Es war Mitte der ersten Halbzeit des Bundesligaspiels gegen Eintracht Frankfurt, als Schiedsrichter Markus Schmidt eine etwas robustere Zweikampfführung von Leon Goretzka mit einem Foul ahndete. "Das war gar nichts", brüllte der zu diesem Zeitpunkt schon mit einer Gelben Karte bedachte Goretzka wütend.

Trainer Hansi Flick eilte daraufhin an den Rand seine Coachingzone, winkte seinen Mittelfeldspieler zurück und brüllte noch einen Tick lauter: "Leon! Leon! Jetzt kann man es eh nicht mehr ändern."

Es war nur eine kurze Sequenz, die alle Beteiligten mit der Ausführung des Freistoßes sicherlich schon wieder vergessen hatten - aber gleichzeitig eine, die exemplarisch für den aktuellen FC Bayern steht.

Das Mitteilungsbedürfnis beim FC Bayern

Seit Anbeginn der Geisterspiele weiß man, dass die Spieler des FC Bayern auf dem Platz ein größeres Mitteilungsbedürfnis haben als ihre Gegner. Und gefühlt wird bei jedem Spiel noch ein bisschen mehr gesprochen als beim vorangegangenen: mit dem Schiedsrichter genauso wie untereinander. Vor allem junge Talente und Neuzugänge - gegen Frankfurt beispielsweise Bouna Sarr - erleben kaum eine unkommentierte Aktion: Sie werden eingewiesen, gelobt und kritisiert.

"Das gegenseitige Coachen fordern wir Trainer immer wieder ein. Es ist wichtig, dass wir uns auf dem Platz gegenseitig anfeuern und pushen", sagte Flick. Besonders wortgewaltig ist dabei die zentrale Achse der Mannschaft bestehend aus Manuel Neuer, David Alaba, Joshua Kimmich, mit Abstrichen Goretzka und vor allem Thomas Müller, dessen Sätze beim Sieg in der Champions League gegen Atletico Madrid schon Kultstatus erreicht haben. Und das übrigens völlig zurecht: Wer außer Müller verwendet denn noch das Wort "Rabauken"?

Als er gegen Atletico in der Anfangsphase eine Gelbe Karte sah, rief Müller bekanntlich: "Wollt ihr mich verarschen? Was ist hier los? Wir spielen gegen Atletico Madrid, die größte Rabaukentruppe im Weltfußball. Und ich sehe für so etwas Gelb?" Kurz darauf erzielte Kingsley Coman das 1:0, am Ende stand es 4:0.

Müller beobachtet eine Verbesserung im Zweikampfverhalten

Flick nannte Müller daraufhin "den verlängerten Arm des Trainers" und lobte ihn für sein Statement: "Danach hatten wir eine gewisse körperliche Präsenz, die wichtig war gegen eine Mannschaft, die robust und aggressiv agiert." Aus einem verbalen Statement wurde ein körperliches: Müller beschuldigte die gegnerischen Spieler des Rabaukentums und animierte damit die eigenen zu selbigem.

Tatsächlich gingen die Spieler des FC Bayern gegen Atletico anschließend robuster als gewohnt in ihre Zweikämpfe (und gewannen knapp 53 Prozent davon). "Das war in den Spielen davor nicht immer der Fall", fand Flick. Diese Thematik scheint ihm ein großes Anliegen zu sein, denn bei der darauffolgenden Pressekonferenz vor dem Frankfurt-Spiel erklärte er, ohne explizit darauf angesprochen worden zu sein: "Mir hat gegen Atletico gefallen, dass wir wieder robuster waren."

Auch Müller beobachtete eine Verbesserung in dieser Hinsicht und merkte kritisch an, dass "wir in der ersten Phase dieser Saison nicht mehr so dynamisch und entschlossen in die Zweikämpfe gegangen sind".

Süle, Hernandez und Tolisso sorgen für Robustheit

Einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung zu mehr Robustheit hatten gegen Atletico neben seinem eigenen Statement drei Spieler, die in der vergangenen Triple-Saison aufgrund verschiedener Verletzungen nur eine untergeordnete Rolle spielten: Innenverteidiger Niklas Süle (25), Linksverteidiger Lucas Hernandez (24) und Mittelfeldspieler Corentin Tolisso (26).

Alle drei stehen - genau wie der seit der Corona-Zwangspause deutlich stabilere Goretzka - für eine etwas körperlichere Herangehensweise und kommen aktuell immer besser in Form. Gegen Atletico zählten sie zu denjenigen, die die meisten Zweikämpfe führten - und waren vor allem die drei Startelf-Spieler, die in dieser Disziplin die höchste Erfolgsquote aufwiesen: Süle 100 Prozent, Tolisso 70 Prozent, Hernandez 67 Prozent.

Jerome Boateng lobt: "Wir waren von Anfang an aggressiv"

Gegen Frankfurt, so etwas wie das Atletico Deutschlands, fehlte Tolisso aber rotgesperrt und die zuletzt viel eingesetzten Süle und Hernandez wurden zunächst geschont - die neugewonnene Robustheit blieb aber bestehen. Das Spiel gegen Atletico hatte offenbar etwas von einer Robustheits-Initialzündung. "Wir waren von Anfang an aggressiv und griffig", lobte Hernandez-Ersatz Jerome Boateng.

Dabei half Hernandez aber bald doch auch selbst mit, nach nicht einmal drei Minuten wechselte ihn Flick für den ohne gegnerische Einwirkung umgeknickten Alphonso Davies ein. Der Senkrechtstarter der vergangenen Saison fällt nun wegen einer Bänderverletzung im rechten Knöchel für sechs bis acht Wochen aus, Hernandez wird somit noch wichtiger.

Neulich lobte Flick den Franzosen, der im Sommer 2019 für 80 Millionen Euro vom Rabauken-Klub Atletico verpflichtet worden war und immer noch der teuerste Spieler der Klubgeschichte ist, als "absoluten Fighter". Er bringe eine gewisse Härte mit und "tut uns damit gut". In Moskau wird ihn Flick aller Voraussicht nach wieder in die Startelf berufen - genau wie Süle und Tolisso.