Die Geschichte dieser ob der langen Siegesserie überraschenden, aber gleichzeitig auch gar nicht überraschenden Niederlage des FC Bayern bei der TSG Hoffenheim begann bei einer Pressekonferenz am 15. September vor dem Bundesligaauftaktspiel gegen den FC Schalke 04. Leon Goretzka, der sich gerne Gedanken zu allen möglichen wichtigen Themen macht , machte sich damals Gedanken über die Spielweise seiner Mannschaft.
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Mit einer äußerst intensiven Ausrichtung war der FC Bayern gerade zum Triple marschiert - doch geht das auch in der neuen Saison gut? Mit einem kleinen Kader, mit vielen Spielen und wenigen Pausen? Eher nicht, befand Goretzka damals und sagte: "Wir brauchen eine Schublade in unserem Repertoire mehr."
Neben der Suche nach dringend benötigten Neuzugängen ist die Suche nach einer neuen Schublade spätestens seitdem Dauerthema beim FC Bayern. Das Auftaktspiel gegen Schalke gewann der FC Bayern zwar mit 8:0, doch schon beim knappen und kräftezehrenden 2:1 n.V. im UEFA Supercup gegen den FC Sevilla traten Goretzkas Bedenken zum Vorschein.
Hansi Flicks Vorgaben wurden nicht umgesetzt
"Wir müssen das eine oder andere im Spiel cleverer machen. Wir müssen bei Ballbesitz den Gegner kontrollieren, noch mehr Dominanz im Spiel haben, nicht immer gleich nach vorne spielen, dass es nicht so ein Hin und Her ist", sprach Flick in Anbetracht der Belastung und Kadergröße also vor Anpfiff des Bundesligaspiels in Hoffenheim bei Sky . Kurz: Zeit für eine neue Schublade!
Flick schritt davon, das Spiel wurde angepfiffen, und schon ging es los mit dem von Flick befürchteten Hin und Her, das mit einer fast schon historischen 1:4-Niederlage endete. Erstmals seit einem 0:0 gegen RB Leipzig am 9. Februar 2020 hat der FC Bayern ein Pflichtspiel nicht gewonnen, erstmals seit dem 1:2 bei Borussia Mönchengladbach am 7. Dezember 2019 eines verloren.
Seine Spieler setzten Flicks Vorgaben nicht mal im Ansatz um. Anders als von ihm gefordert ließen sie den Ball nicht kräfteschonend laufen, sondern lieferten sich einen wilden, fast schon hektischen Schlagabtausch mit Hoffenheim. Sie schlugen überflüssige weite Pässe, die zu ungenau waren. Sie gingen in Situationen ins Dribbling, in denen sie besser gepasst hätten und sie machten leichtsinnige Fehler in Situationen, in denen sie das Risiko besser vermieden hätten.
Es wirkte, als würden manche Spieler nach der alten Schublade spielen - ohne die Kraft dafür zu haben. Und andere nach einer nicht exakt definierten neuen - ohne die Abläufe dafür zu kennen.
FC Bayern: Die Probleme mit der Abstimmung und der Fitness
Der sonst so rotationsscheue Flick hatte seine Startelf ob der hohen Belastung fast schon gezwungenermaßen auf vier Positionen umgestellt: Alphonso Davies, Jerome Boateng, Corentin Tolisso und Joshua Zirkzee begannen anstelle von Lucas Hernandez, Niklas Süle, Leon Goretzka und Robert Lewandowski.
Am offensichtlichsten fehlten Goretzkas Wucht und perfektes Verständnis mit Nebenmann Joshua Kimmich im Mittelfeld sowie Lewandowskis Präsenz und Torgefahr im Sturm. Tolisso und Zirkzee konnten sie nicht ersetzen. Der zuletzt angeschlagene und nun reinrotierte Davies wirkte, als wäre er nach seinem einjährigen Dauerrausch gerade mit einem schlimmen Kater erwacht. Er agierte im Offensivspiel ideenlos und im Defensivspiel fehlerhaft, genau wie Rechtsverteidiger Benjamin Pavard übrigens.
Mit fortschreitender Spieldauer wurde neben dem Mangel an Abstimmung auch der Mangel an Frische immer offensichtlicher. Daran änderten auch die Einwechslungen der erschöpften Lewandowski, Goretzka und Kingsley Coman nichts. Nach dem Gewinn des UEFA Supercups hätte ihnen sogar die Kraft zum Feiern gefehlt, sagte Lewandowski vor dem Spiel in Hoffenheim der Bild : "Eigentlich wären jetzt fünf Tage Eistonne schön." Stattdessen gab es aber elf ausgeruhte Hoffenheimer.
Hansi Flick nimmt seine Mannschaft in Schutz
Alle paar Minuten lief einer dieser ausgeruhten Hoffenheimer allein durch die Hälfte des FC Bayern. So machte Munas Dabbur das zwischenzeitliche 2:0 (24.), so machte Andrej Kramaric das 3:1 (77.) und so holte Ihlas Bebou den Elfmeter raus, den Kramaric zum 4:1 verwandelte (90.+2). Das 1:0 hatte Ermin Bicakcic per Kopf erzielt (16.), Joshua Kimmich zwischenzeitlich auf 1:2 verkürzt (36.).
"Es gab vielerlei Gründe für die Niederlage. Aber von der Einsatzbereitschaft und dem Willen her, kann ich der Mannschaft überhaupt keinen Vorwurf machen", erklärte Flick nach dem Spiel - und bewies damit einmal mehr sein exzellentes Gespür für Situationen. Der seit Monaten von Sieg zu Sieg eilenden Mannschaft trotz der diffusen Vorstellung einen Vorwurf zu machen, wäre völlig vermessen gewesen.
Die Problembehandlung liegt nun bei Flick und Salihamidzic
Um Spiele wie in Hoffenheim künftig zu vermeiden, müssen die offensichtlichen Probleme aber trotzdem behandelt werden: die fehlende Frische, die fehlende Abstimmung bei Rotation und die fehlende funktionierende zweite Schublade. Diese Aufgabe liegt nun gleichermaßen bei Flick und Sportdirektor Hasan Salihamidzic.
Flick muss es dringend schaffen, die Abstimmung zwischen den Stamm- und den Rotationsspielern zu optimieren - und allen zusammen eine funktionierende, alternative und kräfteschonendere Spielweise beizubringen. Und Salihamidzic muss es sogar noch dringender schaffen, hochklassige Verstärkungen zu verpflichten, damit Flick den aktuellen Spielern mehr Pausen ermöglichen kann. Das Transferfenster aber schließt bekanntlich schon in sieben Tagen.
Bis dahin muss der FC Bayern übrigens noch zwei Pflichtspiele bestreiten: den deutschen Supercup gegen Borussia Dortmund am Mittwoch und ein Bundesligaspiel gegen Hertha BSC am Sonntag.