Es war am Dienstagabend schon fast halb zwölf, als Hansi Flick im Pressekonferenzraum der Salzburger Arena saß und wartete. Immer wieder verengte er seine Augen zu kleinen Schlitzen und formte seinen Mund zu einer Spitze. Mal lehnte er sich zurück, dann stütze er sich wieder auf seine Ellenbogen. Man mochte es kaum glauben, aber tatsächlich: Flick wirkte ein kleines bisschen genervt und das war ein ganz neuartiges Ereignis.
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Seit Flick exakt ein Jahr zuvor das Traineramt beim FC Bayern München übernommen hatte, gab es für ihn schließlich kaum Gründe, genervt zu sein. Seine Mannschaft hat ungefähr jedes Spiel gewonnen, das sie gespielt hat. Und sie hat exakt jeden Wettbewerb gewonnen, an dem sie teilgenommen hat. Zwischendurch wurde Flick von allem und jedem für seine Arbeit gelobt.
Während es draußen weiterhin wie in Strömen regnete, saß er nun aber da und wartete schon seit drei Minuten, dass die Tonprobleme behoben werden und die virtuelle Pressekonferenz endlich beginnen kann. Als es soweit war, sagte er nüchtern: "Ich glaube, das Ergebnis ist sehr hoch ausgefallen am Ende."
6:2 hatte der FC Bayern in Salzburg gewonnen und damit auch das dritte von drei Champions-League-Spielen dieser Saison sowie das elfte von elf unter Flicks Aufsicht. Mit einem weiteren Sieg beim Rückspiel in München am 25. November kann der Titelverteidiger den Einzug ins Achtelfinale vorzeitig perfekt machen - doch das war Flick in diesem Moment egal und auch während des Spiels, als man ihn wütend gegen seinen Sitz schlagen sah.
"Es war für den neutralen Zuschauer ein Top-Spiel. Von daher kann der neutrale Zuschauer sehr zufrieden sein", sagte er, lächelte süffisant und machte damit deutlich, wer offenbar nicht zufrieden sein kann: Hansi Flick.
© Nathaniel S. Butler/NBAE via Getty Images
FC Bayerns 6:2 in Salzburg: Mentalitäts- statt Kunst-Sieg
Salzburg habe seine Mannschaft "das eine oder andere Mal auf die Probe gestellt", sagte Flick. Und sie hat diese Probe das eine oder andere Mal nicht bestanden. Etwa in der 4. Minute, als sowohl David Alaba als auch Jerome Boateng und Benjamin Pavard vor Mergim Berishas Treffer zum 0:1 zu lasch verteidigten. Oder in der 66. Minute, als vor Masaya Okugawas 2:2 die Abstimmung zwischen Alaba und Boateng nicht stimmte.
Klar, dazwischen schoss der FC Bayern zwei Tore (Robert Lewandowski per Elfmeter und Rasmus Kristensen per Eigentor) und danach gegen sich langsam aufgebende Salzburger vier weitere (Jerome Boateng, Leroy Sane, erneut Lewandowski und Lucas Hernandez) - aber die schier erdrückende Dominanz, die Flicks Mannschaft vor allem in der Rückrunde der vergangenen Saison zelebrierte, die fehlte. Der FC Bayern erspielte sich zwar viele Chancen, agierte im Defensivspiel aber teilweise unkonzentriert. Salzburg hätte mehr Tore schießen können, vielleicht sogar müssen. Der FC Bayern ließ 18 Schüsse zu, zehn davon gingen aufs Tor.
Es schien fast so, als ärgerten Flick die vier Tore in der Schlussphase, die das tatsächliche Kräfteverhältnis auf dem Platz nicht widerspiegelten. Das Endergebnis überstrahlte die Mängel. Wie schon beim 2:1 beim 1. FC Köln am Samstag handelte es sich auch beim 6:2 in Salzburg über einen Mentalitäts- und keinen Kunst-Sieg.
Als das geklärt war, ging es um die Thematik, die Flick sogar noch etwas mehr nervt: Die Causa David Alaba.
FCB-Sportvorstand Salihamidzic geht von Alaba-Abschied aus
Am Sonntag hatte Präsident Herbert Hainer bekanntlich live im Fernsehen das Vertragsangebot des FC Bayern an Alaba zurückgezogen. Tags darauf klagte der Spieler bei einer Pressekonferenz, dass er dies "aus den Nachrichten" erfahren habe und deshalb "enttäuscht und verletzt" sei. Dann kam Flick und erklärte, "alles andere als glücklich" zu sein. Es waren also alle traurig, aber zu diesem Zeitpunkt wirkte es noch ein kleines bisschen so, als könnten die beiden Parteien - sobald die gegenseitigen Anschuldigungen ungefähr dasselbe Niveau erreicht haben - doch noch zusammenfinden.
Direkt vor dem Spiel in Salzburg wurde dieses eh schon kleine Bisschen aber noch bedeutend kleiner. "Ich weiß nicht, wie wir noch zusammenfinden sollen", sagte nämlich Sportvorstand Hasan Salihamidzic . "Wir müssen uns damit beschäftigen, dass uns David verlassen wird." Alaba ist Abwehrchef und mit 28 Jahren im besten Fußballeralter, sein ablösefreier Abschied wäre laut Salihamidzic "natürlich ein absoluter Super-GAU".
Flick verweigerte bei der Pressekonferenz nach dem Spiel genau wie beim Sky -Interview äußerst schmallippig weitere Wortmeldungen zu der Thematik, versicherte aber, dass Alaba professionell mit der Situation umgeht: "Absolut, zu 100 Prozent."
Doch auch Flick weiß: Dieses Thema wird ihn und den Klub in den kommenden Wochen beschäftigen. Genau wie die ganze Defensive wirkte Alaba gegen die schnellen und wendigen Salzburger nicht so konzentriert wie gewohnt - und bei jedem künftigen Fehler werden die Branchen-Automatismen greifen: Wie sehr setzt ihm seine offene Zukunft zu? Wo unterschreibt er und wann? Ist er abgelenkt? Wirkt sich das sogar auf seine Nebenleute aus?
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Thomas Müller: "Schön, wenn es ein bisschen knistert"
Flick hat den langjährigen Linksverteidiger Alaba direkt nach seiner Amtsübernahme vor einem Jahr zum Abwehrchef gemacht. Seitdem bildet er gemeinsam mit Keeper Manuel Neuer, Mittelfeldmotor Joshua Kimmich, Dauerredner Thomas Müller und Torjäger Robert Lewandowski die wichtigste Achse der Mannschaft. Ein kleiner Knick in diese Achse könnte großen Schaden anrichten.
Alabas Achsenkollege Müller findet die ganze Thematik anders als sein Trainer übrigens gar nicht so nervig. "Es ist ja schön, wenn es ein bisschen knistert", sagte er nach dem Spiel vergnügt und schwelgte in Kindheitserinnerungen: "Ich habe sowas früher auch gerne gelesen. Wenn es mal wieder FC Hollywood hieß, war ich live dabei." In den kommenden Wochen und Monaten darf Müller die weiteren Entwicklungen der Causa Alaba sogar aus nächster Näher verfolgen.