Welche Spieler fielen beim vorletzten Heim-Länderspiel des Jahres in Leipzig am meisten auf? Ein Überblick.
Kevin Trapp: Beste Chancen auf den Posten als Nummer drei
Die deutsche Mannschaft mag auf einigen Positionen Probleme haben, zwischen den Pfosten aber gewiss nicht. Mit Manuel Neuer ist der aktuelle Welttorhüter im Normalfall gesetzt, die Rolle als Nummer zwei gebührt nach wie vor Marc-Andre ter Stegen. Und dann? Wechseln sich immer mal wieder Kevin Trapp und Bernd Leno ab. Das bisherige Länderspiel-Jahr hat gezeigt, dass sich Trapp derzeit mehr Hoffnungen auf eine EM-Teilnahme machen kann als Leno.
Wie schon beim 1:1 gegen Spanien im September war auch gegen die Tschechen Verlass auf den Schlussmann von Eintracht Frankfurt. Er strahlte Sicherheit aus, gab seinen Vorderleuten lautstarke Kommandos und hielt, was zu halten war. In Durchgang eins kam fast nichts auf sein Gehäuse, nach dem Seitenwechsel aber prüften die Tschechen den 30-Jährigen häufiger. Mit seiner Glanztat in der 82. Minute, als er einen wuchtigen Kopfball von Matej Vydra aus kurzer Distanz parierte, sammelte er reichlich Pluspunkte beim Bundestrainer.
"Der Kopfball war schwer zu halten", sagte Joachim Löw, "Kevin hat das aber klasse gemacht und uns so den Sieg beschert." Dank Trapp war es sogar der erste Sieg zu Null im Länderspiel-Jahr 2020.
Robin Koch: Bielsas Lehrling verzückt Löw
Anteil an der weißen Weste hatte auch Robin Koch. Der vor der Saison für 13 Millionen Euro vom SC Freiburg zu Leeds United transferierte Abwehrspieler bildete das Herzstück der Löw'schen Dreierkette und wusste neben guter Spieleröffnung auch mit robuster Zweikampfführung zu gefallen. Er gewann 75 Prozent der Duelle, die er bestritt. "Robin war in jeder Aktion solide und klar. Er hat viel bereinigt, wenn vorher ein Fehler passiert ist", lobte Löw den 24-Jährigen.
Der gebürtige Kaiserslauterer dürfte vor der EM noch häufiger seine Chance von Anfang an bekommen. Von den von Löw regelmäßig eingeladenen Innenverteidigern macht er neben Niklas Süle und Matthias Ginter derzeit den sichersten Eindruck. An Selbstvertrauen mangelt es ihm sowieso nicht.
"Ich habe den Anspruch an mich selbst, Verantwortung zu übernehmen", sagte Koch nach dem Tschechien-Spiel. Seine Rolle bei seinem neuen Verein Leeds, für den er jede der acht bisherigen Premier-League-Partien jeweils 90 Minuten lang bestritt, komme ihm "zusätzlich zu Gute". Gerade aus taktischer Sicht ist davon auszugehen, dass er in den kommenden Monaten noch einiges von Leeds' Trainer-Guru Marcelo Bielsa lernen wird.
Ridle Baku: Deutschlands Aktivster in Hälfte eins
Bote Nzuzi Baku konnte sein Glück nicht fassen, als ihn Stefan Kuntz und Jörg Schmadtke nach dem Bundesliga-Spiel des VfL Wolfsburg gegen die TSG Hoffenheim wissen ließen, dass er diesmal nicht zur U21 reisen würde, sondern zur A-Nationalmannschaft. Noch überraschter war der 22-jährige Rechtsverteidiger dann, als Löw ihn am Mittwochmorgen über seinen Startelf-Einsatz gegen Tschechien informierte.
Für all die Aufregung machte es "Ridle", wie Baku genannt wird, überraschend gut. Gerade in Hälfte eins liefen viele gefährliche Aktionen über seine rechte Seite, Baku sammelte mit drei Torschussvorlagen die meisten. "Er hat sehr intensiv gespielt und mit seinen dynamischen Läufen Räume überbrückt", sagte Löw nach dem Abpfiff.
In Durchgang zwei war zwar weniger von ihm zu sehen, zumal ihm auch einige Fehler im Passspiel unterliefen, unter dem Strich war der Bundestrainer aber "zufrieden" mit dem 22-Jährigen. Vor Spielern wie Benjamin Henrichs (RB Leipzig) oder Thilo Kehrer (Paris Saint-Germain) muss er sich nicht verstecken. Stand jetzt dürfte der aktuell noch verletzte Lukas Klostermann (RB Leipzig) als Rechtsverteidiger Nummer eins ins EM-Jahr 2021 gehen.
Philipp Max: Noch ein Argument gegen Schulz
Besser spät als nie: Mit 27 feierte der seit diesem Sommer bei der PSV Eindhoven unter Vertrag stehende Philipp Max endlich sein Debüt für die A-Nationalmannschaft. Es war ein starkes Debüt, denn Max machte viel Dampf über die linke Seite und bereitete den einzigen Treffer des Abends mit einer flachen Hereingabe in den Sechzehner vor.
"Sehr, sehr gut" fand Löw die Leistung von Max. "Er hat im Training schon einen guten Eindruck gemacht", berichtete der 60-Jährige. "Seine Stärken sind im Spiel nach vorne seine Flanken, auch mal hinter die Abwehr. Die Vorlage zum Tor war eine super Aktion von ihm."
Angesichts der Leistung von Max fragt sich, warum Löw nicht schon vorher auf ihn zurückgriff. Nico Schulz gehen allmählich die Argumente für eine Nominierung aus. Robin Gosens (Atalanta Bergamo), Marcel Halstenberg (RB Leipzig) und nun auch Max haben zumindest mehr als der Bankdrücker von Borussia Dortmund.
Florian Neuhaus: Der Lösungsfinder
Es sind die aufregendsten Wochen in der noch jungen Karriere des Florian Neuhaus. Der Sechser von Borussia Mönchengladbach bestätigte seine tolle Form auch in seinem zweiten Länderspiel-Einsatz, indem er sich an der Seite von Ilkay Gündogan in Durchgang eins und Mahmoud Dahoud in Durchgang zwei nicht vor Verantwortung scheute, sondern immer wieder anbot und als Strukturgeber fungierte.
Viele Aktionen liefen über ihn, und diese waren stets durchdacht und meist fehlerfrei. Auch im Spiel gegen den Ball überzeugte er, mit zehn Balleroberungen wies er die meisten aufseiten der Löw-Elf auf. Belohnt hätte er seine starke Leistung wie beim 3:3 gegen die Türkei fast mit einem eigenen Torerfolg, doch sein Schuss in der Schlussphase klatschte ans Lattenkreuz. Nichtsdestotrotz war Löw "sehr angetan" von Neuhaus.
"Flo besitzt eine hohe Spielintelligenz. Er ist ballsicher und findet gute Lösungen. Er spielt sehr abgeklärt", sagte der Bundestrainer nach dem Abpfiff. Zwar wird es für Neuhaus schwierig, an Kalibern wie Toni Kroos, Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder auch Gündogan vorbeizukommen. Als Backup taugt der frühere Jugendspieler von 1860 München aber allemal. "Ich mache mich nicht verrückt", sagte Neuhaus vor dem Tschechien-Spiel im Interview mit SPOX und Goal über seine EM-Chancen. "Wir leben in einer Pandemie und da bringt es einfach nichts, groß nach vorne zu schauen."
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Luca Waldschmidt: Löw sieht "Schritt nach vorne"
Luca Waldschmidt braucht nicht viele Chancen. Sein zweites Länderspiel-Tor musste er nach der punktgenauen Hereingabe von Max aber auch machen. Wirklich lobenswert bei seinem Abstauber war aber sein Laufweg zuvor: Er wusste genau, dass der Ball in den Fünfer kommen würde und war den berühmten Schritt schneller als sein Gegenspieler.
"Er hat in den vergangenen Wochen und Monaten noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht. Er hat eine große Torgefahr und einen guten Abschluss. Er bewegt sich viel und man kann mit ihm kombinieren", lobte Löw den einzigen und damit entscheidenden Torschützen des Abends nach dem Abpfiff.
Waldschmidts Torjäger-Instinkt und spielerische Fähigkeiten könnten der Mannschaft auch bei der EM guttun, obgleich Löw mit Serge Gnabry ein weiterer Spieler dieser Art zur Verfügung steht und auch Timo Werner und Leroy Sane wissen, wo das Tor steht. Dass sich der 24-Jährigen mit fünf Treffern und drei Vorlagen in zehn Partien aber auch schnell bei seinem neuen Klub Benfica eingefügt hat, spricht für seine Qualität im letzten Drittel.
Julian Brandt: Die Sache mit der Konstanz
Dass Julian Brandt einer der besten Fußballer in Deutschland ist, steht außer Frage. Auch Löw sprach nach dem Tschechien-Spiel wieder einmal davon, welche exzellenten Ansätze der 24-Jährige mitbringe. Es sind aber eben nur Ansätze.
"Es fehlt dem Julian an Konstanz über längere Zeit", brachte es der Bundestrainer auf den Punkt. Brandt wirkte am Mittwochabend bemüht, viele seiner Kombinationsversuche scheiterten aber. Bei seiner Großchance in der 32. Minute nach einem fatalen Fehlpass des Tschechen Vaclav Jemelka drosch Brandt den Ball aus 13 Metern in den Leipziger Nachthimmel. Vorausgegangen war eine schwache Ballannahme von Brandt.
"So eine Chance muss er nutzen, um nachhaltig Ansprüche anmelden zu können", sagte RTL -Experte Michael Ballack, der genau wie Löw monierte: "Er macht aus seinen Möglichkeiten viel zu wenig." Seine Mitspieler munterten Brandt nach misslungenen Aktionen auf. Der Mann mit der Nummer zehn ließ aber meist den Kopf hängen und haderte mit sich selbst. "Wenn er aktiv ist, marschiert und seine Schnelligkeit und Technik ausspielt, dann ist er meistens sehr gefährlich", so Löw. "Er hat wirklich großes Potenzial, das sehen wir auch immer wieder im Training. Seine Leistungen sind aber nun einmal ein bisschen schwankend."
Dieser Meinung sind sie auch in Dortmund, wo Brandt schon seit Saisonbeginn nur noch als Reservist und Sorgenkind durchgeht. Umso ärgerlicher war es gegen die Tschechen für ihn, kein Selbstvertrauen getankt zu haben.
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DFB-Team: Die nächsten Spiele in der Übersicht
Datum Uhrzeit Wettbewerb Begegnung 14.11.2020 20.45 Uhr Nations League Deutschland - Ukraine 17.11.2020 20.45 Uhr Nations League Spanien - Deutschland