So gesehen war der Rücktritt vom aktiven Skisport wirklich nur ein Aus-Flug. Passend, dass Lucas Pinheiro Braathen also nur rund viereinhalb Monate nach seinem tränenreichen Rücktritt im Hangar-7 in Salzburg aus der DC-7 stieg und seine Rückkehr verkündete. „Wir sind hier, weil ich in den Sport zurückkehre, ich werde für Brasilien starten. Für das Land, in dem ich meine Liebe zum Sport entdeckt habe. Ich bin sehr stolz, dass ich dieses Land im Weltcup, bei Weltmeisterschaften und bei Olympischen Spielen vertreten darf.“ Kein unlogischer Weg, ist Braathens Mutter doch Brasilianerin – und Brasilien liegt ihm im Blut. Kein Wunder, dass das Motto „Vamos dançar –Komm, lass uns tanzen“ lautet. Denn das ist es, was Braathen will: Im Ski-Weltcup wieder über Pisten und durch Tore tanzen.
Die Entscheidung sei gereift; ebenso wie jene, den Schlussstrich zu ziehen. Doch, das betont der 23-Jährige immer wieder, er sei nie mit dem Plan zurückgetreten, als Südamerikaner wiederzukehren. Einzig die Entscheidung, die Laufbahn schon vor dem ersten Rennen zu beenden, sei für ihn klar gewesen. Angenehmer Nebeneffekt: Durch die „Stehzeit“ von einer Saison darf er für ein anderes Land an den Start gehen. Und weil Braathen, der aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem norwegischen Skiverband aufhörte, sich mit diesem einigte, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Und das heißt: Der Verband legt Braathen keine Steine in den Weg, der darf damit seine Punkte mitnehmen und muss nicht wieder von Null beginnen.
Es war in Brasilien, als ihm klar wurde, dass ohne Skisport etwas fehlt im Leben. „Es war immer schwieriger für mich, nicht Teil der Show zu sein“, sagte er. Zumal er ab Dezember auch seinem „Job“ als Tester bei Atomic nachkam. „Beim ersten Mal“, erzählt da Rennchef Christian Höflehner, „hat er noch alles abgespult. Beim zweiten Mal wollte er schon selbst probieren. Da hat man gemerkt, es beginnt wieder, ihn zu jucken.“ Dass er auf Schnee war, das hatte auch mit einem Besuch bei Aksel Lund Svindal zu tun. „Er hat mir empfohlen, mit meinen Partnern alles vorab so zu klären, dass ich dann nur einen Knopf drücken muss, damit das Comeback wirklich geht“, erzählte Braathen.
Es war dann nicht nur ein Knopf – nur mit dem brasilianischen Verband ging es schnell, wie dessen Präsident Anders Pettersson (dessen Eltern aus Schweden stammen) bestätigte. „Wir sind ein kleiner Verband, auch wenn wir bei den Jugendspielen gerade die erste Medaille im Wintersport für Brasilien erobert haben“, erzählte der, „und dass Lucas für den CBDN (so nennt sich der Verband) startet, ist ein Gewinn. Er kann Inspiration sein, Vorbild für das ganze Land.“ Das wäre genau der Traum, den Braathen selbst hat. „Ich habe mir auch die Sinnfrage gestellt. Und ja: Das Faktum, dass wir für 200 Sekunden zwischen Plastikstangen den Berg hinunterfahren, der wird die Welt nicht ändern. Aber die Geschichten dahinter, die können es. Und wenn nur ein Kind durch mich und meinen Weg inspiriert wird, etwas durchzieht, obwohl es vielleicht meint, nicht geliebt zu werden, dann habe ich alles erfüllt, was ich wollte“, sagte Braathen.
Logisch, dass das Motto daher Programm sein soll: „Ich will den Tanz auf den Schnee bringen“, sagt der Doppel-Staatsbürger, „ich will etwas machen, was es bisher nicht gab. Weil, wenn du immer nur dasselbe machst wie alle vor dir, dann wirst du nie besser werden als die davor.“ Braathen will, wie er sagte, „eine Kultur des Zusammenarbeitens etablieren, nicht gegeneinander arbeiten“. Und: „Ich will die Welt bereisen und Spaß haben.“ Auf Ski. Nur das übergeordnete Ziel hat sich nicht verändert: „Ich will zu den Besten der Welt gehören. Mir ist klar, dass das nicht so einfach sein wird, aber ich hoffe, dass ich bald wieder um Podest, um Siege mitfahren kann.“
Braathens Auszeit hat ihn also letztlich wieder zu den Wurzeln geführt. Die kreative Arbeit, die Rolle als Fotomodell („Bei der Fashionweek bin ich meinen ersten Runway gelaufen, das war eine echte Herausforderung“), die Arbeit mit Musik – all das begeisterte und inspirierte ihn, aber die Erfüllung ist offenbar doch der Skisport. Braathen, dessen Freundin aus Paris kommt, ist derzeit übrigens Wahl-Österreicher: „Ich habe eine Wohnung in Altenmarkt, war aber lange in Brasilien und auch in Paris. Meine Wohnung in Norwegen habe ich vermietet, als ich mich auf eine Insel vor Sao Paulo zurückzog.“
Kein Skifahren in Brasilien
Den neuen Helm, mit der Vermischung der typischen Red-Bull-Farben und der brasilianischen Flagge, hat er bei der Pressekonferenz auch bekommen. Das neue Team steht (noch) nicht ganz, wird aber derzeit mit Red Bull und Robert Trenkwalder und Patrick Riml gesucht. So oder so: Der Skisport darf sich freuen. Mit Braathen, der in Kilt und brasilianisch-grünem Strickpulli kam, kommt mehr als ein Farbtupfer zurück. Ein echter Typ, der Geschichten liefert und auch Geschichte schreiben wird. Selbst, wenn man in Brasilien selbst gar nicht Skifahren kann. „Dazu“, sagt Petterson, „sind unsere Berge zu niedrig und die Temperaturen zu hoch. Schnee haben wir nicht, fürs Skifahren müssen wir nach Argentinien oder Chile.“