Speed Queen" - ihr Name war Programm. 16 Jahre lang, bis Renate Götschl im Sommer 2009 die Ski ins Eck stellte, weil Töchterchen Lara-Sophie unterwegs war. Heute, drei Jahre später, ist die 37-Jährige entschleunigt. Gut, auf den ersten Blick sieht es bei einem Hausbesuch, daheim im obersteirischen Spielberg, vielleicht nicht so aus. Die mittlerweile fast dreijährige Lara-Sophie und ihre 17 Monate alte Schwester Valentina halten die nunmehrige "Speed Mama", die 46 Weltcuprennen gewann und elf Medaillen bei Olympia und Weltmeisterschaften hamsterte, und ihren Lebensgefährten Hannes Kargl auf Trab.
Aber die Wertigkeiten haben sich verschoben. Ging es früher um das Hundertstel einer Sekunde, spielt Zeit jetzt nicht mehr die große, übergeordnete Rolle. "Es ist ein neues Leben, ein ganz anderes", erzählt die gebürtige Eppensteinerin und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Früher ging es darum, alles perfekt zu machen. Jeder Schwung, jede Kurve, einfach alles musste sitzen. Herausforderungen gab es zur Genüge. Den Tofana-Schuss etwa, in ihrem "Wohnzimmer" in Cortina d'Ampezzo, wo sie zehn Mal gewann. Heute ist längst nicht mehr alles perfekt - und muss es auch nicht sein. "Das geht mit zwei Kindern auch gar nicht. Die beiden haben mein Leben völlig über den Haufen geworfen", sagt eine sichtlich glückliche Renate Götschl.
Angekommen
Die Herausforderungen sind längst andere. "Keine Nacht durchzuschlafen etwa", erzählt sie. Ihre Augen leuchten dabei trotzdem. Das werden sie auch tun, wenn sie am Heiligen Abend mit dem Glöckchen ihre Töchter zur Bescherung ruft: "Weil das meine Aufgabe ist."
Advent, das bedeutet Ankunft. Renate Götschl ist längst angekommen - in Spielberg, in einem schmucken Einfamilienhaus. Das ist ihr Reich. Der Skisport ist weit weg. Die Kristallkugeln und Medaillen auf dem Kaminsims sind stumme Zeugen einer Zeit, die die Speed Queen außer Dienst nicht missen will, die sie aber auch nicht vermisst.
Nur selten sieht man sie als Gast bei Weltcuprennen. "Das reizt mich nicht. Ich war so viel unterwegs, das will ich nicht mehr", gesteht die zweifache Mutter. Koffer packen, auf Reisen gehen, das gehörte zu Götschls Alltag. Jetzt ist alles anders. Drei Tage in Lignano oder ein paar Tage in einer Therme, zu mehr lässt sie sich nicht überreden.
Weihnachten, mit all seinen Traditionen, Verwandten- und Kirchenbesuchen, das mag sie aber. Weihnachten genießt sie. "Ich bin keine, die jeden Sonntag in die Kirche geht, aber gläubig bin ich trotzdem", sagt Götschl. Und Gott war für sie des Öfteren Ansprechperson. "Er war Anlaufpunkt, wenn ich einen Haken zum Anhalten gebraucht habe. Wenn ich einmal nicht weiterwusste." Pause. Nachsatz: "Und es gab genügend solcher Momente. Die gehen dir in einer langen Karriere nicht aus."
Kein Pensionsschock
Depressionen, wie sie ihre einstige Rivalin Lindsey Vonn plagen, hatte Götschl nie: "Das war kein Thema. Hätten wir früher gesagt, wir haben Depressionen, man hätte dich einen Monat auf eine einsame Insel geschickt und gebeten: Schau, dass du das Problem in den Griff kriegst. Deshalb finde ich es gut, dass man heute darüber reden kann ..."
Die Ski-Pensionistin ("ohne Pensionsschock") unterbricht das Gespräch. Valentina muss ins Bett. Ins Bett kommt die Mama noch lange nicht, zu viel ist noch zu tun. Was Götschl an diesen Weihnachtstagen aber sicher nicht macht: ihre Ski aus dem Eck holen, in das sie sie 2009 gestellt hat. Erst fünf Mal stand sie seit damals auf den zwei Brettern, die ihr einst die Welt bedeuteten.
Mit drei Jahren hatte die einstige Gesamtweltcupsiegerin begonnen, Ski zu fahren. Tochter Lara-Sophie tut es ihr nun gleich. Vor wenigen Tagen absolvierte die kleine, aufgeweckte Dame die ersten Schwünge - unter Anleitung von Papa Hannes. Die Mama hat nur zugesehen, freilich voller Stolz.
Die Alm als Oase
Renate Götschl und Ski, das passt noch nicht wieder zusammen. Zu kurz ist der Abstand zum stressigen Leben als Profi, zu den weihnachtlichen Trainingseinheiten, zu den Verletzungen, zu den Reisestrapazen, zu den Tränen und Triumphen. Die Interessen haben sich verlagert. Renate Götschl hat im letzten Jahr die Jagdprüfung gemacht. Über den ersten Rehbock, der ihr vor die Flinte lief, droben auf ihrer eigenen Alm, über den hat sie sich fast so gefreut wie einst über einen Sieg. Die Alm, das ist ihre Ruhe-Oase, fernab der schillernden, lauten, bisweilen verstörenden Welt des Ski-Zirkus. "Wenn du gewinnst, stehst du im Rampenlicht. Wenn du verlierst, bist du uninteressant. Da kannst du unbeachtet an den Journalisten im Zielraum vorbeigehen. Wenn du damit nicht zurechtkommst, wird es schwer", erzählt eine, die in ihrer glanzvollen Karriere selten nicht im Rampenlicht stand.
Die Scheinwerfer sind erloschen. Renate Götschl, die als Nesthäkchen auf der Landwirtschaft ihrer Eltern in Eppenstein aufgewachsen ist und sich schon früh gegen die männliche "Konkurrenz" ihrer älteren Brüder, durchsetzen musste, ist das nicht unrecht. Bande zum "Zirkus" gibt es nur noch wenige. Dafür wurden alte Bande, die im Laufe der Karriere verloren gingen, wieder neu geknüpft. "Sagen wir so: Es hat im Freundeskreis durchaus ein Selbstreinigungsprozess stattgefunden", ist die fünffache Gewinnerin des Abfahrts-Weltcups gar nicht böse, dass sich die schulterklopfende Spreu vom freundschaftlichen Weizen getrennt hat.
Es ist dunkel geworden über Spielberg. Valentina schläft, Lara-Sophie ist müde. Es ist Zeit zu gehen. Renate Götschl steht in der Tür und winkt. "Frohe Weihnachten und kommts gut heim."
Sie selbst ist angekommen.