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Seit 32 Saisons gibt es die Heat als NBA-Franchise. Drei Meisterschaften wanderten seither an den Südstrand, nun steht die bereits sechste Teilnahme an den Finals an. In 21 dieser Saisons nahm Miami an den Playoffs teil, richtig grausam waren die Heat nur in den ersten beiden Jahren sowie in der Saison 2007/08 (15 Siege).
Seitdem Pat Riley die Heat 1995 übernahm, ist die Bilanz mit nur sechs verpassten Postseasons sogar noch beeindruckender, kaum ein Team konnte über diese Jahre mit der Konstanz der Heat mithalten, geschweige denn ein Expansion-Team. Als Referenz: Die Charlotte Hornets, die im selben Jahr wie Miami in die Liga kamen, gewannen seither ganze vier Playoff-Serien.
Miami hat sich hingegen als Top-Franchise etabliert, wandelte mit nur kurzen Übergängen von einer Erfolgsära in die nächste: Den Grundstein legten Alonzo Mourning und Tim Hardaway in den späten 90ern, 2003 kam Dwyane Wade, 2006 der erste Titel mit Shaquille O'Neal, dann die vier Finals-Teilnahmen mit den Big Three. Nun stehen die Heat erneut auf der größten Bühne, und vielerorten wird Rileys Zusammenstellung dieses Teams sogar als sein größter Trick gefeiert.
Miami Heat als Antithese zum Tanking?
Nach dem Abgang von LeBron James 2014 und dem erzwungenen Karriereende von Chris Bosh sah der Ausblick Miamis verdammt düster aus, eine "normale" Franchise hätte höchstwahrscheinlich den Rebuild eingeleitet. Miami schlug einen anderen Weg ein. Miamis Erreichen der Finals ist ein Sieg der Kultur, der #HeatCulture, sozusagen eine Antithese zum verhassten Tanking.
Das liest und hört man derzeit oft, wie so oft ist es mit der Wahrheit allerdings nicht ganz so einfach. Miami hat viel richtig gemacht, gleichzeitig spielte das Glück auch eine Rolle und mehrere Verträge der letzten Jahre (wie für Tyler Johnson, James Johnson, Kelly Olynyk, Dion Waiters oder Hassan Whiteside) rangierten irgendwo zwischen mies und richtiggehend katastrophal.
Zudem hat Miami in seinem Standort einen Vorteil, den 90 Prozent der NBA-Teams nicht haben. Dass Shaq 2004 nicht in Charlotte landete, war kein Zufall, ebenso wenig wie die Zusammenkunft der Big Three. Der South Beach allein ist für viele Spieler ein Argument, um zumindest Meetings mit den Heat zuzustimmen.
Was wiederum nicht heißt, dass sie nicht auch selbst für viele Argumente sorgen würden. Einen guten Standort haben beispielsweise auch die Knicks, Rileys alte Liebe, die jedoch nunmehr seit Jahrzehnten fast alles andere falsch machen. Die Heat haben den Standort, Rileys Charme - aber sie ruhen sich eben nicht darauf aus.
Die Podcast-Vorschau zu den Finals gibt es hier!
Harte Arbeit an der Grenze zum Bodyshaming
Im Zentrum von fast allem, was die Heat machen, steht - so klischeehaft das klingt und so klischeehaft das von den Heat auch teilweise ausgeschlachtet wird - harte Arbeit. Die Heat definieren sich über teilweise militärische Strukturen, nicht aus Zufall fand das erste Training Camp der Big Three 2010 auf einer Militär-Basis statt.
Ständig werden die konditionellen und Körperfett-Werte aller Spieler gemessen, wer seine Linie nicht hält, verliert leicht auch mal seinen Kaderplatz. Schlechte konditionelle Werte werden am Ende von Trainingseinheiten vor dem gesamten Team ausgerufen, streng genommen betreiben die Heat "konstruktives" Bodyshaming.
"Diese Kultur ist echt", erklärte James Johnson, der von 2016 bis zum Anfang diesen Jahres in Miami spielte, mal dem Miami Herald . "Wir haben die Art von Trainingseinheiten, bei denen man nicht am Abend davor die ganze Zeit unterwegs sein kann. Denn wir werden es ansprechen, wenn du nicht voll dabei bist. Alle hier im Team. Wir überlassen das nicht den Coaches, wir kümmern uns selbst darum."
Als Resultat sind die Heat ein unheimlich fittes Team; legendär war das Beispiel von Johnson selbst, der zuvor keineswegs als unfitter Spieler verschrien war, in Miami aber innerhalb eines Sommers 18 Kilo abnahm und das beste Jahr seiner Karriere spielte. Waiters, aber auch LeBron James waren andere Beispiele. Der King blieb nicht in Miami, hat den Fokus auf unglaubliche Fitness aber in seiner weiteren Karriere beibehalten.
Pat Riley und Erik Spoelstra sind schon ein Vierteljahrhundert in Miami
Der Grundstein dafür wurde wiederum schon von Riley und Mourning gelegt - womit wir bei der nächsten Säule der Heat-Kultur wären. Die institutionelle Kontinuität ist diesseits von San Antonio fast beispiellos. Mourning beendete Anfang 2009 seine aktive Karriere, seit dem Juni desselben Jahres ist er als Vice President of Player Programs and Development für die Heat tätig.
Riley ist bereits ein Vierteljahrhundert in Miami tätig, Erik Spoelstra fing sogar schon ein paar Wochen eher an und arbeitete sich mit der Zeit vom Video-Koordinator zum Assistant Coach und 2008 sogar zu Rileys Nachfolger hoch. Die Loyalität zwischen beiden konnte auch nicht erschüttert werden, als die Big Three während der ersten gemeinsamen Saison fragten, ob Riley nicht doch wieder auf die Trainerbank zurückkehren wollte. Es gab keine Diskussion.
Mit dieser Loyalität versuchen die Heat auch ihre wichtigsten Spieler zu behandeln, auch wenn dies mit Wade kurzzeitig anders lief ("Mein größter Fehler", sagte Riley über dessen Abgang nach Chicago). Udonis Haslem ist so ein Fall. Seit gut fünf Jahren spielt der Veteran sportlich eigentlich keine Rolle mehr, Miami behält ihn jedoch als Mentor und "Fahnenträger", wie Riley es gern ausdrückt, und reserviert ihm solange einen Kaderplatz, wie Haslem das will.
Miami Heat: Die Arbeit verdient Respekt
Das erfüllt letztendlich zwei Dinge: Zum einen kann Haslem die Kultur vermitteln, da er universell respektiert wird und auch mit nun 40 Jahren noch vollen Einsatz im Training gibt, zum anderen wird Haslem dafür entlohnt, dass er während seiner besten Jahre immer wieder auf Gehalt verzichtete, um der Franchise neue Moves zu ermöglichen.
Deswegen ist er noch kein Assistant Coach in Miami - die Heat wollen ihm die Möglichkeit geben, selbst über seinen Abgang zu entscheiden. Das sind Entscheidungen, die ligaweit durchaus Respekt einfordern, ähnlich wie die gute Arbeit des Front Office, das seit Jahren No-Names wie Duncan Robinson, Kendrick Nunn, Rodney McGruder, Chris Silva oder Derrick Jones ausgräbt und zu NBA-Spielern macht.
Das ruft wiederum auch Spieler auf den Plan. Jimmy Butler etwa wurde schon gut drei Jahre, bevor er in Miami landete, mit den Heat in Verbindung gebracht, auch Wade legte hier in der gemeinsamen Bulls-Saison offenbar ein gutes Wort ein. Nun darf man bezweifeln, dass die Heat, wenn sie ihre Kultur beispielsweise in Charlotte aufgebaut hätten, den gleichen Reiz auf Butler ausgeübt und er dann einen Trade zu den Hornets erzwungen hätte - Fakt ist, dass das Gesamtpaket bestens passte.
Jimmy Butler: Realer Wert geht über den Boxscore hinaus
Butler ist dabei die Blaupause eines Heat-Spielers. Er hat sich seinen Platz in der Liga als einstiger Nr.30-Pick hart erarbeitet, definiert sich zuallererst als Defensivspieler und "tough guy", kein Spieler in der NBA redet mehr darüber, wie viel er arbeitet und wie sehr er gewinnen will (na, wer wird beim nächtlichen Dribbeln im eigenen Hotelzimmer angeschwärzt?!).
Sein Ruf hatte in der Liga Schaden genommen, nachdem er innerhalb von zwei Jahren bei drei Teams entweder ging oder gegangen wurde, aber aus heutiger Sicht muss man ihm zugutehalten, dass er weder in Chicago, noch in Minnesota oder Philadelphia "das Problem" war, als welches er oft dargestellt wurde. Es ist ohnehin egal. Mit etwas Verspätung hat Butler das perfekte Team für sich gefunden.
Der 30-Jährige ist kein klassischer Superstar; er kann zwar mal 40 Punkte auflegen, tut das aber sehr selten. In Miami ist er mehr Spielmacher denn je, seine Defense ist punktuell noch immer bärenstark, dazu liefert er regelmäßig die allseits beliebten "Winning Plays", die so nicht im Boxscore auftauchen. Seit Jahren lieben ihn Advanced Metrics wie VORP (Value Over Replacement Player) mehr als die klassischen Counting Stats.
Bam Adebayo ist defensiv der Schlüssel
Butler ist ein Star, dessen Wirken auf dem Court weit über die eigenen Punkte hinausgeht. Als neutraler Beobachter dachte man sich zwar auch in den laufenden Playoffs des Öfteren, dass er jetzt mal mehr übernehmen müsste, aber die Resultate geben ihm Recht; immer wieder versuchte er, zuerst andere Spieler zu involvieren, und so traten sowohl beispielsweise Tyler Herro als auch Goran Dragic punktuell neben Butler als Closer in Erscheinung.
Auch Bam Adebayo fällt in diese Kategorie von Star - trotz seiner All-Star-Nominierung in dieser Saison hatten ihn viele vor den Playoffs als solchen auch deshalb noch gar nicht auf dem Zettel, weil er normalerweise keine 30 Punkte pro Spiel auflegt. Doch der Center ist Miamis vielleicht wichtigste Waffe; was Adebayo bisher in den Playoffs vor allem defensiv abliefert, ist gerade in seiner Vielseitigkeit kaum genug hervorzuheben. Zumal er nebenher offensiv, wie ein athletischerer Draymond Green, auch noch oft der Ausgangspunkt der Heat-Angriffe ist.
In dem Nr.14-Pick von 2017 und Butler hat Miami ein Star-Duo, das in Sachen Renommee und Talent nicht ansatzweise mit den beiden Nr.1-Picks LeBron und Anthony Davis bei den Lakers mithalten kann, das dafür jedoch perfekt zur Philosophie dieser Organisation passt. Dank Spoelstra spiegelt sich diese auch in der Spielweise der Heat wider, an beiden Enden des Courts.
Miami Heat: Bewegung schlägt Einzelaktionen
Vorne leben die Heat weniger von individueller Klasse, auch wenn diese vorhanden ist, als von ständiger Bewegung. Nba.com/stats zufolge liefen die Heat pro Playoff-Spiel knapp 2,1 Kilometer mehr als die Lakers, und dabei war ihre durchschnittliche Geschwindigkeit auch noch deutlich höher. Natürlich ist das auch Matchup-bedingt, aber es spiegelt den Eindruck.
Insbesondere Robinson steht während des Spiels niemals still, erinnert in seinen besten Spielen (offensiv!) ein wenig an Klay Thompson. Wann immer er um einen Block rennt und einen Ball fängt, zeigen seine Füße in Richtung des Korbes, er hat kaum verschwendete Bewegung. Zudem ist sein Zusammenspiel insbesondere mit Adebayo teilweise eine Augenweide.
Der Release des Edelschützen ist so schnell, dass jede Millisekunde zu spät tödlich sein kann. Zumal man sich üblicherweise längst nicht nur auf das Zusammenspiel zweier Spieler, sondern auf die Bewegung von fünf Akteuren konzentrieren muss. Dieses Beispiel aus dem sechsten Spiel gegen Boston zeigt das ebenfalls: Robinson wird hier nur so frei, weil Butler abseits des Balles cuttet und dadurch die Aufmerksamkeit von Marcus Smart bindet.
Es erfordert höchste Konzentration, gegen die Heat immer wieder korrekt zu rotieren, bisher war keiner ihrer Gegner dieser Aufgabe in den Playoffs konstant gewachsen. Zumal: Wenn der Impact dieser Off-Ball-Aktionen limitiert wurde, konnte bisher das individuelle Shotmaking von Butler, Herro und Dragic immer wieder ausreichend Lücken (oder auch Freiwürfe) finden.
Das ist aber nicht ihr primärer Ansatz. In den Playoffs liefen anteilig nur die Magic, Nets und Nuggets weniger Isolation Plays, dafür rangierten die Heat in den Top 5 bei den Abschlüssen nach Cuts (3), nach Handoffs (1), Off Screen (3) und bei der Pick'n'Roll-Frequenz (5). Simpel ausgedrückt: Ihre offensiven Lösungen sind fast immer Team- und keine Einzelaktionen.
Miami spielt eine moderne Zonenverteidigung
Auch defensiv ist ihr Ansatz team-zentriert, was bei den besseren Teams ohnehin Standard ist - aber die Heat treiben es auch in dieser Kategorie auf die Spitze. Immer wieder war im Lauf der Eastern Conference Finals von ihrer Zonenverteidigung die Rede und diese dürfte auch gegen die Lakers und insbesondere LeBron unheimlich wichtig werden.
Miami hat das etwas staubige Konzept, das durch das immer besser werdende Shooting in der Liga eigentlich kontraintuitiv sein müsste, grundlegend modernisiert: Vorne üben zwei langarmige, athletische Spieler (oft Butler und Andre Iguodala) Druck auf die Ballhandler aus, in der hinteren Reihe decken neben Allzweckwaffe Adebayo dann kleinere Spieler die Ecken ab.
Zonenverteidigung auf "normalem" Niveau verleitet die beteiligten Spieler oft, sich ein wenig auszuruhen, schließlich ist man ja nur für einen kleinen Teil des Courts zuständig - bei den Heat läuft es logischerweise anders. Bei ihnen wirkt es, als würde das Aktivitätsniveau im Vergleich zur normalen Mann-Mann-Verteidigung sogar steigen. Den Celtics nahmen sie mit diesem Ansatz immer wieder den Rhythmus, gerade Kemba Walker hatte eine enorm schwierige Serie.
Defensive: Die Heat sind wandlungsfähig
Auch gegen die Lakers dürfte die Zone viel zum Einsatz kommen, schon die gesamte Saison über nutzte kein Team sie häufiger als Miami. LeBron wiederum wurde bekanntlich 2011 im Trikot der Heat von einer Zonenverteidigung seitens der Mavericks aus dem Konzept gebracht, hat sich seither spielerisch aber natürlich auch weiterentwickelt und dürfte sie nun eher lösen können.
Miami hat wiederum auch noch andere Asse im Ärmel. Allein in diesen Playoffs spielten sie schon wahlweise primär Switch-Everything-Defense (gegen Indiana), Build a f***ing Wall-Defense (gegen Milwaukee) und nun eben die Zone.
Es spricht für Spoelstra, dass sein Team auch innerhalb von Spielen problemlos zwischen Konzepten hin- und herschalten kann, obwohl sich im Kader mehrere unterdurchschnittliche Verteidiger (wie Robinson, Dragic und Herro) finden.
Miami zieht am Ende von Spielen davon
Auch die zusätzliche Fitness und das Vertrauen in eine größere Rotation machten sich bereits bemerkbar, gerade gegen Boston. Spoelstra verschaffte seinen wichtigsten Spielern viele Pausen, auch wenn die Rotation mit der Zeit schrumpfte. Miamis Minuten-Leader Adebayo stand in den Playoffs mehr als eine Stunde weniger auf dem Court als Walker, der bei den Celtics die viertmeisten Minuten spielte.
Nicht zuletzt deshalb zogen die Heat in jedem vierten Viertel entweder davon oder kamen wieder ran - sie hatten noch Reserven, das gegnerische Team nicht. Miami hat in diesen Playoffs eine 81,8-prozentige Siegbilanz bei Spielen, die in den letzten fünf Minuten mit 5 Punkten oder weniger auseinanderliegen. Eine Folge der Kultur, wenn man so möchte.
NBA: Die Spieler mit den meisten Minuten in den Playoffs
Rang Spieler Team Minuten gesamt Minuten/Spiel 1 Jamal Murray Nuggets 753 39,6 2 Nikola Jokic Nuggets 694 36,5 3 Jayson Tatum Celtics 690 40,6 4 Jaylen Brown Celtics 672 39,5 5 Jerami Grant Nuggets 653 34,4 6 Marcus Smart Celtics 648 38,1 7 Kemba Walker Celtics 628 36,9 8 Bam Adebayo Heat 552 36,8 9 Jimmy Butler Heat 548 36,5 10 Anthony Davis Lakers 539 36
Die größte Herausforderung wartet
Die Heat hatten schon gegen Milwaukee und wohl auch gegen Boston nicht den besten Spieler der Serie, die Lakers haben in LeBron und Davis nun sogar die beiden besten Akteure. James ist als wohl intelligentester NBA-Spieler prädestiniert dafür, die komplexen Herausforderungen zu lösen, die Miami ihm defensiv bieten kann.
Gleichzeitig hat auch Spoelstra jede Menge Insiderwissen. Das Erreichen der Finals hat bereits wieder bewiesen, dass der Head Coach zu den absolut besten seines Fachs gehört - nun wartet die Aufgabe, auf die er höchstwahrscheinlich seit sechs Jahren gewartet hat. Es wird nicht leicht, aber das entspräche ja auch nicht der Kultur.