Ein enges Rennen ist man im Bob-, im Rodelsport und im Skeleton gewöhnt, nicht selten entscheiden Tausendstelsekunden über Sieg oder Niederlage. Ein derart enges Rennen, wie es sich vor den Olympischen Winterspielen 2026 in Cortina d‘Ampezzo abzeichnet, ist aber neu für den Sport. Am 2. Februar 2024 haben die Organisatoren der Spiele den Neubau des „Cortina Sliding Centre“ in Auftrag gegeben. Im März 2025 muss die Bahn fertig sein, um auf Renn- und Olympiatauglichkeit geprüft werden zu können. Und noch nie, teilte das Internationale Olympische Komitee auf Anfrage der Kleinen Zeitung mit, ist eine Bahn „jemals in so einer kurzen Zeitspanne gebaut worden“.
Was auch neu für den Sport gewesen wäre: dass Olympiamedaillen erstmals auch außerhalb des Veranstalterlandes vergeben werden. Dass dies Realität werden würde, war auch der Wunsch des Internationalen Olympischen Komitees. Das IOC hatte eine klare Position, die auch in den Grundsätzen ihrer „Agenda 2020“ verankert ist: Aus Gründen der Nachhaltigkeit sollte keine Wettkampfstätte extra für die Olympischen Spiele gebaut werden: Noch im Herbst 2023 hieß es, die Wettkämpfe finden außerhalb Italiens statt. Die Bahn in Innsbruck-Igls wurde oft ins Spiel gebracht. Im neuen Jahr erfolgte die Wende: Die für die Spiele zuständige Infrastrukturgesellschaft „Simico“ vergab den Bauauftrag an das in Parma ansässige Unternehmen Pizzarotti. Kritische Stimmen meinen: Dass italienische Winterspiele nicht zu 100 Prozent in Italien stattfinden, wollte Italiens Regierung nicht über sich ergehen lassen.
Kritik an überbordenden Kosten
Davon ist jedenfalls Luigi Casanova überzeugt. Der Italiener ist Ehrenpräsident von Mountain Wilderness Italien, gehört zu den bekanntesten und aktivsten Stimmen gegen das Projekt und spricht von einer „theatralischen Farce“, von einer „Posse auf Kosten der Italienerinnen und Italiener“. Er kritisiert vor allem die ausufernden Kosten des „Cortina Sliding Centre“ und die politischen Kräfte in Italien. In Cortina gab es eine Bobbahn, die „Pista Eugenio Monti“. Auf ihr wurde schon im Zuge der Winterspiele 1956 gefahren, seit 2008 ist sie außer Betrieb. Für eine Erneuerung war zu Beginn von Kosten in der Höhe von 47 Millionen Euro die Rede, erklärt Casanova.
Es folgte eine Ausschreibung, im Jänner 2024 wurde bekannt, dass die neue Bahn gebaut wird. Nicht erst seit diesem Zeitpunkt brachte das Mammut-Projekt Menschen auf die Straße. „Die Leute werden belogen. Offiziell ist von Kosten in der Höhe von 81 Millionen Euro die Rede, da ist aber vieles nicht eingepreist“, sagt Casanova. Sein Buch „Ombre sulla neve“ („Schatten auf dem Schnee“) rückt die Spiele und die Bobbahn in ein schiefes Licht: „Kühlung, Tribünen, Parkplätze: All das ist da noch nicht eingepreist. Insgesamt kostet dieses Projekt 128 Millionen Euro“, sagt Casanova, der die Menschen an den italienischen Schalthebeln der Macht kritisiert: „Sie denken, investieren und erneuern, als wären wir in den 60ern. Anstatt in öffentliche Mobilität zu investieren, werden im Zuge dieser Spiele Millionen in Neubau von Straßen gesteckt.“
Kritisiert wird das Bauvorhaben nicht nur aufgrund von Zeitknappheit, sondern auch aufgrund mangelnder Nachhaltigkeit: Was nach den Spielen mit der Bahn passiert, sei unklar. Cortinas Bürgermeister Gianluca Lorenzi gab bereits zu, dass ihn die Kosten für Betrieb, Erhaltung und Instandhaltung nach den Spielen Sorgenfalten bereiten, sagt Casanova. Darüber hinaus hält er die Bobbahn für unverhältnismäßig: „In Italien haben wir 59 Athleten, die diesen Sport ausüben. Da sind selbst 81 Millionen Euro etwas viel.“
IOC ist überzeugt: Es gibt bereits genügend Bobbahnen
Die italienischen Veranstalter und die italienische Politik haben damit das Internationale Olympische Komitee überstimmt. Das IOC jedenfalls teilte „immer unmissverständlich mit, dass keine dauerhafte, neue Strecke ohne klaren Nutzungsplan für die Zukunft gebaut werden soll“, einen solchen Plan habe man, betont ein IOC-Sprecher, bislang nicht gesehen. Und man sei „fest davon überzeugt, dass die Anzahl bestehender Bobbahnen für die derzeitige Anzahl an Athleten und Wettkämpfen genügt“.
Die Realisierung bis März 2025 scheint zwar nach wie vor ehrgeizig, aber nach einer Besichtigung im September tatsächlich machbar – auch wenn wirklich nichts dazwischenkommen darf, wie es seitens des Internationalen Rodelverbandes FIL heißt. Der Verband wie auch das IOC hatten angesichts des Wettrennens gegen die Zeit stets einen Plan B gefordert. Ob es einen solchen braucht, wird sich noch weisen.