Während bei den WTA Finals im saudi-arabischen Riad Menschen dafür bezahlt worden sind, um sich auf die Tribünen zu setzen und damit den Schein zu vermitteln, das Stadion sei zumindest halbwegs gut gefüllt, gibt es für den heute in Turin startenden saisonalen Showdown der Herren nur noch Restkarten. Elektrisiert von Lokalmatador Jannik Sinner, der die Weltrangliste anführt, muss in der norditalienischen Metropole derzeit in den Auslagen der Geschäfte sogar noch die Weihnachtsdekoration Tennisschlägern und Bällen Platz machen.

Für die italienischen Tennisfans neigt sich mit den ATP Finals ein traumhaftes Jahr dem Ende zu. Jannik Sinner hatte im November 2023 mit dem erstmaligen Davis-Cup-Triumph unserer südlichen Nachbarn eine Erfolgswelle losgetreten, auf der er ins neue Jahr ritt und sich als erster Italiener die Australian Open, Platz eins in der Weltrangliste und auch die US Open sicherte. Angenehmer Beigeschmack: In den Top 75 des ATP-Computers findet man aktuell gleich acht Italiener.

Daniil Medwedew und Taylor Fritz eröffnen heute (14 Uhr, Sky live) in der Gruppe „Ilie Nastase“ die Finals, am Abend (20.30 Uhr) folgt der erste Auftritt von Hausherren Sinner gegen Alex de Minaur. Für den Südtiroler, der im Vorjahresfinale gegen den heuer verletzungsbedingt fehlenden Novak Djokvic den Kürzeren gezogen hatte, ein besonderer Auftritt, präsentiert er sich doch erstmals nach all seinen tollen Erfolgen dem Heimpublikum. Beim heurigen Masters in Rom hatte der 23-Jährige noch verletzungsbedingt passen müssen.

Sinner gilt in Turin als Favorit und könnte als erster Italiener den saisonalen, hoch dotierten Kehraus gewinnen. Keine Frage, auf dem Tennis-Ass aus Sexten lastet ein gehöriger Druck, doch hat der 17-fache Turniersieger schon bewiesen, mit solchen Situationen umgehen zu können. Wie etwa bei den US Open, als wenige Tage vor Beginn des letzten Grand Slams des Jahres bekannt geworden war, dass Sinner im März zwei positive Dopingtests abgegeben hatte, von einem unabhängigen Schiedsgericht der International Tennis Integrity Agency aber freigesprochen wurde. Trotzdem die Affäre meterhohe Wellen schlug, holte der Italiener in Flushing Meadows den Titel.

Oder wie beim Six Kings Slam in Riad, wo ebenfalls kurz vor Beginn des millionenschweren Events bekannt wurde, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada beim Sportgerichtshof CAS Einspruch gegen den Freispruch Sinners eingelegt hat. Ein schwerer Dämpfer für den 1,91 Meter großen Hünen, der sich dennoch im Wüstenstaat zum Tennis-König krönte.

Beinahe hat es den Anschein, als würde die drohende Gefahr einer ein- bis zweijährigen Sperre an Sinner wirkungslos abprallen. Ganz so ist es aber sicher nicht – das ständig über seinem Kopf schwebende Damoklesschwert nagt freilich am Branchen-Primus. Und der Sextener, der die seiner Aussage nach für das Dopingvergehen verantwortlichen Betreuer längst entlassen hat, wird nicht müde, seine Unschuld zu beteuern. Wann eine Entscheidung in der Causa fällt, ist offen. Doch eines ist klar: So sehr man Sinner auch Glauben schenken will – wird der Freispruch bestätigt, würde dies das ganze System infrage stellen.