"Wir hatten Real am Haken. Jetzt müssen wir mit dem Punkt leben", sagte ein konsternierter und auch ein bisschen stolzer Gladbach-Trainer Marco Rose nach dem Spiel. Am Ende war es aber der bittere Beigeschmack, der überwog - und das durchaus zurecht.

Borussia Mönchengladbach machte über 86 Minuten gegen Real Madrid fast alles richtig, verteidigte mit eiserner Disziplin, ließ kaum etwas zu und hatte in Marcus Thuram und Alassane Plea ein französisches Duo auf dem Platz, dass durch pure Effizienz, Spielfreude und Leidenschaft bestach.

Zweimal legte Plea für Thuram auf. Einmal herausragend wie beim ebenso traumhaften Abschluss von Thuram zum 1:0, einmal unfrewillig durch einen von Real-Keeper Courtois gehaltenen Volleyschuss vor Thurams Abstauber zum 2:0. Wie fehlerfrei Gladbach über weite Strecken agierte, zeigt die Anzahl der Fehlpässe von Innenverteidiger Nico Elvedi. Null.

Doch das reichte nicht. Weil Gladbach in der Schlussphase seine Konter nicht vernünftig ausspielte. Und weil bei Real immer noch Weltklassespieler wie Karim Benzema, Casemiro, Sergio Ramos und Luka Modric spielen - alle vier waren die Protagonsiten bei Reals Last-Minute-Comeback, das einen historischen Fehlstart in die Champions-League-Gruppenphase mit zwei Pleiten aus zwei Spielen verhinderte.

Verdient wäre eine Niederlage dennoch gewesen. Zu harmlos wirkte Real über 85 Minuten, zu langsam war das Spiel im letzten Drittel. Da überraschte es, dass Trainwer Zinedine Zidane nach dem Spiel zu Protokoll gab, er habe "ein gutes Spiel" seiner Mannschaft gesehen: "Wenn wir so spielen, werden wir große Dinge erreichen." Die Ansicht dürfte er in Madrid exklusiv haben, nicht zu Unrecht stapfte Benzema direkt nach Abpfiff angefressen in die Kabine, wohlwissen, dass es das Glück war, welches die Königlichen an diesem Abend gerettet hatte.

"Wir haben ihnen genau da wehgetan, wo wir ihnen wehtun wollten", sagte Rose und haderte mit den vergebenen Konterchancen in den letzten 20 Minuten: "Donezk hat das dritte Tor gemacht, wir haben es verpasst."

Für Gladbach war das 2:2 durch Casemiro in der Nachspielzeit bereits der zweite Last-Minute-Ausgleich in dieser Champions-League-Saison. Bereits vergangene Woche gegen Inter Mailand gaben die Fohlen eine Führung kurz vor Schluss noch aus der Hand. "Man darf vielleicht gar nicht darüber nachdenken, dass wir jetzt sechs oder vier Punkte haben könnten. Dann wird's ganz bitter", sagte Rose bezüglich der Tabellenkonstellation in der Gruppe B, die nun überraschend von Donezk mit vier Zählern angeführt wird.

Borussia Mönchengladbach - Real Madrid: Die Analyse

Sowohl Gladbach als auch die favorisierten Spanier rückten zu Beginn beim gegnerischen Ballbesitz früh vor und pressten hoch auf die spieleröffnenden Innenverteidiger. Beide Teams versuchten das gegnerische Pressing spielerisch ins Leere laufen zu lassen, was Real etwas besser gelang als den Gladbachern. Die Fohlen standen im 4-2-3-1 jedoch kompakt und ließen zunächst nichts zu.

Als Schlüsselspieler für offensive Vorstöße der Borussen entpuppte sich Stindl, der als freies Radikal weite Wege ging, sich aus der Spitze fallen ließ und so eine zusätzliche Anspielstation als Bandenspieler gab. Das war in zwei Szenen in Halbzeit eins zwar schön anzuschauen, jedoch nicht von Durchschlagskraft gekrönt.

Für eine Schrecksekunde sorgte Gladbach-Keeper Sommer, der im eigenen Fünfer ins Dribbling mit Vinicius Jr. und Benzema ging (20.). Danach wurde Real stärker, Asensio ließ drei Gladbacher stehen, der Abschluss von Vinicius wurde jedoch geblockt. Anschließend prüfte Kroos Sommer aus der Distanz, die großen Chancen blieben jedoch aus, weil Real spielerisch nur selten durchkam, Gladbach hochdiszipliniert verteidigte und kaum Fehler machte.

Dieser unterlief ausgerechnet Kroos im Aufbauspiel: Ein Fehlpass des Nationalspielers fand über Stindl den Weg zu Plea, der Thuram per Beinschuss gegen Varane traumhaft bediente. Dessen Abschluss aus zwölf Metern war der erste Torschuss der Gladbacher im Spiel und zappelte dann gleich unhaltbar im Winkel. Traumtor!

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Gladbachs Thuram wird zum Sinnbild der Effizienz

Die sehr linkslastigen Königlichen, die oft Lainer in der Defensive attackierten, antworteten mit der ersten starken Kombination über den umtriebigen Fede Valverde und diesmal die rechte Seite von Bensebaini, Asensios Pfund aufs kurze Eck parierte Sommer jedoch stark (38.).

Asensio stand auch nach der Pause, aus der Real druckvoll kam, im Blickpunkt: Ein krummes Ding des Spaniers nach einer unnötigen Ecke landete am Gebälk (46.). Die Tore aber fielen auf der anderen Seite: Sobald sich eine Möglichkeit ergab, spielte Gladbach es blitzsauber und zielstrebig. Einen Plea-Volley staubte Thuram, der zuvor den Angriff selbst initiiert hatte, zum 2:0 ab (58.).

Danach ging alles und Gladbach war plötzlich spielerisch sogar eine Klasse besser als die Königlichen, die fast hilflos Flanke nach Flanke in den Gladbacher Strafraum schlugen. Ramos fungierte ab der 65. Minute quasi als hängende Spitze und Real stand oftmals mit nur noch zwei defensiven Absicherungen da.

Die Fohlen verpassten es in der Folge, mit dem 3:0 endgültig den Sack zuzumachen und die ansonsten starke Innenverteidigung um Ginter und Elvedi, dem im gesamten Spiel kein einziger Fehlpass unterlief, begann zu wackeln. Real, das kaum Chancen nach dem 0:2 hatte, nutzte einen Anschlusstreffer von Benzema (87.), um sich moralisch zurückzubeißen. Casemiro staubte nach einem Modric-Freistoß ab und schockte Gladbach in letzter Minute. Ein unverdienter Punktgewinn der Madrilenen.

Borussia Mönchengladbach - Real Madrid: Die Aufstellungen

  • Borussia Mönchengladbach: Sommer - Lainer, Ginter, Elvedi, Bensebaini - Kramer, Neuhaus - Hofmann, Stindl (79. H. Wolf), Thuram (71. Herrmann) - Plea (79. Embolo)
  • Real Madrid: Courtois - Vazquez, Varane, Sergio Ramos, F. Mendy - Casemiro - Fede Valverde, Kroos (71. Modric) - Asensio, Vinicius Junior (70. E. Hazard) - Benzema

Borussia Mönchengladbach - Real Madrid: Die Daten des Spiels

Tore: 1:0 Thuram (33.), 2:0 Thuram (58.), 2:1 Benzema (87.), 2:2 Casemiro (93.)

  • Das 1:0 gegen Real war der erste Champions-League-Treffer in der Karriere von Marcus Thuram.
  • Real hatte elf Schüsse in der ersten Hälfte (drei aufs Tor). Das sind die meisten Schüsse gegen ein deutsches Team seit 2014 (gegen Schalke). Gladbach traf mit dem einzigen Schuss der gesamten Hälfte.
  • Marcus Thruam ist erst der zweite Franzose der gegen Real zwei oder mehr Tore in einem Europapokalspiel erzielt (nach Ludovic Giuly für Monaco in der Saison 2003/04).
  • Auch wenn es nach 3 Niederlagen in Folge ein Remis gibt, ist Real Madrid hiermit seit 4 Europapokalspielen ohne Sieg. So lange wartete man zuletzt zwischen 2005 und 2006 vergeblich auf eine volle Ausbeute. Damals waren es sogar 5 Spiele (2 Remis, 3 Niederlagen).
  • Mit zwei Torbeteiligungen (1 Tor, 1 Assist) in dieser CL-Saison hat Casemiro ebensoviele wie in der gesamten CL-Vorsaison.
  • Benzema hat in jeder seiner zwölf Saisons bei Real mindestens ein CL-Tor erzielt. Nur Raul hat in mehr Saisons für Real mindestens ein Tor geschossen (14).

Star des Spiels: Marcus Thuram (Borussia Mönchengladbach)

Zwei Chancen, zwei Tore: Thuram stand sinnbildlich für die blitzsaubere und hocheffiziente Leistung der Gladbacher an diesem Dienstagabend. Sein 2:0 leitete er außerdem selbst ein. Gewann außerdem 75 Prozent seiner Zweikämpfe, machte Bälle gut fest. Eine ganz starke Leistung des Franzosen. Ebenfalls gut: Doppel-Vorlagengeber Plea, Kapitän Stindl und die Innenverteidigung um Ginter und Elvedi, der eine Passquote von 100 Prozent (!) verzeichnete.

Flop des Spiels: Vinicius Jr. (Real Madrid)

Was Thuram auf der Gladbacher Seite war, war Vinicius Jr. auf Reals Seite. Ein Sinnbild der Tor-Ungefährlichkeit. Zwei seiner drei Abschlüsse, die durchaus in aussichtsreicher Position waren, wurden geblockt. Dazu verzeichnete er 15 (!) Ballverluste bis zu seiner Auswechslung (70.). Der kampf- und laufstarke Lainer hatte stets die Oberhand. Ebenfalls schwach: Ferland Mendy, der Lainer vor dem 0:2 ungestört flanken ließ.

Der Schiedsrichter: Orel Grinfeld (Israel)

Legte einen Zweikampf von Lainer gegen Vinicius Jr. im ersten Durchgang sehr englisch aus, hatte aber ansonsten alles im Griff, musste jedoch kaum knifflige Entscheidungen bewerten. Zückte erst in der 55. Minute zurecht die erste Gelbe Karte, nachdem Stindl Asensio gelegt hatte. Alles in allem ein guter Auftritt des israelischen Unparteiischen.