Steve Nash hätte sicherlich entspanntere Optionen gehabt, seinen Ruhestand zu verbringen. Dafür muss man sich nur mal sein Resümee seit dem Ende seiner aktiven NBA-Karriere 2014 anschauen: Berater bei den Golden State Warriors, Champions-League-Experte für Turner Sports , General Manager der kanadischen Basketball-Nationalmannschaft, Mit-Eigentümer der Vancouver Whitecaps und von RCD Mallorca.
Viel zu tun gab es, sicherlich. Doch Nash musste sich in den vergangenen Jahren nicht tagtäglich den bohrenden Fragen von Journalisten stellen, Siege erklären, Niederlagen rechtfertigen, Trainingspläne erstellen, mit den Superstar-Egos eines NBA-Teams klarkommen und hohe Erwartungen erfüllen.
Anfang September entschied sich der 46-Jährige aber, genau diesen Weg einzuschlagen und bei den Brooklyn Nets sein Debüt als Head Coach in der Association zu feiern. Im Big Apple wird der Druck sofort zu spüren sein, im ersten "richtigen" gemeinsamen Jahr mit Kyrie Irving und Kevin Durant wird nichts Geringeres gefordert als ein Angriff auf die NBA-Krone.
"Ich liebe den Wettbewerb", gab Nash auf seiner Antrittspressekonferenz die Erklärung ab, warum er dem entspannten Ruhestand entsagt hat. "Ich liebe es zu lehren, zu führen und Teil eines Teams zu sein. Auch, wenn ich meinen Wunsch zu coachen nicht unbedingt öffentlich gemacht habe, das war immer in meinem Kopf."
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Steve Nash und Kevin Durant: Bewunderung auf beiden Seiten
Neben dem hohen Druck bietet die Situation in Brooklyn dem Hall of Famer immerhin gute Ertragsaussichten. Nicht viele Neu-Coaches in der NBA haben den Luxus, mit zwei absoluten Superstars im Kader in ihren neuen Karriereabschnitt zu starten. Nash hat in Irving und Durant nicht nur das, ihm ist auch die Unterstützung der beiden sicher. Ein nicht ganz unwichtiger Aspekt bei den Nets.
Vor allem mit KD pflegt die Point-Guard-Legende seit vielen Jahren eine gute Beziehung. Schon zu Durants OKC-Zeiten verabredeten sich beide zu gemeinsamen Workouts. Vor dessen Entscheidung, 2016 zu den Dubs zu wechseln, rief er beim damaligen Warriors-Berater Nash an und fragte um Rat.
"Er ist jemand, mit dem ich über alles reden kann und den ich sehr respektiere", sagte Durant 2018 gegenüber der San Jose Mercury News . "Sein Basketball-Verstand ist wahrscheinlich der beste, den ich je um mich hatte." Kein Wunder, dass der zweimalige Champion zu Warriors-Zeiten oftmals mit Nash trainierte , um sich von ihm ein paar Finessen abzuschauen.
Brooklyn Nets: Ein Risiko mit Head Coach Nash bleibt
In seinen 18 NBA-Jahren als Aktiver hat sich Nash unter anderem dank zweier MVP-Titel, sieben All-NBA-Nominierungen und acht Trips ins All-Star-Game einen hervorragenden Ruf erarbeitet ( hier gibt es seine besten Assists im Video ). Der Floor General besitzt einen enorm hohen Basketball-IQ, war bei Mitspielern wie Coaches immer beliebt und genießt großes Vertrauen von allen Seiten.
Dies sind die wohl wichtigsten Eigenschaften, die für Nash als Head Coach in Brooklyn sprechen. Dessen Soft-Skills lobte auch General Manager Sean Marks, der Nash noch aus gemeinsamen Suns-Zeiten als Teamkollege kennt.
Nichtsdestotrotz gehen die Nets ein gewisses Risiko ein, mit einem unerfahrenen Head Coach einen Angriff auf den Titel zu starten. Doch Kommunikation und den Rückhalt der Superstars scheint in diesem Team, in dem es nicht zuletzt dank Kyries manchmal schwierigem Charakter schnell mal rumort, das A und O. Und schließlich geht Nash das Projekt nicht allein an. Vielmehr hat er einen der spannendsten Coaching-Staffs der gesamten Liga um sich vereint.
Steve Nash und Mike D'Antoni: Wiedervereint in Brooklyn
Da wäre zum einen Jacque Vaughn, der nach der Entlassung von Kenny Atkinson im März interimsweise den Head Coach der Nets gab. Trotz eines stark dezimierten Kaders gewann er fünf der acht Bubble-Spiele, bevor dann in der ersten Runde doch erwartungsgemäß Schluss war (0-4 gegen die Raptors).
Zwar landete Vaughn bei der Coaching-Suche der Nets nur auf Rang zwei, er bleibt dem Staff aber als angeblich bestbezahlter Assistant Coach der Liga erhalten. Er kennt den Kader und die Spieler und wird somit eine wichtige Rolle an der Seite von Nash einnehmen.
Die Einstellung von Mike D'Antoni als Assistant Coach kam dagegen überraschend, galt er doch bei vielen Teams als möglicher Head-Coaching-Kandidat. Stattdessen bringt D'Antoni das mit nach Brooklyn, was Nash am meisten fehlt: Erfahrung. 16 Saisons als Head Coach in der besten Basketballliga der Welt hat der 69-Jährige bereits auf dem Buckel (Bilanz in 1199 Spielen: 672-527).
Er hat so gut wie jede Situation auf einem Basketball-Court schon einmal erlebt, er weiß, was der Job einem abverlangt, und er kennt den Druck, der auf den Nets lasten wird. Und genau wie Nash ist er kein" My-Way-or-the-Highway"-Typ, mit der Rolle als Nummer 2 oder gar Nummer 3 hinter Vaughn sollte er also kein Problem haben. Diese Eigenschaft wird sicherlich auch bei KD und Kyrie gut ankommen.
Der aktuelle Kader der Brooklyn Nets für die Saison 2020/21
Point Guard Shooting Guard Small Forward Power Forward Center Kyrie Irving Caris LeVert Taurean Prince Kevin Durant DeAndre Jordan Spencer Dinwiddie Garrett Temple (Team-Option) Dzanan Musa Rodions Kurucs Jarrett Allen Timothe Luwawu-Cabarrot
Mit Nash als Head Coach: Seven-Seconds-or-Less-Nets?
Gemeinsam mit seinem genialen Point Guard Nash prägte D'Antoni die Seven-Seconds-Or-Less-Ära der Phoenix Suns Mitte der 2000er, das Team revolutionierte den Basketball mit dem schnellen, offensivorientierten Spielkonzept und überrannte Gegner reihenweise. Kaum zu stoppen war dabei auch das Pick'n'Roll-Duo Nash und Amar'e Stoudemire - vor dessen Verletzungsmisere -, der als Player Development Coach ebenfalls zu den Nets stößt.
Die Zusammenkunft des Suns-Triumvirats im Big Apple bedeutet aber nicht automatisch, dass Durant und Irving nun als Reinkarnation dieser legendären Suns-Teams auftreten werden. "Ich möchte definitiv nicht mit starren Konzepten und Designs ankommen, sondern vielmehr Prinzipien und Ideen einbringen", erklärte Nash seinen Führungsstil.
Die Brillanz von D'Antoni habe zu Suns-Zeiten darin gelegen, den Spielern nicht im Weg zu sein. Dies möchte Nash in Brooklyn übernehmen: "Ich habe das Gefühl, dass viele Coaches die Notwendigkeit sehen, jeden Aspekt des Spiels durchzuplanen. Aber meiner Meinung nach lässt du dadurch zu viel liegen, was durch die Persönlichkeiten, die Verbindung und die Dynamik auf dem Court und in der Kabine entstehen kann."
Entsprechend werde er den Nets kein Offensiv-System aufzwingen, immerhin sollten Durant und Irving, angenommen sie kommen nach ihren Verletzungspausen in Top-Form zurück, die Offense problemlos alleine tragen können. Dennoch wird Brooklyn in alter Suns-Tradition sicherlich einen schnellen Spielstil präferieren und wenn Nash und STAT ein paar Pick'n'Roll-Tipps an das Star-Duo weitergeben, verspricht die Offense der Nets einiges an Spektakel.
Brooklyn Nets: Wichtige Entscheidungen in der Offseason
Dennoch plant Nash seinen Fokus zunächst einmal auf die Defense zu legen. Am eigenen Ende des Courts hat Brooklyn zwar fähige Männer wie Jarrett Allen oder KD, doch ansonsten fehlt es an elitären Verteidigern. Hier kommt Ime Udoka ins Spiel, der nächste prominente Neuzugang an der Seitenlinie.
Auch wenn sein Name im Schatten von Nash, D'Antoni und Stoudemire ein wenig verblasst, sein Ruf innerhalb von NBA-Kreisen kann mit denen seiner neuen Kollegen allemal mithalten. Der 43-Jährige war sieben Jahre lang Teil des Coaching-Staffs von Gregg Popovich in San Antonio und vergangene Saison als Assistant von Brett Brown in Philadelphia für die Defense verantwortlich. Auch er war bereits bei einigen Teams als Head Coach im Gespräch, bevor er seine Stelle an der Seite von Nash antrat.
So haben die Nets mit dem erfahrenen und qualitativ enorm hochwertigen Coaching-Staff um die Point-Guard-Legende herum viele potenzielle Schwachstellen eines unerfahrenen Neu-Coaches minimiert, nun gilt es auch den Kader auf den erhofften Titelrun vorzubereiten. Auf der To-Do-Liste für die Offseason stehen einige Themen, angefangen mit der anvisierten Vertragsverlängerung für Joe Harris. Zudem halten sich hartnäckig Gerüchte, dass GM Marks einen dritten Star in den Big Apple lotsen will, im Draft steht außerdem der 19. Pick zur Verfügung.
Mit dem Superstar-Duo und dem neuen Coaching-Staff steht zumindest schon einmal der Grundstein für eine der wohl wichtigsten Spielzeiten in der Franchise-Geschichte. Eine Ausrede wie in der vergangenen Saison, die aufgrund von Durants Achillessehnenriss als Art Übergangs-Jahr eingestuft wurde, gibt es 2021 nicht. Stattdessen lastet eine Menge Druck auf den Nets und auf Head Coach Steve Nash. So hat er es sich ausgesucht.