Annemarie, am 27. März feiern Sie Ihren 70er. Ein besonderer Tag?
ANNEMARIE MOSER: Auch kein anderer, als der 69er. (lacht) Ein Jahr älter halt.
Gibt es eine große Feier?
Nein, überhaupt nicht. Zusammenkommen vielleicht, mit Familie und ein paar Freunden.
Sie sind nach wie vor eine Ikone des Skisports, haben sechsmal den Gesamtweltcup gewonnen, sind Olympiasiegerin und Weltmeisterin. Hat Sie tatsächlich der Dorfpfarrer entdeckt?
Nein, ich weiß auch nicht, warum das nach wie vor behauptet wird. Es war der Skilehrer und Maurer Christoph Dertnig und dessen Bruder Stefan, die mit einer Gruppe von Jugendlichen bei uns in Kleinarl begonnen haben, für Skirennen zu trainieren. Da war ich auch dabei. Aber unser Pfarrer hat schon insofern eine Rolle gespielt, weil er ein Auto gehabt und mich zu vielen Skirennen im Land Salzburg gefahren hat.
Sie sind schon als 14-jährige Weltcuprennen gefahren.
Ja, das habe ich Professor Franz Hoppichler zu verdanken. Wir haben mit dem Salzburger Landeskader am Gletscher Kitzsteinhorn trainiert. 20 Meter daneben der ÖSV-Nationalkader. Und plötzlich kommt der Professor Hoppichler zu unseren Trainern und sagt: 'Dieses Mädchen trainiert ab sofort mit uns!' Und so war es. Ab diesem Zeitpunkt war ich sozusagen bei den Großen und musste mich weder durch ÖSV-Jugendkader, C- oder B-Kader plagen.
Ihr erstes Weltcuprennen …
… ging völlig daneben. Es war beim Silberkrugrennen in Bad Gastein. Und ich bin schon im Training jedes Mal gestürzt, weil die Bindung an meinem Ski viel zu weit hinten montiert war. Ich hab’ das den Betreuern und Trainern gesagt, aber die haben nur gelacht. Wer glaubt schon einem 14 Jahre alten Mädchen! Logisch, beim Rennen bin ich auch geflogen. Erst danach haben sie festgestellt, dass ich recht hatte.
Mit 16 gewannen Sie ihr erstes Weltcuprennen und bei der WM in Gröden gleich eine Bronzemedaille im Abfahrtslauf.
Ja, aber da war schon sehr viel Glück dabei, weil drei, vier Favoritinnen alle an derselben Stelle gestürzt sind.
Im Jahr 1971 folgte der erste so richtig große Triumph: Sieg im Gesamtweltcup. Ganz Österreich lag Ihnen zu Füßen. Was blieb da in Ihrer Erinnerung?
Vor allem der Empfang in Kleinarl. Wir haben 800 Einwohner. Und mehr als 5000 waren dabei. Ich stand auf einer offenen Kutsche. Und wenn ich nur eine Hand gehoben habe, dann hat die Menge losgeschrien. Ich hatte regelrecht Angst und konnte mit dem Rummel, mit den Tausenden Menschen, mit Journalisten und Politikern überhaupt nicht umgehen. Heute weiß ich, warum. Ich war noch nicht einmal 18, hatte keinerlei Erfahrung mit Öffentlichkeit, und schon gar nicht, bei der ich selbst im Mittelpunkt stand.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt waren Sie ein Star. Und Favoritin bei den Olympischen Spielen 1972 in Sapporo in Japan. Zwei Silbermedaillen sind es geworden. War das eine Niederlage?
Normal sind zwei Silbermedaillen ja keine Niederlagen, im Gegenteil. Aber alle haben von mir mindestens eine Goldene erwartet. Nach dem Abfahrtslauf habe ich mir noch gedacht, dann schlag’ ich sie (Anm.: Marie Theres Nadig) halt im Riesentorlauf. Als ich dann wieder Zweite war, tat das natürlich schon weh.
Hat die Auseinandersetzung um die Sperre von Karl Schranz dabei eine Rolle gespielt?
Natürlich, es stand ja der Boykott von Österreich im Raum. Das muss man sich aus Sicht einer Sportlerin vorstellen: Man hat nur alle vier Jahre die Chance, olympisches Gold zu gewinnen. Da muss schon alles zusammenpassen. Das war in Sapporo eben nicht der Fall. Aber ich habe mit Sapporo meinen Frieden gefunden. Auch mit Karl Schranz.
Ihre nächste Chance hätte es bei Olympia 1976 in Innsbruck quasi zu Hause gegeben. Aber ein Jahr davor erklärten sie völlig überraschend Ihren Rücktritt. Warum?
Ich konnte einfach nicht mehr. Heute würde man wohl sagen, ich hatte ein Burn-out: Der Druck der Öffentlichkeit, das Funktionieren-Müssen für Skiverband und Skifirma, besonders, was Termine betrifft, zudem war ich frisch verheiratet und hatte Sehnsucht nach zu Hause. Als mir dann mein Vater erzählt hat, dass er an Krebs erkrankt ist, war es einfach genug.
Sie haben auch Morddrohungen erhalten. Wie haben Sie das erlebt? Wurde das jemals aufgeklärt?
Das war ganz, ganz schlimm. Die Drohungen standen in insgesamt vier Briefen. Mein Mann und ich wurden bewacht. Auf Anraten der Beamten haben wir uns zwei Hunde ins Haus geholt. Und die Kripo hat die alte Wehrmachtspistole meines Vaters wieder schussbereit gemacht. Aber ich hätte damit ohnehin nie auf einen Menschen schießen können. Natürlich hat es auch Ermittlungen gegeben. Aber der Absender der Briefe konnte nie eruiert werden.
1977 gab es dann einen Paukenschlag: Annemarie Moser-Pröll fährt wieder …
… Annemarie Moser. Ich heiße Annemarie Moser. Ich habe nie Annemarie Moser-Pröll geheißen. Das haben nur die Journalisten so geschrieben.
… wie kam es zum Comeback von Annemarie Moser?
Atomic-Chef Alois Rohrmoser kam damals fast jeden Tag in unser Cafe und hat mich gedrängt, wieder in den Weltcupzirkus zurückzukehren. Na ja, irgendwann habe ich nachgegeben. Er hatte mir ein wirklich gutes Angebot gemacht. Wir hatten gerade unseren Betrieb errichtet und konnten das gut gebrauchen. Also habe ich wieder begonnen zu trainieren.
Wenige Monate später wurden Sie 1978 in Garmisch-Partenkirchen zum zweiten Mal Abfahrts-Weltmeisterin. So einfach ist Skifahren?
(lacht) Nein, so einfach war das nicht. Ich habe mich schon sehr fleißig darauf vorbereitet, habe noch mehr trainiert als vorher. Schön, dass es geklappt hat.
Jetzt fehlte endgültig nur noch eines: olympisches Gold.
Stimmt. Geplant war eigentlich nur, diese Saison 1977/78 zu fahren. Aber der WM-Titel hat mich schon zum Nachdenken gebracht, ob ich es vielleicht doch noch einmal versuchen soll. Also habe ich mich entschlossen, bis zu den Spielen Lake Placid 1980 weiterzufahren. Immerhin war ich ja erst 25 Jahre alt.
Das war eine gute Entscheidung. Sie haben mit dem berühmten Bleiski Gold geholt.
Es war nicht der Bleiski, sondern ein paar Ski, das ich nie zuvor gefahren bin. Es war bitterkalt in Lake Placid, und meine Betreuer haben diesen Ski dafür gewählt.
Auch eine gute Entscheidung. Für einen letzten Triumph.
Ja, einfach unglaublich. Ich bin so dankbar dafür, dass mir das noch gelungen ist. Olympiagold ist für einen Sportler einfach das Größte. Und ich konnte das im Gegensatz zum ersten Gesamtweltsieg so richtig genießen, zusammen mit meinem Mann und dem Lake Placid Club Kleinarl.
Ein Fanclub, der Sie zu den Olympischen Spielen begleitet hat.
Ja, 16 junge und ältere Männer, wahrscheinlich der erste Fanclub überhaupt in der Geschichte des alpinen Skirennsports. Sie haben mir ein Stück Heimat in die Olympiastadt gebracht. Es war wunderschön. Und wir treffen uns auch nach über 40 Jahren noch einmal jährlich und lassen unser Erlebnis Revue passieren.
Jetzt war sportlich alles geschafft und Sie haben sich in Ihr Cafe nach Kleinarl zurückgezogen.
Zuerst einmal wollte ich eine richtige Familie haben. 1982 habe ich Marion zur Welt gebracht. Und ja, danach stand ich im Cafe, oder besser gesagt in der Backstube.
Sie haben selbst gebacken?
Ja, jeden einzelnen Kuchen, jede Torte, 25 Jahre lang (lacht). Viele unserer Gäste wollten das auch nicht so recht glauben. Oft erst, wenn ich in der weißen Schürze zwischendurch im Cafe ein paar Autogramme geschrieben habe.
1999 wurde Annemarie Moser in der Wiener Staatsoper zur Skisportlerin des 20. Jahrhunderts gekürt. Eine besondere Auszeichnung?
Eine ganz besondere Auszeichnung. Der schönste Abend meiner Karriere. Mit Pele und Muhammad Ali auf einer Bühne zu stehen, machte mich sehr stolz. Und ich werde nie vergessen, wie mein Mann Herbert, der ja begeisterter Fußballspieler war, gestrahlt hat, als er sich mit dem berühmten Pele unterhalten konnte.
Sie mussten 2008 mit dem Tod Ihres Gatten einen schweren Schicksalsschlag verkraften. Wollen Sie darüber reden?
Es war schlimm, ganz schlimm. Es ging alles sehr schnell, nur wenige Wochen vom Wissen über die Krankheit bis zum Tod. Wir hatten gerade Pläne geschmiedet, uns ein privates Haus zu bauen. Das habe ich dann allein verwirklicht. Ich war jeden Tag die erste und die letzte auf der Baustelle. Das hat mich abgelenkt. Als das Haus bezugsfertig war, saß ich allein in der Küche. Erst da bin ich dann so richtig in ein Loch gefallen. Aber das Leben muss weitergehen.
Sie haben das Cafe dann verkauft. Was macht Annemarie Moser denn so am Tag vor Ihrem 70er?
Ja, das Cafe haben wir an Einheimische verkauft. Das war gut und ist mir wichtig. Na ja, was mache ich? Vor allem viel Bewegung. Ich spiele nach wie vor begeistert Tennis, gehe Ski fahren, unternehme gerne Skitouren, bin viel mit meiner Hündin in den Bergen unterwegs und gehe auch meiner Jagdleidenschaft nach. Nicht mehr so oft, aber immer wieder einmal.
Und was wünscht sich das Geburtstagskind selbst zum Runden?
Dasselbe wie zum 69er (lacht). Gesundheit für meine Familie und für mich selbst. Und ein paar glückliche Momente.
Franz Taverner