Außerdem spricht Kühnert über hässliche Situationen, die er als Fan von Tennis Borussia Berlin erlebte und beschreibt, warum ein schwuler Fußballer die ganze Zeit wie ein Einhorn in der Herde angeschaut werden würde und die Sensationslust Outings von aktiven Fußballern im Wege steht.
Weitere Themen: Groundhopping-Highlights, Bayern als dritten Verein und die Etablierung eines Sicherheitsfonds im deutschen Profifußball.
Herr Kühnert, Sie haben einmal die Große Koalition als eine Art Spielgemeinschaft zwischen dem BVB und Schalke bezeichnet. Welche Spielgemeinschaft würden Sie sich denn wünschen, um Deutschland voranzubringen und in die Zukunft zu führen?
Kevin Kühnert: Das ist eine gute Frage. Da muss ich mir erst einmal überlegen, welche Parteien sich hinter welchen Vereinen verstecken könnten. Ich würde es mal nach den Werten betrachten, für die Vereine stehen, und es so beschreiben: Deutschland braucht auf jeden Fall eine Portion SC Freiburg. Eine sympathische, beständige Größe mit Solarpanels auf dem Dach, das ist unserer Zeit sehr angemessen. Dann braucht Deutschland auf jeden Fall auch Tradition, also eine Portion Ruhrpott. Dafür würden dann auch sicher ein Stück weit wir als SPD stehen, wobei ich nicht sicher bin, ob wir hier nicht eher den VfL Bochum als den BVB brauchen. Und dann bräuchten wir noch irgendeinen richtig spannenden, zukunftsorientierten Verein, ohne zu plastikmäßig zu sein. Das ist aber leider aktuell eine Leerstelle im deutschen Fußball. Ein Verein mit innovativen Konzepten, der aber kein Retortenklub ist - der fehlt mir momentan im deutschen Fußball. Vielleicht kann da tatsächlich ausnahmsweise mal die Politik dem Fußball etwas vormachen - auch wenn mir diese Aussage jetzt vermutlich empörte Mails mehrerer Klubs einbringen wird, die sich genau in dieser Rolle sehen.
Die DFL hat eine "Taskforce Zukunft Profifußball" ins Leben gerufen, zu der unter anderem auch Cem Özdemir und Ihr Parteifreund Lars Klingbeil gehören. Was würden Sie sich vor allem wünschen, was am Ende vielleicht ein Ergebnis der Gespräche sein könnte?
Kühnert: Es konzentriert sich ja derzeit viel auf die Debatte um die Verteilung der TV-Gelder. Ich halte diese Debatte auch für notwendig, und wenn ich mir ein gerechtes System neu ausdenken müsste, würde mir das bestehende sicher nicht einfallen. Ihm fehlt ein kluger Nachhaltigkeitsmechanismus. Gleichzeitig muss die Liga aber auch ein Eigeninteresse haben, dass beispielsweise der FC Bayern in der Champions League weiter wettbewerbsfähig bleibt. Es ist im bestehenden System nun mal so, dass die deutschen Europapokal-Vertreter auch für die Liga als Ganzes Erfolge einfahren.
Wobei es Ihnen als Arminia-Fan oder einem VfB-Fan doch erstmal komplett egal ist, ob Bayern die Champions League gewinnt oder im Achtelfinale ausscheidet.
Kühnert: Erlauben Sie mir den Seitenhieb, dass VfB-Fans aufgrund der aktuellen Tabellensituation doch sehr interessiert daran sein sollten, dass ordentlich Punkte für die Fünfjahreswertung geholt werden. Vielleicht beschert das am Ende dem VfB sogar noch einen Europa-League-Platz. Aber Spaß beiseite, ich sehe eigentlich nach der Corona-Erfahrung, die wir gemacht haben, eine andere Thematik und eine andere Notwendigkeit. Ich hielte es für wegweisend, wenn ein gewisser Anteil aus den TV-Erlösen generell gar nicht an die Vereine wandert, sondern dafür benutzt wird, um eine Art Sicherungsfonds zu bilden. Für äußere Einflüsse, wie wir sie jetzt in der Coronakrise erleben und die immer eintreten können. Das können wir ja nie ganz ausschließen. Es wäre ein Fonds, wie wir ihn ganz ähnlich nach der Finanz- und Wirtschaftskrise auch bei den Banken eingeführt haben.
Kühnert über Watzke und die Frage der Demut
Es wäre auch ein Signal.
Kühnert: Absolut, es wäre auch eine Botschaft der Fußballbranche, dass sie stark genug sein möchte, sich notfalls am eigenen Schopf aus so einem Schlamassel ziehen zu können. Das aufgebrachte Kapital könnte in Normalzeiten zweckgebunden für soziale Projekte im Umfeld des Sports, oder in die Förderung des Nachwuchses oder des Frauenfußballs gesteckt werden. Das erscheint mir wichtiger und vor allem nachhaltiger als die aktuelle Art der Ausschüttung. Zumal das Geld so auch helfen könnte, um strauchelnden Traditionsvereinen unter die Arme zu greifen. Viele dieser Vereine waren zuletzt total auf die Unterstützung der örtlichen Politik angewiesen. Man denke an die Bürgschaft für Schalke 04. Oder auch an Stadionfragen in Erfurt oder Chemnitz. Gesund ist das nicht.
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Dass das gesamte System Profifußball nicht gesund ist, hat die Coronakrise eindrucksvoll gezeigt. Am Anfang war viel von Demut zu hören. Sehen Sie noch viel Demut, wenn Sie Hans-Joachim Watzke im Sportstudio sitzen sehen?
Kühnert: (lacht) Nein, aber dafür bin ich vielleicht auch nicht BVB-freundlich genug. Gefühlt war der herzlichste Moment in diesem Interview, als Hans-Joachim Watzke über seinen alten Jugendfreund Friedrich Merz gesprochen hat. Vielleicht hat er aber auch nur einen schlechten Tag gehabt und die verschränkten Arme und schmallippigen Antworten kamen daher, ich weiß es nicht. Generell würde ich aber nicht pauschal unterschreiben, dass die Demut schon wieder komplett nachgelassen hätte. Gerade rund um die Frage der Zulassung von Fans nehme ich viele Vereinsvertreter wahr, die einen sehr realistischen Blick auf die Situation haben. Vor dem Bayern-Spiel war es in Bielefeld auch so, dass der Inzidenzwert ein paar Tage vor der Partie zu hoch war und keine Fans ins Stadion durften. Da habe ich kein Murren vernommen, auch wenn wir die Situation natürlich alle beschissen finden. Ehrlich gesagt ist da ja auch jede Diskussion sinnlos, weil es keine sicheren Alternativen zu dieser Herangehensweise gibt. Ich fand aber eine andere Geschichte noch interessant.
Bitte.
Kühnert: Hans-Joachim Watzke spricht stellvertretend für die Top-Klubs gerne davon, dass sie ja anderen Vereinen in der Corona-Not einen Hilfsfonds bereitgestellt hätten. Ehrlicherweise vermisse ich da die Überlegung, ob nicht das System, von dem sie selbst am meisten profitiert haben, nicht gerade seinen Anteil daran hat, dass diese Schieflagen überhaupt entstanden sind und diesen Vereinen geholfen werden muss. Da rede ich nicht von Schalke 04, die schon vor Corona offenkundig nicht ganz gesund waren. Ich rede von den Vereinen, die echt solide gearbeitet haben, aber immer alles Geld ausgeben mussten, um konkurrenzfähig zu sein. Die nicht das berühmte Festgeldkonto aufbauen können. Das erscheint mir ein immanentes Problem im Finanzierungsmodell im deutschen Profifußball zu sein. Wer erst später dazu stößt, startet nicht selten aus der Boxengasse.
Kühnert: "Der Fußball kann eine Umgehungsstraße bauen"
Viele Probleme haben den Ursprung ja schon weit vor der Coronapandemie. Nehmen wir das Thema einer drohenden Entfremdung der Fans. Wie groß ist die Gefahr Ihrer Meinung nach? Oft wird zwar auf die vollen Stadien verwiesen, aber ein ausverkauftes Stadion ist nicht gleichbedeutend mit einer tiefen Bindung.
Kühnert: Wir müssen nur in andere europäische Ligen schauen, da ist die Entfremdung sicher schon weiter vorangeschritten als bei uns. Im Vergleich dazu geht es uns noch gut. Wir haben den Kampf für die Stehplätze in den Stadien - zumindest vorerst - meiner Einschätzung nach gewonnen. Das war ein extrem wichtiger Faktor.
Sie besitzen selbst eine Stehplatz-Dauerkarte bei der Arminia, oder?
Kühnert: Stehplatz, Block 3, ganz genau. Der Erhalt der Stehplätze kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, bei der Frage der Kollektivstrafen haben wir aber zuletzt einen Rückschritt erlebt. Und ich gebe Ihnen Recht, dass der Grund dafür, dass unsere Stadien voll sind, sicher nicht immer in einer extrem tiefen Bindung zum Verein zu finden ist. Es liegt daran, dass wir Fans das Stadionerlebnis an sich lieben und zelebrieren. Das Zusammenspiel miteinander. Deshalb ist es aktuell auch so bitter, keine Fans im Stadion zu haben. Die Fankultur und das Stadionerlebnis sind für mich das höchste Gut, das der Fußball hat. Wir sehen heute immer mehr Kids im F-Jugend-Alter, die im Trikot von Lionel Messi herumlaufen, weil ihnen das viel näher zu sein scheint als der örtliche Zweitligist.
Messi hat auf Instagram 168 Millionen Follower aus der ganzen Welt, die Arminia 90.000.
Kühnert: Die Fokussierung auf die Stars ist eine Entwicklung, die der Fußball nicht aufhalten kann. Aber er kann eine Umgehungsstraße bauen - durch das Stadionerlebnis. Der kleine Junge kann Lionel Messi zwar jeden Tag auf Instagram verfolgen, aber das einzigartige Stadionerlebnis liefert ihm nur sein Heimatverein. Da kann er alle zwei Wochen hingehen, vielleicht als Einlaufkind seine Helden hautnah erleben, vielleicht auch mal in der Fußgängerzone treffen. Diese Einzigartigkeit, im Stadion live dabei zu sein, macht am Ende den Unterschied. Und jeder, der das nicht genügend wertschätzt, der versucht, Fankultur kaputtzumachen, sägt an dem Ast der Identifikation, auf dem er sitzt.
Jeder kennt Sie inzwischen als Hardcore-Arminia-Fan, aber Ihr erster Verein war ein anderer. Wie sind Sie fußballerisch groß geworden?
Kühnert: Als ich neun Jahre alt war, hat mich mein Großvater zum ersten Mal mit ins Mommsenstadion genommen. Zu Tennis Borussia Berlin. 0:2 gegen den SSV Ulm am 33. Spieltag in der Saison 1998/99, danach war TeBe aus dem Aufstiegsrennen in der 2. Liga raus. Aber danach wurde TeBe zu meinem Verein, ich habe später sogar einige Jahre die Fanabteilung geleitet, saß im Aufsichtsrat und habe zusammen mit einem Kumpel das Fan-Radio gegründet.
Sie wollten also Marcel Reif nacheifern?
Kühnert: Marcel Reif vielleicht nicht unbedingt, weil man dann ja bei manchen Leuten nicht so die besten Beliebtheitswerte gehabt hätte. (lacht) Aber grundsätzlich war der Sportjournalismus eine Option für mich, ich habe auch nebenbei Beiträge für das Stadionheft geschrieben. Es war einfach klasse, etwas zu machen, wofür man eine so große Leidenschaft besitzt.
Ihre erste Leidenschaft war aber gar nicht der Fußball, Sie haben beim VfL Lichtenrade Handball gespielt. War Ihr erstes großes Idol also ein Handballer?
Kühnert: Ja, mein erster großer Sportheld war Nikolaj Jacobsen, früher einer der besten Linksaußen der Welt beim THW Kiel, später Trainer der Rhein-Neckar Löwen und heute der dänischen Nationalmannschaft. Ihn habe ich sehr verehrt. Im Fußball ging es dann für mich mit den Bayern-Mannschaften um den Jahrtausendwechsel so richtig los. Giovane Elber, Bixente Lizarazu - das waren Stars, mit denen ich mich gut identifizieren konnte.
"Die Beine in die Hand nehmen und rennen, rennen, rennen"
Sie sind mit Handball und Fußball aufgewachsen. Was lieben Sie bis heute besonders am Handball?
Kühnert: Handball hat mich sehr geprägt, weil ich das selbst von klein auf gespielt habe. Ich genieße da in erster Linie die gesunde Härte. Die Kultur im Handball ist einfach kaum weinerlich. Wenn du da einen Ellenbogen in die Seite gerammt bekommst, gibt es vielleicht eine kurze Unterbrechung und dann geht es weiter. Es wird daraus kein Staatsakt gemacht, das ist so unglaublich angenehm. Schade ist es ein bisschen, dass Überraschungen im Handball leider noch unwahrscheinlicher sind als im Fußball. Bei 50, 60, 70 Toren in einem Spiel kommt es sehr selten vor, dass der Außenseiter sich durchsetzen kann. Auf das große Pokalwunder können Sie da lange warten.
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Der Handball war Ihre erste Liebe, aber der Fußball hat eine entscheidende Rolle gespielt, dass Sie heute in der Politik gelandet sind. Warum?
Kühnert: Der Fußball hat geholfen, aus mir einen politischen Menschen zu machen. Der Fußball ist ja Gesellschaft im besten Sinne. Locker die Hälfte der Gesellschaft interessiert sich dafür und im Stadion treffen sich die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen, die sonst nicht unbedingt aufeinandertreffen würden. Gerade im Amateurbereich, wo alles noch bezahlbarer ist, erleben wir das. Mit allen Vor- und Nachteilen. Es entstehen Fan-Freundschaften, klar, aber du bewegst dich mitunter auch nahe am Abgrund. Wir waren mit TeBe an Orten, da dachte ich mir, Halleluja, wenn das Spiel vorbei ist, geht es nur um eins: Die Beine in die Hand nehmen und rennen, rennen, rennen.
Warum war das so extrem?
Kühnert: TeBe stand schon immer sehr klar für gewisse Werte und hat Haltung gezeigt. Im Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie - und es war auch allen bekannt, was wir verkörpern. Das hat uns manchmal Applaus eingebracht, aber auch brenzlige Situationen. Ich erinnere mich an Momente, als wir in eine vorpommersche Kleinstadt im Regionalexpress eingefahren sind und nicht wussten, ob es im Zweifel dort jemanden geben würde, der auf uns aufpasst, und ob wir wieder heil nach Hause kommen.
Kühnert: "Ich bin aus Trotz Arminia-Fan geworden"
"Juden ins Gas, Kanaken aus Berlin, Lila-Weiß ist schwul" - die Gesänge waren hart. Was geht einem da durch den Kopf?
Kühnert: Die Gesänge waren heftig, aber sie waren nicht das unmittelbare Problem. Du denkst die ganze Zeit daran, dass ja nicht nach dem Spiel Ruhe ist, sondern dass es danach erst losgeht und du schauen musst, so schnell es geht wegzukommen. Ich habe den Eindruck, dass die ganz ordinären Sachen in der Fläche zum Glück weniger geworden sind, man hört nicht mehr ganz so oft Affenlaute, aber dafür ist das Thema Homophobie nach wie vor ein großes. Jemanden als "Schwuchtel" zu beleidigen, scheint für manche Leute doch noch akzeptabler zu sein.
Sie waren noch sehr klein, als TeBe Ende der 90er Jahre nochmal gute Zeiten in der 2. Liga hatte, einmal sogar die Hertha aus dem Pokal warf mit einer Truppe um Francisco Copado. Danach ging es stetig bergab, aber Sie sind TeBe treu geblieben. Was ist das Faszinierende an diesem Verein?
Kühnert: Erst mal finde ich es toll, dass mein Amateurverein nicht irgendein Bolzplatz-Verein unter vielen ist, sondern in den 1970er-Jahren zwei Jahre Bundesliga vorweisen kann. Das ist schon cool. TeBe hatte von Anfang an etwas Besonderes für mich. Alleine der Name und dass du immer gefragt wirst, warum du am Wochenende zum Tennis gehst, ist und bleibt witzig. TeBe war sportlich dann zwar kein attraktiver Verein mehr, als ich großgeworden bin. Schon gar nicht nach der Zeit, in der TeBe einen sehr dubiosen, man muss sogar sagen kriminellen, Investor hatte mit der Göttinger Gruppe. Sportlich mussten wir in der Vergangenheit leben, aber was das Vereinsleben und die Fankultur anging, waren wir im Hier und Jetzt und haben da eine verschworene Gemeinschaft gebildet. Eine Allesfahrer-Saison habe ich zwar nie geschafft, aber ich war einmal sehr nahe dran, die Karte vollzukriegen. 28 oder 29 von 30 Spielen habe ich mal geschafft. Da musste schon die Oma den 70. Geburtstag haben, damit ich das Spiel verpasst habe. Drunter ging es nicht.
Bei TeBe gibt es eine sehr ausgeprägte Zweitvereinskultur, was es Ihnen in der Folge leicht machte, mit der Arminia einen anderen Klub ins Herz zu schließen. Es steht eigentlich überall zu lesen, dass Sie aus Mitleid Bielefeld-Fan geworden sind. Stimmt das wirklich?
Kühnert: Für Außenstehende wirkt das komisch. Als ob es eine total abwägende Entscheidung gewesen wäre. Die war es natürlich nicht. Ein paar Freunde und ich haben uns nach dem Abitur das Tramper-Monatsticket der Bahn gekauft, in erster Linie fürs Groundhopping. Wir waren dann zu einem Montagsspiel auf der Alm und sowohl das Stadion als auch die Atmosphäre haben mich damals beeindruckt. Da war ich aber noch kein Fan. Das hat sich erst geändert, als mir ein Artikel über eine Studie über die Beliebtheit von Profivereinen in die Hand gefallen ist. Dort war die Arminia auf dem letzten Platz, was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Ich hätte die Arminia jetzt nicht ganz vorne erwartet, aber Letzter? Da hätte ich, ohne Namen zu nennen, andere gesehen. Ich habe mich dann in die Vereinsgeschichte hineingefuchst und noch mehr verstanden, was die Arminia für ein korrekter Verein mit einem tollen Umfeld ist. Ich bin aus Trotz Arminia-Fan geworden, das trifft es am besten.
Lassen Sie uns einen kurzen Exkurs zum Groundhopping machen. Woran denken Sie am liebsten zurück?
Kühnert: Was mir immer sofort einfällt, ist die alte Grotenburg-Kampfbahn in Krefeld-Bockum. Die habe ich noch in Reinform gesehen, das war ein echtes Highlight. Ich kann vor allem den alten Kloppern richtig etwas abgewinnen. Westfalia Herne hat einen ganz tollen Kessel. Sie merken schon, für mich muss es nicht immer formvollendet sein, zumal die neuen Arenen ja oftmals nicht besonders schön sind. Für mich müssen Stadien spannende Orte sein, die sich auch irgendwie gut in die Stadt einfügen, so wie beispielsweise auch am alten Tivoli in Aachen. International ragte für mich bis zum letzten Umbau der Tynecastle Park von den Hearts in Edinburgh heraus. Guter Fußball auf dem Feld und diese großartigen alten Holztribünen mit einer Atmosphäre von 1920 auf eine schottische Art und Weise - genial.
Momentan fällt Terminstress aufgrund Arminia-Heimspielen ja aus, wie viele Spiele schaffen Sie denn in normalen Zeiten?
Kühnert: Es ist schon so, dass ich die Arminia-Spiele frühzeitig in meinen Arbeitskalender integriere. Die Kolleginnen und Kollegen in meinem Büro wissen auch Bescheid, dass hier nach Möglichkeit Rücksicht zu nehmen ist. (lacht) Wenn es möglich ist, schaue ich ehrlicherweise auch immer, ob ich nicht Win-Win-Situationen schaffen und ein Arminia-Spiel mit einem politischen Termin verbinden kann, der sonst nicht auf der Strecke gelegen wäre, so aber top passt. In der letzten Zweitligasaison habe ich ein bisschen mehr als die Hälfte der Spiele geschafft. Es funktioniert ganz gut, auch wenn es die erst kurzfristig festgelegten genauen Termine natürlich erschweren. Das war bei TeBe einfacher, da kanntest du vor der Saison fast alle Daten.
Kühnert: "Das ist meine Wohlfühlecke mit dem FC Bayern"
Wie sind Sie denn bis hierhin zufrieden mit den Auftritten der Arminia in der laufenden Saison?
Kühnert: Ich bin ganz angetan von dem, was ich bis jetzt gesehen habe. Ich bin froh, dass wir so früh in der Saison die Bayern schon abgehandelt haben, das nächste Heimspiel ist gegen den BVB - dann wäre das auch erledigt. Mir gefällt die relative Unerschrockenheit, mit der die Mannschaft auftritt. Mich freut es vor allem, dass der bissige, mutige Stil aus der zweiten Liga auch in der Bundesliga zu sehen ist. Die Arminia hat gezeigt, dass sie konkurrenzfähig ist, das ist für mich das erste positive Zwischenfazit. Allerdings werden wir uns noch mehr Torchancen erarbeiten müssen, um bis zum Schluss im Rennen zu sein.
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Die Niederlage gegen die Bayern hat Ihnen vielleicht auch nicht ganz so wehgetan, weil Sie ja die Bayern quasi noch als dritten Klub haben, oder?
Kühnert: Also wehgetan hat die Niederlage trotzdem. Wenn die Arminia gegen die Bayern spielt, gilt natürlich auch der sozialdemokratische Grundsatz "Im Zweifel für den Schwächeren". Da ist schon sehr klar, wem ich die Daumen drücke. Es ist aber richtig, dass ich seit der Kindheit auch Sympathien für den FC Bayern hege. Das lebe ich vor allem im internationalen Bereich aus. Wir haben zu Beginn ja schon über die TV-Gelder gesprochen, die einen Anteil daran haben, dass die Schere so weit auseinander gegangen ist. Ich mache den Bayern keinen Vorwurf, weil sie ja nicht in den vergangenen zehn Jahren die Gegner am Torpfosten festgebunden und die Bälle ins leere Tor geschossen haben, aber dass sich eine gewisse Langeweile eingestellt hat, spüren wir alle. Ich habe noch Jahre erlebt, in denen es vor fast jedem Spieltag grundsätzlich die Möglichkeit gab, dass du auch als Bayern-Fan am Montag von den Kollegen ausgelacht wirst.
Das ist so gut wie unmöglich geworden.
Kühnert: Es ist heute kein Ding der Unmöglichkeit, aber ein Ding der Unwahrscheinlichkeit, das auf jeden Fall. Deshalb sind die Bundesliga und die Champions League auch zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Auch atmosphärisch findet die Champions League für mich in einem ganz anderen Rahmen statt, das ist mehr die Kür, da bin ich nie im Stadion, sondern in der Kneipe. Da geht es nicht um die nackten drei Punkte, sondern auch um einen ästhetischen Ansatz. Das ist meine Wohlfühlecke mit dem FC Bayern.
"Wir als Öffentlichkeit müssen unsere Sensationslust ablegen"
Wir waren zu Beginn bei einer möglichen Spielgemeinschaft, die Deutschland für die Zukunft braucht. Wenn Sie die neue Generation an Vereinsvertretern sehen, zum Beispiel einen Thomas Hitzlsperger in Stuttgart, macht Ihnen das Mut für die Zukunft des Profifußballs?
Kühnert: Auf jeden Fall. Alleine die Tatsache, dass ein hoher Funktionär auf Twitter präsent und unterwegs ist, sagt vieles aus. Vor allem, wie er dort unterwegs ist. Dass er den wirklichen Austausch aktiv sucht und auch ganz unverkrampft zu gesellschaftspolitischen Themen Statements setzt, ist vorbildhaft. Manche haben immer Sorge, wenn sie sich zu mehr als der Aufstellung und den Transfers äußern, aber Thomas Hitzlsperger zeigt, wie es geht. Es ist bestimmt kein Zufall, dass der VfB sich aktuell wieder so positiv entwickelt. Das hat auch viel mit ihm zu tun.
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Hitzlsperger hat kürzlich das Bundesverdienstkreuz bekommen, mit der Begründung, dass er mit seinem Coming-out ein Tabu gebrochen hat und seit vielen Jahren gegen Homophobie, Sexismus und Rassismus in Stadien und Vereinen kämpft. Sein Coming-out war nach der Karriere, wie weit sind wir Ihrer Meinung nach von einem Coming-out eines aktiven Fußballers entfernt?
Kühnert: Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir noch relativ weit davon entfernt sind. Gar nicht mal so sehr, weil die Atmosphäre in den Stadien so flächendeckend homophob ist, wie sie es einmal war. Was wir verstehen müssen: Der Profifußball ist ein Hochleistungsbetrieb, jeder Tag der Spieler ist genau durchgetaktet, Spiel folgt auf Spiel, alles ist durchvermarktet, alles steht unter permanenter medialer Aufmerksamkeit und soziale Verantwortung sollen die Spieler auch noch zeigen - und die Jungs sind im Schnitt Mitte 20. Ich glaube, dass dieses Gegeiere danach, wann denn jetzt endlich der erste aktive schwule Fußballer sich offenbart ein ganz anders gelagertes Angstszenario geschaffen hat, auch wenn es nett gemeint ist.
Was meinen Sie genau?
Kühnert: Ich meine die Angst, gar nicht mehr seinem eigentlichen Job nachgehen zu können. Ein schwuler Fußballer würde die ganze Zeit wie ein Einhorn in der Herde angeschaut werden. Nach jedem Spiel müsste er womöglich Fragen beantworten, ob er denn Rufe von den Rängen wahrgenommen habe. Wir als Öffentlichkeit müssen unsere Sensationslust ablegen. Das ist aktuell noch sehr abschreckend und vielleicht auch ein Grund dafür, warum Thomas Hitzlsperger nach der aktiven Karriere in die Offensive gegangen ist. Mit freiem Kopf und insgesamt auch mehr Freiheiten. Vielleicht müssten sich fünf, sechs, sieben Spieler zusammenfinden, um gemeinsam nach vorne zu gehen und die Last zu verteilen.