Resultate bringen sollen: Ich will die Slalom-Kugel zurückholen und im Riesentorlauf ein Wörtchen um die Kugel mitreden, wenn alles gelingt, kann ich vielleicht einen Blick auf den Gesamt-Weltcup werfen. Das wahre Ziel heißt Verbesserung, das lässt mich nie in Ruhe. Dass mit den Weltcup-Kugeln sage ich nur, weil das jeder auf die Frage nach den Zielen hören will. (lacht)
Hast du jemals darüber nachgedacht, dich mit deinen Kollegen in einem Herren-Slalom zu messen?
Ja, habe ich. Als ich noch klein war, habe ich auf meine Skier geschrieben: ABFTTB! Es steht für: Always be faster than the boys (Sei immer schneller als die Jungs, Anm.). Ich sah das damals auf einem Poster, seit dem ist das mein Motto. Ich wollte immer schon die Jungs schlagen. Das will ich noch immer! Wenn ich mit Marcel (Hirscher, Anm.) trainiere, will ich immer die Zeitabstände wissen. Ich fühle dann den Druck, ihn schlagen zu wollen. Der letzte Vergleich ist schon länger her, aber es gab Tage, da war ich näher dran, als es ihm recht war und dann gab es wieder Tage an denen es sich nicht mal wie der gleiche Sport angefühlt hat.
Wo würdest du deiner Meinung nach bei einem Herren-Slalom landen?
Mit meinem jetzigen Slalom-Schwung, würde ich wahrscheinlich in den Top 30 landen. Ich weiß nicht, wie gut ich sein könnte. Ich sehe ihnen bei den Rennen zu, die Jungs gehen All in. Bei jedem von ihnen, bis hoch zur Nummer 50, hat man das Gefühl, dass sie das Rennen gewinnen wollen. Bei den Mädls hat man manchmal das Gefühl, dass sich manche mit einem Top 15-Platz zufrieden gibt. Würde ich also bei den Jungs starten, hätte ich wirklich das Gefühl, dass mich ein Bär jagen würde. Aber ich habe darüber nachgedacht, in Schladming als Vorläuferin an den Start zu gehen, wenn es sich in meinem Kalender ausgeht. Ich will vor dieser Kulisse an den Start gehen, nur um zu wissen, wie es sich anfühlt. Das ist schon eine andere Welt.
Apropos andere Welt: Henrik Kristoffersen übersiedelt nach Österreich. Hast du ähnliche Pläne?
Ich habe darüber nachgedacht. Es wäre wirklich schön, hier eine Art von Heimat zu haben. Die Österreicher können fast jede Woche heimfahren, ich bin normalerweise drei bis vier Monate durchgehend hier. Ich sehe weder meiner eigenes Haus, noch mein Bett relativ oft. Es ist schwer, den richtigen Platz zu finden. Innsbruck? Salzburg? Oder doch ganz wo anders? Und am Ende des Tages trainieren wir wieder anderswo. Ich weiß also noch nicht, wie ich mich entscheide.
Interview: Daniel Kendler, St. Moritz
Daniel Kendler