Im Interview mit SPOX und Goal spricht Gebre Selassie über die Anfänge seiner Karriere in Tschechien, das abgebrochene Studium und seine Erfahrungen mit Rassismus.
Zudem äußert sich der 33-Jährige zu seiner langer Zeit bei Werder, zwischenzeitlichen Angeboten und erklärt, warum ihn Kevin de Bruyne einst so beeindruckt hat.
Herr Gebre Selassie, mit sieben Jahren haben Sie in der Kleinstadt Velke Mezirici mit dem Fußballspielen begonnen, 1998 ging es weiter in die Bergbaustadt Jihlava, die nur ein paar Kilometer entfernt war. Dort haben Sie dann mit 19 erstmals in der Herrenmannschaft gekickt. Wie erinnern Sie sich an Ihre fußballerischen Anfänge in Tschechien?
Theodor Gebre Selassie: Ich habe sieben Jahre in der Jugend in Jihlava und später bei den Senioren in der 3. Liga gespielt. Als ich dabei war, mein Abitur zu machen, war meine Mutter mit meinen Noten nicht zufrieden. Sie sagte, das sei das wichtigste Jahr für mich und wollte, dass ich wieder zurück in meine Heimatstadt nach Velke Mezirici komme. Ich wurde dann dorthin verliehen und habe in der U23 in der 4. Liga gespielt. Es sah also alles andere als danach aus, dass ich eines Tages den Sprung in eine Profimannschaft schaffe. Ich habe auch nie daran gedacht, mal Profi zu werden oder gemeint, ich müsse das unbedingt hinkriegen. Ich dachte eher, ich studiere an der Uni und als Nebenjob kicke ich ein bisschen.
Der Plan war demnach, Fußball und Studium zu kombinieren?
Gebre Selassie: Genau. Ich habe mein Studium begonnen, ging von der Leihe zurück nach Jihlava und habe gehofft, dass ich dort ein bisschen mehr Geld bekomme, weil ich zuvor fast gar nichts verdient habe.
Eingeschrieben waren Sie im rund 200 Kilometer entfernten Olmütz für ein Katastrophenschutz-Studium. Wie sind Sie denn darauf gekommen?
Gebre Selassie: Ich fand das einfach interessant. Gerade die Frage, wie man Krisen- und Ausnahmesituationen am besten löst und in Not geratenen Menschen hilft. Für mich komplett überraschend kam dann das Angebot aus Jihlava, dort bei der ersten Mannschaft in der 2. Liga einen Profivertrag unterschreiben zu können. Ich weiß noch, wie wir uns deshalb getroffen haben und ich im Hinterkopf hatte, was ich ungefähr verdienen möchte, damit das mit dem Studium hinhaut. Man legte mir den Vertrag vor und dort stand dann der doppelte Betrag.
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War Ihnen ab da klar, dass Sie Ihr Geld mit dem Fußballspielen verdienen können und es das Studium nicht mehr braucht?
Gebre Selassie: Nein, denn auch dieser Betrag war wirklich nicht hoch. Es war aber genug Geld, um das Studium zu finanzieren. Ich habe dann versucht, beides parallel hinzukriegen. Das hielt aber nur drei Monate an, weil es einfach unmöglich war, beides vernünftig unter einen Hut zu bekommen. Und dann ging auf einmal alles ganz schnell: Im ersten halben Jahr habe ich bis Weihnachten nur ab und zu gespielt, doch in der Rückrunde kam ich durchgängig zum Einsatz.
Und Sie wurden U21-Nationalspieler.
Gebre Selassie: Das war eine Saison später, nach den ersten Spielen 2007/08. Ich war der einzige Zweitligaspieler, der nominiert wurde. Erst als ich ein paar Wochen später zu Slavia Prag gewechselt bin, wurde mir bewusst, dass es mit dem Geldverdienen als Profi tatsächlich funktionieren wird. Bis dahin war ich ja nur in der 2. Liga unterwegs und dort verdient man einfach nicht so, dass man mit großer Gewissheit voll auf eine Karte setzen kann. Slavia hatte es damals zum ersten Mal in die Champions League geschafft. Das war also sportlich ein riesiger Schritt für mich. Privat genauso, denn auf einmal lebte ich allein in der größten Stadt des Landes und meine heutige Frau sah ich nur am Wochenende.
Nur ein Jahr später im September 2008 wechselten Sie zunächst auf Leihbasis zu Slovan Liberec. Weil der Sprung zu Slavia zu groß war?
Gebre Selassie: Ja. Ich hatte nur etwas mehr als eine Halbserie regelmäßig in der 2. Liga gespielt und kam dann zur besten Mannschaft Tschechiens. Da konnte ich einfach noch nicht richtig mithalten. Wir hatten viele junge Spieler im Kader und einen sehr harten Trainer, der uns die Sache nicht leichter gemacht hat. Es war vollkommen anders als das, was ich zuvor kannte.
Als Sie zum ersten Mal für die U21 aufliefen, wurden Sie der erste dunkelhäutige Spieler einer tschechischen Fußball-Auswahl und schrieben Geschichte. Wie stolz hat Sie das gemacht - und wie waren die Reaktionen darauf?
Gebre Selassie: Sehr stolz. Jedoch weniger aufgrund dieser Tatsache, sondern weil ich es bis dorthin geschafft habe. Meine Hautfarbe war damals ein Thema. Es gab unterschiedliche Meinungen und nicht alle waren damit zufrieden, dass ich in der Mannschaft war. Das war leider zu erwarten, auch wenn es nicht extrem negativ war. Die Sache ist dann deutlich größer geworden, als ich 2011 mein Debüt für die A-Nationalelf gab.
Wegen Ihres Vaters haben Sie einen äthiopischen Nachnamen, kommen aber aus einem kleinen Ort im Süden Tschechiens und haben das Land erst mit 25 Jahren verlassen. Wann haben Sie das erste Mal Rassismus verspürt?
Gebre Selassie: Das weiß ich nicht mehr genau, aber es zieht sich durch mein gesamtes Leben. Wissen Sie, ich war schon als kleines Kind in der Schule oder bei meinen Vereinen der einzige Dunkelhäutige. Man gewöhnt sich daran und merkt es fast nicht mehr. Ich hatte auch das Glück, dass ich von Anfang an viele Freunde hatte und das Thema nie zu einem großen Problem für mich wurde. Ich musste mir aber über die Jahre einige schlimme Sachen anhören. Man lernt jedoch, dass man nicht so empfindlich sein darf - leider. Schon in der Jugend haben sich manche Gegenspieler oder Eltern in dieser Hinsicht nicht vorbildlich verhalten. Später in den unterklassigen Ligen, wo die Zuschauer nah am Spielfeld standen, ging es so weiter. Es ist leider wie es ist, solche Menschen wird es bedauerlicherweise immer geben.
Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald hat sich persönlich und stellvertretend für den Verein schon mehrere Male gegen Rassismus positioniert. "Es ist ein Widerspruch, Werder und die AfD gut zu finden", sagte er beispielsweise einmal. Auch Frankfurts Präsident Peter Fischer tritt öffentlich vehement gegen Faschisten ein. Würden Sie sich wünschen, dass sich deutlich mehr Vereine so klar positionieren?
Gebre Selassie: Selbstverständlich. Mich macht es wirklich stolz, in einem Verein zu spielen, der öffentlich klipp und klar Haltung zeigt.
Rassismus, Rechtspopulismus, Klimakatastrophen, die Corona-Pandemie - wie schauen Sie denn als Privatperson auf die heutige Welt?
Gebre Selassie: Natürlich mit Sorge. Wie in Deutschland ist auch in Tschechien eine rechtspopulistische Partei immer populärer geworden. Diese Parteien arbeiten mit der Angst der Menschen und es ist erschütternd zu sehen, wie gut das für sie funktioniert. Es will mir einfach nicht in den Kopf, warum manche Menschen andere nicht akzeptieren, nur weil sie eine unterschiedliche Hautfarbe oder auch Religion haben. Es ist sehr schade und traurig, dass es kaum möglich scheint, dieses Problem eines Tages zu lösen.
Theodor Gebre Selassie: Seine Karriere im Überblick
Verein Pflichtspiele Tore Vorlagen SK Slavia Prag (2007-08) 12 - 1 Slovan Liberec (2008-12) 103 8 7 SV Werder Bremen (seit 2012) 263 20 16
Seit 2012 spielen Sie nun schon in Bremen. Unmittelbar vor Ihrem Wechsel nach Deutschland gewannen Sie mit Liberec die Meisterschaft und wurden zum Spieler des Jahres gewählt. Wie sehr bedauern Sie, dass seitdem kein weiterer Titel mehr hinzugekommen ist?
Gebre Selassie: Enorm, denn ich habe in den vergangenen Jahren gemerkt, wie sehr es mir fehlt, mal wieder etwas zu gewinnen. Das war damals so wunderbar und ist wohl für jeden Profisportler der Antrieb Nummer eins. Wir waren vor zwei Jahren nah dran, als wir im Pokal-Halbfinale standen und sehr ärgerlich gegen die Bayern ausgeschieden sind.
Welche Optionen gab es damals neben Werder noch für Sie?
Gebre Selassie: Ich hatte ein paar Möglichkeiten vor der Europameisterschaft, doch keiner der interessierten Vereine war eine bessere Adresse als Werder.
Mittlerweile sind acht Jahre vergangen, Sie haben 263 Pflichtspiele für Werder absolviert und werden für Ihre Vereinstreue von den Fans gefeiert. Was haben Sie früher über Spieler gedacht, die sehr lange für nur einen Verein gespielt haben?
Gebre Selassie: Ich fand das schon immer sehr cool. Gerade die Wertschätzung, die solche Spieler erfahren, hat mir imponiert. Es gibt ja eine bestimmte Wechselwirkung: Die Fans sind stolz auf einen und ich selbst bin stolz, so lange bei einem tollen und traditionsreichen Verein mit fantastischen Fans in einem tollen Land zu spielen. So empfinde ich es jedenfalls.
Wenn Sie es sich hätten frei aussuchen können, in welchem Land hätten Sie gerne einmal gespielt?
Gebre Selassie: Früher hat mich das Leben in den USA sehr interessiert. Wenn man allerdings sieht, was dort seit ein paar Jahren politisch abgeht, ist das längst hinfällig.
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Gab es zwischenzeitlich eine Offerte, die Sie von Werder fast weggelockt hätte?
Gebre Selassie: Es gab immer mal Angebote, doch letztlich hat es zu den unterschiedlichen Zeitpunkten vor allem aus familiären Gründen gepasst, weiterhin in Bremen zu bleiben und zu verlängern. Wir hatten alles, es funktionierte alles, unsere Kinder kamen auf die Welt, ich spielte in einem geilen Klub in einer super Liga - ich habe nicht ein einziges Mal wirklich ernsthaft darüber nachgedacht, woanders hinzugehen. Manches Mal habe ich kurz überlegt, aber mein zweiter Gedanke war immer: Wäre das auch gut für die Familie? Und die Antwort fiel eben jedes Mal gleich aus.
Wer war denn für Sie das größte Talent oder der beste Mitspieler Ihrer Bremer Zeit?
Gebre Selassie: Ganz klar Kevin de Bruyne. Er hat mich total beeindruckt und war schon damals in diesem jungen Alter unglaublich gut. Seine gesamten Fähigkeiten, was er alles auf dem Platz machen konnte, die Spielweise - das war herausragend.
Und wer war der Verrückteste?
Gebre Selassie: Da würden mir viele einfallen. (lacht) Marko Arnautovic war auf jeden Fall ein sehr spezieller Kerl. Er hat nicht ganz zu Unrecht einen gewissen Ruf weg, aber er ist wirklich ein extrem netter Mensch.
Sie haben im November zum vierten Mal bei Werder einen Vertrag unterschrieben, der im kommenden Jahr ausläuft. Im Winter wollen Sie besprechen, wie es weitergeht und ob Sie dann nach Tschechien zurückkehren, wo Ihr Sohn eingeschult werden soll. Eigentlich hätte er bereits dieses Jahr in die Schule gehen sollen - damit steht doch die Entscheidung schon fest, oder?
Gebre Selassie: Das kann man so sehen. (lacht) Ich habe es ja schon einmal gesagt: Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass das nun meine letzte Saison für Werder ist.
Was wäre denn Ihr sportlicher wie privater Wunschtraum, wenn Sie an die nächsten drei Jahre denken?
Gebre Selassie: Ideal wäre es, wenn wir jetzt mit Werder eine starke Saison spielen, ich anschließend zurück nach Tschechien gehe, mein Körper weiter hält und ich noch einen Titel gewinne. Ich würde gerne noch weiterspielen, aber es kann auch sein, dass mein Körper nicht mehr so mitmacht, wie ich mir das vorstelle. Ich will nicht erst dann aufhören, wenn es nicht mehr geht, sondern noch mit meinen beiden Söhnen viel Sport machen können. Daneben hätte ich dann deutlich mehr Zeit für meine Familie, Eltern und Schwester. Als Profi verpasst man leider sehr viel.
Und nebenbei gingen Sie dann wieder studieren, wie Sie einmal sagten?
Gebre Selassie: Ein Studium zu beginnen ist tatsächlich ein Gedanke. Ich weiß aber nicht, in welcher Form und in welche Richtung es dann gehen soll. Ich schaue sehr gerne Filme und Serien. Seit ein paar Jahren interessiere ich mich für die Musik, die darin benutzt wird. Die kann nämlich sehr entscheidend und wichtig sein. Oft macht sie in gewissen Szenen wirklich den Unterschied und erzielt eine ganz andere Wirkung, als wenn man eine andere oder gar keine Musik darüberlegen würde.
Eine finale Frage noch, die mich persönlich irgendwie interessiert: Sie haben an Weihnachten Geburtstag...
Gebre Selassie: (unterbricht) Katastrophe! Das wünsche ich keinem Kind.
Eben. Da haben Sie doch früher bestimmt bedauert, dass Geburtstag und Weihnachten nicht an zwei verschiedenen Tagen stattfinden, oder?
Gebre Selassie: Klar. Wir waren ja auch nicht reich, daher gab es nur einmal Geschenke und ich konnte mich nur auf einen Tag freuen. Wir haben zwar auch Namenstag gefeiert, aber da gab es nur Kleinigkeiten. Das hat mich früher lange genervt, mittlerweile sehe ich das aber entspannter. (lacht)