Der Begriff "Coronagewinner" verbietet sich natürlich von selbst, an dieser Pandemie ist nichts gut. Doch ohne das Coronavirus und seine Folgen hätte Moise Keans Karriere ziemlich sicher nicht diese Wendung genommen.
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Dabei geht es nicht mal unbedingt darum, dass es der 20-Jährige innerhalb weniger Wochen vom unglücklichen Bankdrücker beim Zwölften der abgelaufenen Premier-League-Saison zum Topstürmer des amtierenden Champions-League-Zweiten gebracht hat. Das allein wäre zwar schon außergewöhnlich genug.
Kean profitiert in Paris natürlich auch davon, dass Trainer Thomas Tuchel im Champions-League-Duell mit RB Leipzig (21 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER ) auf seine aus verschiedenen Gründen indisponierten Superstars Neymar, Kylian Mbappe und Mauro Icardi verzichten muss. Keans vier Tore in seinen ersten fünf Spielen bei PSG waren also nicht nur Gold wert, sondern auch absolut nötig.
Was den Last-Minute-Transfer von Moise Kean vom FC Everton zu PSG wirklich außergewöhnlich macht, ist die Tatsache, dass der französische Serienmeister einem Diamanten wie Moise Kean den letzten Schliff verpasst. Zwar mehr oder weniger kostenlos, dafür aber auch ohne größere Aussicht, dauerhaft vom Juwelen zu profitieren. Selbst bei einem notorischen Bling-Bling-Klub wie PSG sitzt das Geld in diesem Seuchenjahr nicht mehr allzu locker, also sind plötzlich Geschäfte möglich, deren geschäftlicher Sinn sich erst auf den zweiten oder dritten Blick erschließt.
Moise Kean: Schlägt er ein, wird er für PSG richtig teuer
Denn Everton verzichtete zwar dem Vernehmen nach auf eine Leihgebühr für Kean, der im Sommer 2019 für 27,5 Millionen Euro von Juventus zu den Toffees gewechselt war. Im Gegenzug hat PSG aber auch keine Kaufoption erhalten. Sollte Paris den Italiener nächsten Sommer partout behalten wollen, würde er richtig teuer werden.
"Wir haben uns dazu entschieden, ihn auszuleihen, damit er mehr Spielzeit bekommt. Er zeigt seine Qualitäten und wird in der nächsten Saison wieder bei uns spielen", sagte Evertons Trainer Carlo Ancelotti dem Liverpool Echo, "ich habe noch nicht mit ihm gesprochen, aber ich habe seine Tore gesehen. Das ist gut. Das ist gut für PSG, für ihn und auch für uns."
Nur zwei Tore gelangen Kean in seiner ersten Saison in der Premier League, nur bei sechs seiner 29 Einsätzen stand er in der Startelf.
Der Stürmer, der einst mit 16 Jahren sein Debüt in der Serie A für Juventus gegeben hatte, dem als ersten im neuen Jahrtausend geborenen Spieler ein Tor in der Serie A gelungen war und der auch bei seinem Debüt für die Squadra Azzurra gleich getroffen hatte, schien sich mit dem Wechsel in die Premier League verdribbelt zu haben.
Der athletische und geschmeidige Angreifer, der auf dem Rasen die Zweikämpfe lieber sucht als ihnen davonzurennen und dem PSG-Coach Tuchel kürzlich attestierte, er würde seiner Mannschaft "Intensität" verleihen, war in England nicht wiederzuerkennen.
Moise Kean galt als Gegenentwurf zu Mario Balotelli
Eben noch zauberte er mit Cristiano Ronaldo im Juve-Trikot und guckte sich von ihm die Tricks ab, nun fremdelte er mit der neuen Sprache, mit seinem Team, mit der Premier League. Auch als mit Carlo Ancelotti im Dezember 2019 ein Landsmann die Toffees übernahm, wurde es nicht wesentlich besser.
Während des Lockdowns brummte der Klub ihm laut Daily Mail eine Geldstrafe von 100.000 Pfund auf, weil er trotz der Kontaktbeschränkungen in seinem Haus eine Party mit mehreren eher leichtbekleideten Damen gefeiert haben soll.
Keine riesengroße Sache für einen Jungprofi heutzutage, aber völlig untypisch für Kean, der in Italien bis dahin eher als Gegenentwurf zu Mario Balotelli gegolten hatte. Dem ersten schwarzen italienischen Nationalstürmer, der zwar einst wie Kean im Hinterhof einer katholischen Kirche mit dem Fußballspielen begann, aber ansonsten nie weiter als sonderlich gläubig oder demütig aufgefallen ist.
Kean klaute als Jugendlicher mal dem Priester seiner Kirchengemeinde einen Fußball, als er seinen eigenen über den Zaun geschossen und verloren hatte, wie er einmal in einer Kolumne bei The Players Tribune schrieb. Aus Verzweiflung, weil er unbedingt Fußballspielen wollte.
Aber was ist ein gestohlener Ball aus einem unverschlossenen Spind gegen Balotellis Feuerwerkskörper im Badezimmer, seine Dartpfeile auf Jugendspieler, seine unbezahlten Knöllchen und sonstigen Skandälchen, für die in Italien das Wort "balotellate" erfunden wurde?
Moise Kean: Mino Raiola brachte ihn zu Everton und PSG
Kean dagegen betonte, wie viel er seinem Glauben, seiner Kirchengemeinde - und ihrem Fußballplatz zu verdanken hatte. Auf dem Steinplatz des Oratorio Don Bosco seiner Heimatstadt Asti im Piemont lernte Kean sein intensives, trickreiches Spiel, von dem heute auch Tuchel schwärmt.
"Wir haben hinter der Kirche gespielt. Sechs gegen sechs. Jeder, der mitspielen wollte, musste zehn Euro bezahlen. Die Gewinnermannschaft bekam alles. Das war jede Woche ein richtiger Kampf. Wenn man gefoult wurde, musste man seinen Schmerz verbergen. So habe ich Fußballspielen gelernt", schrieb Kean noch.
Eine Sache haben aber Kean und Balotelli doch noch gemeinsam: Sie werden beide von Mino Raiola beraten. Und der sei auch verantwortlich für die Probleme Keans in England - meinte Birou Jean Kean, Moises Vater.
"Meinen Sohn nach England gehen zu lassen, war ein Fehler. Er ist noch zu jung, er ist unglücklich bei Everton", sagte Birou Jean schon letzten November einem italienischen Radionsender. "Raiola verlangte die Vollmacht für meinen Sohn, als er 14 war, und wollte ihn schon immer nach England bringen", sagte Birou Jean. Er hoffe inständig, dass sein Sohn zurück nach Italien komme, in England werde seine Karriere zerstört.
Nun hilft Kean ihr in Paris wieder auf die Sprünge.
Champions-League-Gruppe H: Tabelle vor dem 3. Spieltag
Pl. Team Sp. S U N Tore Diff. Pkt. 1 Manchester United 2 2 0 0 7:1 +6 6 2 Paris Saint-Germain 2 1 0 1 3:2 +1 3 3 RB Leipzig 2 1 0 1 2:5 -3 3 4 Istanbul Basaksehir 2 0 0 2 0:4 -4 0