Was ist passiert?
Die Saison der Miami Heat war ein voller Erfolg und selbst das klingt fast noch etwas untertrieben. Vor der Saison sagten die Buchmacher in Las Vegas den Heat etwa 43 Siege voraus - Miami gewann am Ende 44 Spiele in der Regular Season und das in einer Corona-bedingt verkürzten Spielzeit mit 73 Partien.
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Vor ziemlich genau einem Jahr hatte kaum jemand damit gerechnet, dass der dreimalige Champion im Oktober 2020 in den Finals gegen die Los Angeles Lakers um die Larry O'Brien Trophy kämpfen wird. Gut, diesen späten Zeitpunkt konnte ohnehin niemand ahnen, doch auch allein der Wettschein "Heat erreichen die Finals" hätte einen netten Geldregen beschert.
Selbst kurz vor dem Start der Postseason galt Miami neben den Milwaukee Bucks, Boston Celtics oder Toronto Raptors höchstens als Außenseiter auf einen tiefen Playoff-Run. Die Heat starteten als Nr.5-Seed in die Playoffs, machten aber in Runde eins kurzen Prozess mit den angeschlagenen und ersatzgeschwächten Indiana Pacers.
Im Anschluss folgte das Duell mit dem großen Favoriten aus der Eastern Conference und mit dem MVP und Defensive Player der Saison in Personalunion. Wirklich beeindrucken konnte Giannis Antetokounmpo das starke Teamkonstrukt der Heat aber nicht. Bereits nach fünf Spielen (und einer Knöchelverletzung beim Greek Freak) war die Sache gelaufen.
Nach den Bucks kegelte Miami mit den Boston Celtics den nächsten hochgehandelten Favoriten aus den Playoffs. Dabei stellte Tyler Herro unter Beweis, dass er selbst in seinem Rookie-Jahr keine Angst vor der großen Bühne hat, Bam Adebayo packte den Block der Postseason gegen Jayson Tatum aus und gemeinsam mit Jimmy Butler machte er tatsächlich den ersten Finals-Trip seit 2014 perfekt.
Dort traf Miami ausgerechnet auf die Lakers und LeBron James, der die letzte erfolgreiche Ära der Heat von 2010 bis 2014 mit der Big Three geprägt hatte. Und wieder zeichnete sich ein ähnliches Bild, das sich durch die komplette Saison zog. Kaum jemand traute den Heat zu, den großen Favoriten zu ärgern. Spätestens nach der 2-0-Lakers-Führung und den Verletzungen von Bam und Goran Dragic, zwei der drei besten Playoff-Scorer des Teams, erwartete so mancher einen Sweep.
Doch die Heat taten das, was sie am besten können: Kämpfen. In Spiel 3 und Spiel 5 knöpfte Butler dem Favoriten mit epischen Auftritten immerhin zwei Siege ab. Am Ende waren LeBron und Anthony Davis aber doch zu stark. So blieb die ultimative Krönung für das Überraschungsteam der Saison 2019/20 aus.
Miami Heat vs. Los Angeles Lakers: Die Finals im Überblick
Spiel Datum Team 1 Team 2 Ergebnis 1 1. Oktober Los Angeles Lakers Miami Heat 116:98 2 3. Oktober Los Angeles Lakers Miami Heat 124:114 3 5. Oktober Miami Heat Los Angeles Lakers 115:104 4 7. Oktober Miami Heat Los Angeles Lakers96:102 5 10. Oktober Los Angeles Lakers Miami Heat108:111 6 12. Oktober Miami Heat Los Angeles Lakers93:106
Kann Miami mit Butler und Adebayo einen Titel holen?
Ein knappes "Ja" scheint auf den ersten Blick die logische Antwort zu sein. Immerhin waren die Heat auf dem Papier sehr nah dran, obwohl sie fast die kompletten Finals über auf Dragic verzichten mussten und Adebayo nach seinem Comeback nach einer Nackenverletzung nicht an seine vorigen Leistungen anknüpfen konnte. Was wäre wohl für ein fittes Heat-Team möglich gewesen?
So waren die Heat tagtäglich auf eine Monster-Performance von Butler angewiesen, um die Spannung in der Serie hochzuhalten. In Spiel 3 und Spiel 5 lieferte Jimmy Buckets in beeindruckender Manier ab, gerade in Spiel 6 war aber der Tank leer. Nichtsdestotrotz bewies er, dass er der Go-to-Guy eines Finals-Teams sein kann. Seine Qualitäten als Leader sind ohnehin seit dieser Saison unbestritten.
Adebayo hat sich derweil in seiner ersten Saison als Vollzeit-Starter direkt ins All-Star-Team gespielt. Mit dem Small-Ball der Heat in den Playoffs ließ Head Coach Erik Spoelstra den 23-jährigen Big Man vollends von der Leine, mit Bam als Fünfer reizte Miami dessen Stärken als vielseitiger Verteidiger, der am anderen Ende des Courts sowohl Playmaker als auch Finisher sein kann, aus.
Und doch schwingt beim obigen "Ja" noch der ein oder andere Zweifel mit. Miami hat bei seinem Playoff-Run sicherlich auch von den widrigen Umständen profitiert, die funktionierende Team-Chemie war in der Bubble wohl wichtiger als in anderen Spielzeiten. Manch andere Teams sind daran gescheitert.
Und: Bam ist kein dominanter Scoring-Big, doch gerade einen weiteren Scorer würde den Heat gut zu Gesicht stehen. Herro kann das in Zukunft vielleicht sein, doch aktuell ist er defensiv noch zu anfällig. Ein dritter Star, der auf beiden Seiten des Courts verlässlich seinen Mann steht, würde einige Fragezeichen in Miami auslöschen.
Kein Wunder, dass die Spekulationen um Interesse der Heat an Giannis Antetokounmpo oder Victor Oladipo nicht abreißen. Miamis Suche nach einem weiteren Star an der Seite von Butler und Bam könnte so auch den Zahltag für den Big Man nach hinten verschieben. Adebayo ist in dieser Offseason berechtigt, eine vorzeitige Vertragsverlängerung auszuhandeln, derzeit spielt er noch unter seinem Rookie-Vertrag (5,1 Mio. Dollar für 2020/21).
Dass Miami ihm schon jetzt eine Verlängerung anbietet, ist aber eher unwahrscheinlich, da sich Teampräsident Pat Riley keinen Cap Space für die Zukunft verbauen möchte. Bams Cap Hold im Sommer 2021, dann wird er Restricted Free Agent, liegt bei 15 Mio. Dollar. Nach einer Vertragsverlängerung für das Maximalgehalt, was er sicherlich fordern wird und zweifelsohne verdient hätte, hätte Miami deutlich mehr in den Büchern stehen - und damit weniger für einen weiteren Star in der Hinterhand.
Es wird ein wenig Verhandlungsgeschick benötigen, um den Big davon zu überzeugen, bis ins nächste Jahr mit seiner Verlängerung zu warten. Es wäre aber das Beste für das Team.
Wie geht es für Goran Dragic bei den Miami Heat weiter?
"Warum musste das genau jetzt passieren?" Diese Frage stellte sich Dragic in den vergangenen Tagen immer wieder. Seine Verletzung in Spiel 1 der Finals, der Slowene zog sich einen Riss der Plantarfaszie in der linken Fußsohle zu, setzte ihn für den Rest der Serie gegen die Lakers außer Gefecht. Zwar versuchte er sich in Spiel 6 an einem Comeback, war aber weit entfernt von seiner Top-Form.
Die brachte ihm in den Playoffs zuvor ein Career-Playoff-High von 19,1 Punkten bei 44,4 Prozent aus dem Feld und 34,6 Prozent von der Dreierline sowie 4,4 Assists und 4,1 Rebounds im Schnitt ein. Nachdem er im Sommer 2019 fast getradet wurde und in der regulären Saison seinen Platz als Starter verlor, stellte er für Miami in der Postseason dennoch seine Qualitäten unter Beweis.
Dragic war nicht nur in sportlicher Hinsicht ein wichtiger Aspekt des Erfolges, sondern auch ein wichtiger Bestandteil dieser eingeschworenen Heat-Truppe. "Das war eine gigantische Saison für uns. Wir haben gute und schlechte Zeiten durchgemacht, aber wir sind immer zusammengeblieben", sagte Dragic nach den Finals. "All die Momente auf und abseits des Courts, die drei Monate, die wir hier in der Bubble zusammen verbracht haben, das werde ich für den Rest meines Lebens wertschätzen."
Und auf Instagram schrieb der Dragon: "Wir haben hier etwas Besonderes aufgebaut und wir werden zurückkommen." War das schon ein Hinweis, wie es für Dragic in der Offseason weitergehen wird? Der 34-Jährige ist Miamis wichtigster eigener Free Agent, seine Aussagen lassen darauf schließen, dass er bei den Heat bleiben möchte.
Auch Miami wird Interesse haben, den Point Guard zu halten. Aber: Um den bereits angesprochenen Cap Space für den Sommer 2021, wenn unter anderem Antetokounmpo auf den Markt kommen könnte, zu wahren, könnte die Franchise unter Umständen nur einen Einjahresvertrag auf den Tisch legen. Reicht das Dragic?
In seinem hohen Sportler-Alter könnte er einen womöglich letzten, langfristigen Vertrag anstreben, seine Leistungen in den Playoffs haben gezeigt, dass er es wert ist. Langfristige Beschwerden werden Dragic nach seiner Verletzung wohl nicht bleiben, auch eine Operation ist nicht vonnöten. In einer insgesamt eher schwachen Free-Agent-Klasse könnte er somit Interesse von der Konkurrenz auf sich ziehen. Gut möglich, dass Dragic aber zugunsten der Heat-Culture auf zukünftige Sicherheit verzichtet.
Mit Giannis Antetokounmpo im Hinterkopf - was können die Heat in der Offseason machen?
Neben der Personalie Dragic muss sich Miami um die auslaufenden Verträge von Jae Crowder, Meyers Leonard, Derrick Jones Jr. sowie Solomon Hill kümmern. Die beiden Letztgenannten werden in den Planungen der Heat wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen, wenn überhaupt, Leonard könnte für wenig Geld zu haben sein. Immerhin zeigte der Center in der regulären Saison teils gute Leistungen, auch wenn er in den Playoffs kaum mehr spielte.
Crowder dagegen würden die Verantwortlichen aufgrund dessen defensiver Qualitäten sicherlich gerne auch in Zukunft im Heat-Trikot sehen. Die Frage ist nur zu welchem Preis? Zieht Kelly Olynyk seine Spieleroption für 2020/21 in Höhe von 13,2 Millionen Dollar - wovon auszugehen ist -, dann kann Miami mit circa 20 Millionen Dollar Cap Space rechnen (natürlich abhängig davon, wie hoch der Salary Cap am Ende wirklich sein wird).
In der Free Agency könnte womöglich der Name Danilo Gallinari erneut in den Fokus von Riley und Co rücken. Die Heat waren schon vor der Trade Deadline an dem Forward der Thunder dran, ein Deal scheiterte letztlich aber angeblich daran, dass sich beide Seite nicht auf eine Vertragsverlängerung einigen konnten.
Gallinari passt vom Profil als Scorer auf dem Flügel sehr gut zu den Heat, im Rahmen des Festival dello Sport in seiner italienischen Heimat betonte der 32-Jährige zudem, dass ihm die Chance auf eine Championship wichtiger sei als der schnöde Mammon. Musik in den Ohren von Pat Riley.
Dessen Augenmerk liegt schließlich auf der Offseason 2021, wenn wie bereits angesprochen ein gewisser Giannis A. Free Agent werden könnte. Mit der Kombination aus Cap Space, jungen Talenten, gestandenen Veteranen, Steuervorteilen in Florida und dem Reiz vom South Beach will Riley den nächsten Superstar an Land ziehen.
Diesem Gedanken wird sich in der kommenden Offseason wohl alles unterordnen müssen, so auch die Verträge für eventuelle Neuzugänge. Ähnlich wie Dragic werden so auch Crowder, ein Gallinari oder andere Heat-Ziele keine Verträge bekommen, die sich auf die zukünftige finanzielle Situation des Teams einschneidend auswirken.
Gehören die Miami Heat 2021 zur Riege der Titelanwärter?
Vor gut einem Jahr galten die Heat noch als Team mit einer vielversprechenden Zukunft, nun stellte sich heraus, dass sie auch für die Gegenwart bereits äußerst gut aufgestellt sind. Oder war der Trip in die Finals am Ende doch nur ein Ausrutscher?
Fakt ist, dass die Konkurrenz im Osten nicht kleiner wird. Giannis und die Bucks werden kommende Saison einen weiteren Anlauf auf den Titel starten, die Celtics wollen ebenfalls den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung machen, Toronto darf man nicht abschreiben und dann lauern ja auch noch die Brooklyn Nets mit einem fitten Kevin Durant und Kyrie Irving.
Es wäre also anmaßend, eine weitere Finals-Teilnahme als Mindestziel für die Heat zu erwarten. Mit gezielten Verstärkungen in der Offseason kann Miami aber ohne Zweifel auch im kommenden Jahr eine gute Rolle im Kreis der Favoriten der Eastern Conference spielen.
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Der Kern mit Adebayo und Butler sowie den vornehmlich jungen Rollenspielern wie Herro, Robinson und Kendrick Nunn steht für die Zukunft. Auch Olynyk oder Andre Iguodala - dessen hochdotierter Zweijahresvertrag über 30 Mio. Dollar beinhaltet eine Team-Option für das zweite Jahr und kann auch als Trade-Chip hergehalten werden - tragen eine gewisse Qualität zum Team bei.
Das Championship-Fenster der Heat hat sich gerade erst geöffnet und auf absehbare Zeit wird es sich wohl auch nicht mehr schließen - vor allem wenn in der Free Agency 2021 der ganz große Wurf gelingen sollte.
Spätestens dann will Butler sein Versprechen, eine Championship nach Miami zu bringen, einlösen. "Ich habe meinen Job nicht erledigt", sagte der 31-Jährige nach der finalen Pleite gegen die Lakers. "Ich werde meinen Teil der Abmachung also in den kommenden Jahren erledigen müssen."