Leere Sitzschalen und Stehtribünen, Lieder, die normalerweise von Zehntausenden mit voller Inbrunst in den Tempel tremoliert werden, laufen unterstützungslos vom Band. Fällt ein Tor, fällt kein Regen aus Plastikbechern samt Inhalten. Es bleibt trocken.

Eine triste Szenerie, die das aufregende Geschehen auf dem Rasen nicht verdient hatte. Siegeswille, Hochkaräter, Tränen, VAR-Drama: Borussia Dortmund gegen den FC Bayern hielt das, was das Tabellenbild versprach, wurde den hohen Erwartungen, die traditionell an das Duell geknüpft werden, gerecht.

Fünf Erkenntnisse zum Bundesliga-Kracher:

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Lucas Hernandez weiter in beeindruckender Form

Während der verletzte Alphonso Davies vor dem heimischen TV-Gerät Jubel-Videos in seine Instagram-Story prügelte, betrieb sein Konkurrent auf der linken Abwehrseite einmal mehr Werbung in eigener Sache.

Vielleicht hatte sich Lucas Hernandez in der vergangenen Saison bei Davies abgeschaut, wie man BVB-Star Jadon Sancho idealerweise bearbeitet. Zwar demütigte der Franzose seinen Gegenspieler nicht so spektakulär wie Davies beim 4:0 vor einem Jahr, zur Entfaltung ließ er Sancho dennoch nicht kommen.

Konzentriert und seriös agierte Hernandez in der Defensive (drei klärende Aktionen, Bayern-Bestwert), nach vorne zeigte sich der ehemalige Atletico-Profi zudem ambitioniert. Sieben Flanken standen am Ende für Hernandez zu Buche, kein Spieler auf dem Feld kam auf mehr Hereingaben. Satte vier der sieben Flanken wurden von den Statistikexperten von Opta mit dem Prädikat "gut" ausgezeichnet.

Eine, ebenjene, die Lewandowskis Kopf zum zwischenzeitlich 2:1 fand, wurde dabei besonders wertvoll deklariert. Darüber hinaus wartete Hernandez bei den Gästen mit den besten Zweikampfwerten (66,7 Prozent) auf und bestätigte in diesem Gebiet einen Trend, der sich im Laufe der vergangenen Wochen abgezeichnet hat: Nach Niklas Süle (64,29 im Durchschnitt) kommt in der laufenden Saison niemand auf bessere Werte in direkten Duellen als Hernandez (62,75 im Durchschnitt).

Fazit: Hernandez scheint nach einer unbefriedigenden ersten Spielzeit in München angekommen zu sein. In seiner derzeitigen Form stellt der 24-Jährige eine enorme Bereicherung für den deutschen Rekordmeister dar.

Bayern-Defensive bröckelt mehrfach

Während Hernandez weitestgehend tadellos agierte, hatten seine Nebenmänner mehr Probleme mit den Dortmunder Angriffsbemühungen. Pavard-Ersatz Bouna Sarr beispielsweise ging vor dem 0:1 nicht entschlossen genug in den Zweikampf, in Halbzeit zwei legte er unfreiwillig für Reyna auf.

Ein - aus Bayern-Sicht - negatives Muster war generell dann zu erkennen, wenn Dortmund wahlweise im Aufbau oder in schnellen Umschaltmomenten das Stilmittel der langen Bälle hinter die Kette einstreute. Vor allem Angreifer Erling Haaland fungierte immer wieder als Zielspieler, machte nicht nur Bälle fest, sondern erlief zahlreiche Vertikalpässe in beeindruckender Manier.

Jerome Boateng sah sich bis zu seiner Auswechslung (69.) hauptsächlich mit dem Norweger konfrontiert und zog im Sprintduell zumeist den Kürzeren. Im Vorfeld des 2:3 war Haaland im entscheidenden Moment David Alaba entwischt.

Dortmund habe sich auf die Fehler der Gäste konzentriert, analysierte Leon Goretzka im Anschluss an die Partie bei Sky . "Die gab es zu oft, deswegen ist Dortmund auch zu der einen oder anderen Chance gekommen", schob der Nationalspieler nach, der mit der Defensivleistung nicht gänzlich einverstanden zu sein schien.

Trainer Hansi Flick nahm aber neben der Viererkette auch Goretzka und seine Mittelfeldkollegen in die Pflicht. "Dann muss er halt im Mittelfeld etwas mehr Druck machen, dann kommt der Gegner nicht so in die Tiefe" erklärte der FCB-Coach mit Blick auf Goretzkas Aussagen.

Tatsächlich haben die Schwarz-Gelben gezeigt, mit welchen Mitteln die risikofreudigen, hoch-pressenden Münchner theoretisch zu knacken wären. Wenn man als Team jedoch in den Genuss kommt, gleich mehrere Torchancen gegen Bayern zu kreieren, sollten diese im Idealfall auch genutzt werden.

Dortmunder Chancenwucher

Bekanntermaßen nutzte der BVB seine Gelegenheiten aber nicht vollumfänglich. "Unglaublich" sei das Auslassen der Hochkaräter gewesen, ärgerte sich Dortmunds Trainer Lucien Favre im Nachgang, Manuel Akanji bemängelte berechtigterweise: "Da waren wir nicht effizient genug."

Mats Hummels hatte erkannt, dass die Bayern "offensiv stark, aber defensiv offen" unterwegs waren und haderte dementsprechend: "Es war fast klar, dass die Effektivität entscheidet. Wir haben leider viele Chancen nicht genutzt."

Ganz besonders dürften die drei BVB-Angestellten in ihrer Verdrießlichkeit an die Kollegen Marco Reus und Erling Haaland gedacht haben. Beide trugen sich zwar in die Torschützenliste ein, ließen aber auch viele verheißungsvolle Chancen liegen.

Während Reus mit Abstand die meisten Schüsse aller Feldspieler abgab (5) und kurz vor Abpfiff freistehend einen Volley über die Latte drosch, wirkte Haaland in seinem Schaffen nicht so entscheidungsfreudig wie sonst. Der hünenhafte Torjäger nutzte zwar verlässlich seinen Geschwindigkeitsvorteil, geriet aber entweder in nicht aussichtsreiche Abschlusspositionen, sprich spitze Winkel - oder brachte interessante Mischungen aus Torschuss und Querpass zustande.

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Robert Lewandowski: Er trifft und trifft und trifft und assistiert

Der junge Haaland hatte immerhin das große Glück, das in puncto Treffsicherheit derzeitige Paradebeispiel weltweit aus nächster Nähe beobachten zu dürfen - und womöglich einige hilfreiche Verhaltensweisen Robert Lewandowskis zu adaptieren.

Der Pole benötigte lediglich einen Aufwärmschuss, den er bereits nach wenigen Sekunden hinter sich brachte, indem er Serge Gnabry die Kugel vom einschussbereiten Fuß stibitzte und mit links ans Außennetz hämmerte. Im Anschluss zappelte das Kunstleder satte dreimal im Netz, nachdem es einen Lewy-Körperteil verlassen hatte.

Nur einmal in besagten drei Fällen durfte der 31-Jährige tatsächlich ausgiebig jubeln, zwei Tore kassierte der VAR, Experte für kalibrierte Linien, ein und löste selbstverständlich enttäuschtes Abwinken aus.

Ein Tor anstatt drei Tore. Elf Tore in sechs Bundesligaeinsätzen anstatt 13 Tore in sechs Bundesligaeinsätzen (was im Schnitt mehr als zwei Tore pro Partie wären). Eine Bilanz, mit der man dennoch als Angreifer leben kann und prahlen darf. Zum Vergleich: In der vergangenen, Lewandowskis Rekordsaison, kam der Torgarant nach sechs Spielen auf zehn Tore.

Lewandowski avancierte auch gegen Dortmund zum Mann des Spiels, machte einmal mehr den Unterschied aus. Nicht bloß, weil er einen anspruchsvollen Kopfball in Bürkis Kasten unterbrachte, sondern auch, weil er zusätzlich seiner neuen Leidenschaft, dem Vorlegen von Toren, nachging. Profiteur der Lewy-Uneigennützigkeit: Leroy Sane.

Uneinigkeit bei Analyse: Von Glück, Pech und Verdiensten

Natürlich hatte im Nachgang jeder seine eigene Meinung zum Spiel. Während Favre zum Beispiel befand, "eigentlich mindestens einen Punkt" verdient zu haben und von einer "schwer zu akzeptierenden" Niederlage sprach, trauerte Hummels der Abstinenz von Fortuna hinterher.

"Es war nicht so, dass wir das Ding dominiert haben. Aber das Glück war heute nicht auf unserer Seite", sagte er nach dem Duell mit seinen Ex-Kollegen. "Klar war es ein bisschen Glück für die Bayern, aber wir hätten das besser lösen können", resümierte Innenverteidiger Manuel Akanji.

Soweit die - zurecht - enttäuschte BVB-Fraktion. Anders bewerteten die Gäste aus dem Süden das Endergebnis. "Vor allem aufgrund der zweiten Halbzeit haben wir verdient gewonnen", sagte Manuel Neuer und ergänzte: "Da waren wir die bessere Mannschaft und hatten das Spiel mehr und mehr im Griff."

"Mehr als verdient" war der Sieg für Flick, der seine Auffassung mit größerer Effizienz und Entschlossenheit begründete. Bei aller Uneinigkeit, ob der Sieg der Bayern auf fehlendes Dortmund-Glück oder eigene Kaltschnäuzigkeit zustande gekommen war - in einem kamen die Protagonisten letztlich zusammen.

"Das Spiel war sensationell gut", schwärmte Flick, sein Gegenüber hielt sich favretypisch etwas nüchterner, aber schlug in eine ähnliche Richtung: "Es war insgesamt ein sehr gutes Spiel, vor allem für die Zuschauer am Fernseher."

Bundesliga: Die Situation an der Tabellenspitze

Platz Team Sp. Tore Diff Pkt. 1. Bayern München 7 27:11 16 18 2. RB Leipzig 7 15:4 11 16 3. Borussia Dortmund 7 15:5 10 15 4. 1. FC Union Berlin 7 16:7 9 12 5. Bayer Leverkusen 6 10:5 5 12 6. Borussia M'gladbach 6 9:8 1 11