Ziemlich genau drei Wochen haben die Minnesota Timberwolves noch Zeit, um sich über eine der wichtigsten Entscheidungen der jüngeren Franchise-Geschichte klar zu werden. Spätestens seit Mitte August grübelt das Front Office der Wolves bereits über diese Frage, doch die Grundlagen für die Entscheidungen werden laut President of Basketball Operations Gersson Rosas schon seit "sechs oder sieben Monaten" erarbeitet: Wer wird der Nr.1-Pick im Draft 2020?
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Als die Draft-Lottery-Kugeln am 21. August das Logo der Timberwolves an erster Stelle ausspucken, dürften sich in Minneapolis Vorfreude und Angstzustände gleichermaßen breitgemacht haben. Einerseits weckt die Aussicht auf ein Trio Karl-Anthony Towns, D'Angelo Russell und dem zukünftigen Nr.1-Pick neue Euphorie. Andererseits bietet der Draft 2020 eine Menge Frust-Potenzial an Position eins, deutlich mehr als in den Jahren zuvor.
Denn eine klare Nr.1, ein Top-Talent, das alle anderen in den Schatten stellt, einen sicheren, zukünftigen Superstar gibt es dieses Mal nicht. Auch wenn die Mock Drafts der unterschiedlichen Portale die unterschiedlichsten Vorhersagen ausspucken, in dieser Hinsicht sind sich die Experten einig. Einen Zion Williamson sucht man in diesem Jahrgang vergeblich.
Und so suchen die Wolves trotz der aufgrund der Corona-bedingten Saisonunterbrechung ungewohnt langen Draft-Vorbereitung weiterhin nach ihrer Nummer 1. Optionen gibt es einige - nur so richtig überzeugend scheint bisher keine davon zu sein.
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Minnesota Timberwolves: Der junge Kern steht
"Viele Spieler sind interessant für mich, wirklich viele", sagte Head Coach Ryan Saunders vor gut zwei Wochen in einem Call mit Journalisten. "Dieser Draft hat eine Vielzahl an sehr talentierten Spielern und wir stehen jedem offen gegenüber." So lässt sich das Dilemma der Wolves positiv ausdrücken.
Das Fehlen der klaren Nummer 1 ist eher ein Vorteil für Teams, die später in der Lottery oder sogar gegen Ende der ersten Runde draften. Der diesjährige Jahrgang gilt als äußerst tief, in dem auch auf den hinteren Positionen noch vielversprechende Talente mit dem Potenzial eines soliden Rollenspielers zu finden sind.
Genau darauf hofft Minny mit den Picks 17 (aus Brooklyn via Atlanta) und 33, doch an Nummer 1 hätten sich Rosas und Co. sicherlich eine leichtere Aufgabe gewünscht, als sich zwischen den potenziellen Top-Picks LaMelo Ball, Anthony Edwards, James Wiseman oder auch einem Obi Toppin entscheiden zu müssen. All diese Spieler bieten eine Menge Upside, es lassen sich aber auch sehr leicht Argumente gegen sie finden.
Mit KAT und Russell steht der junge Kern des Teams, auch wenn Minnesota das Star-Duo der Zukunft erst in einem gemeinsamen Auftritt begutachten konnte. Nach dem Trade für D-Lo im Februar 2020 standen die beiden Kumpels nur einmal gemeinsam auf dem Parkett, bevor Towns aufgrund einer Handgelenksverletzung die restlichen Partien bis zur Corona-Unterbrechung verpasste. Anschließend war die Saison der Wolves gelaufen, als Team mit der drittschlechtesten Bilanz (19-45) erhielten sie keine Einladung zum Restart nach Disney World.
Timberwolves 20/21: Diese Spieler stehen unter Vertrag
Point Guard Shooting Guard Small Forward Power Forward Center D'Angelo Russell Jarrett Culver Josh Okogie James Johnson (Spieleroption) Karl-Anthony Towns Jacob Evans Jake Layman Omari Spellman Naz Reid Jarred Vanderbilt
NBA Draft: Wer passt in das Timberwolves-Profil?
Dennoch soll der Kader um die beiden 24-Jährigen herum aufgebaut werden. Rosas hat bereits angekündigt, dass in der Offseason Restricted Free Agent Malik Beasley, der ebenfalls per Trade aus Denver kam, unbedingt gehalten werden soll. Mit Jarrett Culver, von dem in seinem zweiten Jahr in der NBA ein Entwicklungssprung erwartet wird, wäre der Backcourt bereits gut gefüllt. Towns ist zudem als Center gesetzt.
Somit ergibt Wiseman als Top-Pick eher wenig Sinn, da KAT in einem Twin-Towers-Lineup wohl auf die Vier ausweichen müsste. Mit seinen Fähigkeiten passt Towns als moderner Fünfer aber eigentlich perfekt zur heute weit verbreiteten Small-Ball-Spielweise, die auch Rosas und Saunders präferieren.
Erstgenannter kam im Mai 2019 aus Houston in den hohen Norden und brachte die Ideen seines ehemaligen Vorgesetzten Daryl Morey mit. Seitdem setzt Minnesota nicht nur auf Towns als Center sondern auch vermehrt auf den Dreier. Die Wolves schickten in der vergangenen Saison die drittmeisten Distanzwürfe auf die Reise (39,7 Versuche pro Spiel) - hatten aber die drittschlechteste Quote vorzuweisen (33,6 Prozent von Downtown).
Entsprechend war in den vergangenen Wochen zu vernehmen, dass Minny vor allem nach Verstärkung auf dem Flügel Ausschau hält, die sowohl Gefahr aus der Distanz ausstrahlt als auch die schwache Wolves-Defense (Platz 20 im Defensiv-Rating) voranbringt. In dieses Profil passen Ball und Edwards aber ebenfalls nur bedingt.
LaMelo Ball und Edwards: Viel Potenzial und viele Risiken
Der jüngste Spross aus der Ball-Familie (19) agiert in erster Linie als Ballhandler, als Shooter setzte er sich in Australien dagegen nicht in Szene (25 Prozent Dreierquote bei 6,7 Versuchen im Schnitt). Zwar deuteten Rosas und Saunders bereits an, dass sie sich einen zusätzlichen Ballhandler neben Russell vorstellen können, doch langfristig gesehen wirft eine potenzielle Zusammenarbeit des Guard-Duos Fragen auf. Vor allem, weil Ball auch keine Lösung für das Problem in der Defense darstellt.
Edwards dagegen bringt auch am eigenen Ende des Courts die Möglichkeiten mit, die es braucht, um ein guter Verteidiger zu sein, besonders in physischer Hinsicht. Allein die Konstanz in der Defense war am College noch ein Problem.
Offensiv besticht der 19-Jährige als Scorer mit einem starken Drive und einem soliden Sprungwurf, der aus der Distanz bislang allerdings nicht wie gewünscht fällt (29,4 Prozent bei 7,7 Versuchen für Georgia). Edwards' Schwächen liegen zudem im Playmaking und bei der Wurfauswahl. Wie gesagt, die Wolves haben viele Optionen, doch keine sticht besonders hervor.
NBA Draft: Äußere Umstände erschweren den Prozess
Letzteres bestätigte auch Rosas selbst vor wenigen Tagen in einem Conference Call. "Es gibt nicht den einen Spieler, der sich von der Gruppe abgesetzt hätte in der öffentlichen Wahrnehmung", sagte der 42-Jährige. "Aber ich bin zuversichtlich, dass wir in unserem Prozess ein Talent als das beste identifizieren werden mit dem größten Upside und den besten Fähigkeiten für unsere Organisation."
Die äußeren Umstände erschweren diesen Draft-Prozess natürlich. Bis Mitte Oktober waren aufgrund der Coronavirus-Pandemie keinerlei persönliche Workouts oder Interviews der Spieler bei den Teams erlaubt. Die Gespräche fanden über Zoom statt, dafür wurden die Tapes der jeweiligen Prospects aus dem College beziehungsweise anderen Ligen bis ins kleinste Detail studiert.
Womöglich überzeugt einer der Top-Talente in den kommenden drei Wochen vor dem NBA Draft (18. November) in einem Workout bei den Wolves, ansonsten hat das Front Office noch eine weitere Option: Übereinstimmenden Medienberichten zufolge ist Minnesota offen für einen Trade.
Die Frage ist nur, was ist der Nr.1-Pick in Anbetracht des fehlenden, klaren Superstars in diesem Jahrgang überhaupt wert? Da auch die Warriors angeblich daran interessiert sind, ihren Nr.2-Pick abzutreten, könnte letztlich sogar der Markt an Top-Picks größer sein als die Nachfrage.
Minnesota Timberwolves: Ein Trade scheint die beste Option
Die Wolves hätten angeblich gerne einen Spieler, der dem Team sofort weiterhilft. Dies ergibt insofern Sinn, da Minnesota lieber früher als später um die Playoffs im engen Westen kämpfen will, um Towns nicht zu vergraulen. Als zusätzliche Trade-Assets stünden den Wolves junge Spieler wie Josh Okogie oder Culver, die beide noch in ihren Rookie-Verträgen sind, oder der auslaufende Kontrakt von James Johnson (sofern dieser seine Spieleroption in Höhe von 16 Mio. Dollar zieht, was sehr wahrscheinlich ist) zur Verfügung.
Auch ein Tausch des ersten Picks mit einem späteren könnte für Minnesota interessant werden, um beispielsweise den vielseitigen Flügelspieler und starken Verteidiger Deni Avdija (der allerdings ebenfalls Probleme mit dem Shooting hat) von Maccabi Tel Aviv ins Visier zu nehmen und gleichzeitig noch eine kleine Zugabe in Form eines Rollenspielers oder eines zukünftigen Picks in dem Deal abzustauben. Das erscheint aktuell als die beste Option.
Unklar ist derzeit, inwiefern sich der angeblich bevorstehende Verkauf der Franchise von Glen Taylor auswirken wird. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass Rosas und das Front Office am Draft-Abend relativ freie Hand haben werden. Womöglich wird erst dann die finale Entscheidung getroffen.