Wenn Jakob Jantscher sein Wohnhaus im Zentrum von Hong Kong verlässt, „schaust du einmal 100 Stockwerke nach oben“. Der Steirer ist seit Ende August dieses Jahres Legionär bei Kitchee in der Hong Kong Premier League. Knapp 5000 Einwohner zählt seine Heimatgemeinde in Graz-Umgebung, sesshaft ist er mit seiner Familie auf einem weitläufigen Bauernhof geworden. Und jetzt? „Wir wohnen im 62. Stockwerk, haben eine kleine Wohnung“, sagt Jantscher. „Der Bauernhof geht mir schon ab.“ Und dennoch genießt der 34-Jährige mit Frau Andrada und den Kindern Finn und Alma das neue Leben in Asien. Auch, oder weil, „es ganz was anderes ist“. Auf 2755 km² leben in der Sonderverwaltungszone Chinas knapp acht Millionen Menschen. Zum Vergleich: In Österreich verteilen sich die rund neun Millionen Einwohner auf 83.871 km² Fläche. Ein Auto besitzen die Jantschers an ihren neuen Wohnort nicht. „Wir fahren entweder mit dem Taxi, weil es sehr billig ist, oder nehmen die Metro.“ Und das nicht nur zu privaten Zwecken. Auch zu den Meisterschaftsspielen in der höchsten Spielklasse des Landes kann der Offensivakteur mit der Metro anreisen.

Während bei seinem Herzensklub Sturm alles top professionell und durchstrukturiert ist, geht es für ihn bei Kitchee etwas ruhiger zu. „Bei Sturm waren wir zwei, drei Stunden vor jedem Training da, haben nach den Spielen viele Videoanalysen gemacht. Das kann man mit hier nicht vergleichen“, sagt Jantscher. „Wir haben schon eine Weste, die unsere GPS-Daten erfasst. Aber wenn du einmal ein bisserl weniger läufst, fragt keiner nach“, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Es ist ein bisserl so, wie vor zehn Jahren. In Österreich und in Europa generell entwickelt sich der Fußball in die Richtung, dass es fast nur noch darum geht, eine hohe Intensität gehen zu können. Der Charme des Fußballs geht da ein bisserl verloren. Hier in Asien ist es für mich cool, ich bin irgendwie in der Zeit zurückgereist. Es gibt viele Brasilianer in der Liga, viele gute Kicker. Aber die Intensität ist viel geringer. Man kann das Fußballspielen mehr genießen“, sagt der Routinier, der seit seinem Wechsel in 16 Pflichtspielen acht Tore erzielt hat.

Geringes Zuschauerinteresse

Obwohl sein Verein professionell arbeitet und als einziges Team der Liga ein Trainingszentrum hat, ist das Zuschauerinteresse gering. „Bei den Topspielen kommen maximal 3000 oder 4000 Zuschauer ins Stadion. Aber es hat ein gewisses Flair, wenn knapp 4000 Fans in einem 6000er-Stadion sind.“ So viele Personen fasst das kleine Stadion des Klubs nämlich. Die Champions-League-Partien wurden aber im großen Stadion ausgetragen. „Wenn du dann in einem Stadion spielst, in dem 40.000 Leute Platz haben, und es kommen nur 2000, dann ist das schon komisch.“

Das Hong Kong-Stadium fasst 40.000 Personen
Das Hong Kong-Stadium fasst 40.000 Personen © Privat

„Komisch“ ist für Jantscher auch die Tatsache, dass er erstmals in seiner bereits langen Karriere keine Winterpause im klassischen Sinn hat. Am 23. Dezember gab es noch ein Cup-Spiel, von 28. Dezember bis 1. Jänner „spielen wir eine Exhibition“. Und am 13. Jänner geht es bereits weiter mit den Pflichtspielen. „Fünf, sechs Tage haben wir Anfang des Jahres frei. Da werden wir als Familie irgendwo hinfliegen.“ Nach Vietnam, Thailand oder die Philippinen sind es von Hong Kong nur etwas mehr als zwei Stunden. Aber auch in Hong Kong selbst lädt der Strand zum Baden ein. Familienbesuch aus Österreich gibt es dann über Ostern. „Und im März kommt eine Delegation von Sturm-Fans her. Das freut mich sehr und zeigt mir, dass ich in meiner Karriere viel richtig gemacht habe.“

Der Kontakt zu Sturm ist auch trotz der Entfernung nicht abgerissen. „Mit Andreas Schicker bin ich sehr viel in Kontakt, mit den Spielern sowieso.“ Die Spiele der Schwarz-Weißen verfolgt er, sofern es die Zeitverschiebung zulässt. Sieben Stunden sind es, die Jantscher Graz voraus ist. „Die Bundesliga-Spiele um 14.30 Uhr sind daher ideal für mich.“

Besser als Cristiano Ronaldo

Beinahe ideal war Jantschers persönliches Abschneiden in der asiatischen Champions League. In vier Gruppenspielen in Folge erzielte er je ein Tor. Ein weiterer Treffer im abschließenden Spiel hat gefehlt, um einen alleinigen Vereinsrekord aufzustellen. Übrigens: Mit vier Toren hat der Steirer in der laufenden asiatischen Champions League ein Tor mehr erzielt als ein gewisser Cristiano Ronaldo. Da verwundert es auch nicht, dass bereits Anfragen aus anderen Ländern hereingeflattert sind. „In Asien ist 34 kein Alter. Ich habe Mitspieler, die sind 40 und Maschinen“, sagt Jantscher. „Wenn du dann mit einem vergleichsweise kleinen Verein in der Champions League Tore schießt, weckt das eine gewisse Aufmerksamkeit. Ich glaube schon, dass wir länger in Asien bleiben.“ Ob in Hong Kong oder woanders, das ist unklar. Das ist auch deshalb möglich, „weil meine Frau nie von vornherein ,Nein‘ sagt. Wir hören uns immer alle Angebote zumindest an. Es ist schön, so eine Partnerin zu haben. Das macht es einfacher.“

Bevor ein möglicher Wechsel im Raum steht, möchte „JJ“ mit Kitchee noch so viele Titel wie möglich gewinnen. In der Champions League war nach der Gruppenphase Endstation, in der Liga und in drei Cup-Bewerben ist man aber noch im Titelkampf. „Ich will das Maximum herausholen.“

Finn und Alma Jantscher sind die größten Fans von Papa Jakob
Finn und Alma Jantscher sind die größten Fans von Papa Jakob © Privat