Offiziell mit dem FC Schalke 04 über die Situation beim Tabellenletzten zu sprechen, ist momentan schwierig. Denn angesichts der andauernden Krise traut sich niemand, öffentlich Klartext zu sprechen. Und selbst wenn sich die Verantwortlichen äußern, vermeiden sie klare Statements.
Das liegt auch daran, dass sich der seit Sommer auch für die Kommunikation zuständige Sportvorstand Jochen Schneider im Rampenlicht offensichtlich nicht wohl fühlt.
Aus Sorge, mit unbedachten Äußerungen für weitere Unruhe im ohnehin immer unruhigen Schalker Umfeld zu sorgen, sagt der 50-Jährige dann lieber gar nichts oder flüchtet sich in Allgemeinplätze - wie am Mittwoch, als er in einer Videokonferenz zwar einerseits dementierte, Trainer David Wagner nach dem 0:8 bei Bayern München ein Ultimatum gesetzt zu haben, auf die Frage, ob er aber wie kolportiert bereits einen Plan B in der Tasche hätte, sagte: "Ich möchte die Frage nicht beantworten."
Die Bild schrieb daraufhin: "Schneider eiert weiter rum". Selbst seine deutliche Forderung nach dem 0:8, wonach er im Spiel gegen die ebenfalls schon kriselnden Bremer am Samstag "eine deutliche Leistungssteigerung" erwarte, "die sich auch im Ergebnis widerspiegelt", wollte Schneider nicht als Ultimatum werten. Er weiß aber auch: "Mit der Leistung von München wird es schwierig, überhaupt in der Bundesliga zu punkten."
Schalke 04: Sportvorstand Schneider in der Zwickmühle
Auch auf Antworten zu anderen drängenden Fragen wie einem weiteren Gehaltsverzicht der Profis oder den Gründen für das Aussortieren von Guido Burgstaller wartet die Öffentlichkeit bislang vergeblich. Dabei hatten Schneider und sein Vorstandskollege Alexander Jobst nach der missratenen vergangenen Saison reumütig mehr Transparenz angekündigt. Der kicker wirft dem Verein schon jetzt eine "fragwürdige Blockadehaltung" und "Mauer-Taktik" vor.
Schneider steckt in der Zwickmühle. Einerseits dürfte ihm klar sein, dass eine Trendwende der seit Januar sieglosen Schalker unter Wagner höchst unwahrscheinlich ist. Andererseits fehlt dem hoch verschuldeten Verein das Geld für eine Abfindung des noch bis 2022 gebundenen Trainers. Auch die Nachfolger stehen angesichts der trüben Aussichten und einer Mannschaft in desolatem Zustand nicht unbedingt Schlange.
Ohnehin kursieren in der Fußball-Szene bereits Gerüchte, wonach Schneider nach eineinhalb Jahren amtsmüde und einer neuen Aufgabe nicht abgeneigt sei. Kritiker weisen außerdem daraufhin, dass der Sportvorstand bei einem Scheitern Wagners gleich mitgehen müsste.
Hat Reschke Schneider zur Trennung von Wagner geraten?
Schließlich hatte er sich trotz des Absturzes in der Rückrunde demonstrativ hinter den umstrittenen Coach gestellt, dem Beobachter taktische, trainingstechnische und menschliche Defizite vorwerfen. "Wagner wird total überschätzt und hat auch die Kabine gegen sich", sagt ein langjähriger Schalke-Insider.
Und dann hat Schneider mit den vielen Schattenmännern auf Schalke zu kämpfen, die fast schon gewohnheitsmäßig Stimmung machen und sich nun auf den Sportvorstand eingeschossen zu haben scheinen.
In der Trainerfrage sind sich die Schalker Verantwortlichen ohnehin uneinig. Laut Bild soll der Technische Direktor Michael Reschke dem Sportvorstand zu einer Trennung geraten haben. Der einstige Stuttgarter Sportvorstand Reschke, der beim VfB einen Scherbenhaufen hinterlassen und sich seitdem weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, agiert intern angeblich wie eh und je als Strippenzieher.
Schalke 04 dementiert Kabinenverbot für Michael Reschke
Demnach ließ ihn Schneider zu lange gewähren, bis er einschritt. So soll sich Kaderplaner Reschke mit dem Freiburger Keeper Alexander Schwolow bereits über einen Wechsel zu Schalke einig gewesen sein, während Wagner vom schmalen Transferbudget keinen neuen Torwart, sondern den dringend benötigten Rechtsverteidiger holen wollte.
Am Ende habe sich Schneider auf die Seite des Trainers geschlagen, spätestens seitdem sei das Tischtuch zwischen Reschke und Wagner zerschnitten, heißt es.
Ein im Umfeld schon kolportiertes Kabinen- und Trainingsplatzverbot für Reschke begründet der Verein mit dem Hygienekonzept der DFL infolge der Corona-Pandemie. Dieses setze der Klub "vollumfänglich um", teilt ein Sprecher auf Nachfrage von SPOX und Goal mit.
Schneider hat sich bis heute nicht von Tönnies distanziert
"Das bedeutet auch, auf nicht notwendige Kontakte zur Mannschaft zu verzichten. Dies gilt auch für Michael Reschke, der durch seine Tätigkeit als Technischer Direktor Kaderplanung zwangsläufig häufiger Kontakt mit externen, ungetesteten Personen hat. Distanz zur Mannschaft soll, wie im Falle anderer Personen auch, das Infektionsrisiko so niedrig wie möglich halten", so der Sprecher. Zu einem möglichen Streit wegen der Verpflichtung Schwolows wollte sich der Verein nicht äußern.
Schneider selbst macht bei all dem keine besonders gute Figur, weil er vermutlich tatsächlich kein Mann für die erste Reihe ist, sondern lieber wie in Stuttgart oder zuletzt in Leipzig effektiv im Hintergrund arbeitet.
Visionen für den dringend benötigten Neuanfang auf Schalke nach dem Abschied von Patriarch Clemens Tönnies gibt es von Schneider jedenfalls keine. Vielmehr hat er sich bis heute nicht vom Ex-Aufsichtsratsboss distanziert, sich stattdessen gemeinsam beim Spiel in München mit dem umstrittenen Tönnies auf der Ehrentribüne gezeigt.
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Schalke 04: Kauft sich Tönnies durch die Hintertür wieder ein?
Die Folge war ein veritabler Shitstorm in den sozialen Medien und große Unruhe unter den Fans. Am vergangenen Sonntag machten die Anhänger ihrem Unmut beim Spiel der Schalker U19 auch mit einem Plakat dazu deutlich: "Tönnies neben Jobst und Schneider, weiter geht die alte Leier! Tönnies ausgliedern".
Bei den Gegnern ist die Sorge groß, dass der Milliardär bei einer Ausgliederung der Profiabteilung aus dem Verein als Anteilseigner quasi durch die Hintertür wieder an die Macht zurückkehrt. "Er mischt sich schon jetzt weiter ein", behauptet ein Kenner, auch wenn das aus dem mit seinen Gefolgsleuten besetzten Verein bestritten wird. Ein anderer glaubt sogar, Tönnies könne sich nach einer gewissen Karenzzeit wieder in den Aufsichtsrat wählen lassen und damit als Retter in der Not ein Comeback feiern.
Tatsache ist, dass weder Schneider noch der bei vielen Fans unbeliebte Marketingvorstand Jobst das Vakuum nach Tönnies' Rückzug füllen konnten. Stattdessen schlingert die langjährige Nummer drei des deutschen Fußballs langsam, aber sicher Richtung Zweitklassigkeit.
"Dieser Verein ist von vorne bis hinten verkorkst und auf allen Ebenen dramatisch schlecht aufgestellt", sagt ein Insider. "Schalke bräuchte an der Spitze einen Typen wie Rudi Assauer, der Autorität hat, den Verein versteht und die Stimme des Volkes spricht."
Schalke 04: Wieso ein Rangnick-Comeback unwahrscheinlich ist
Ralf Rangnick wäre so einer, auch wenn er natürlich ein ganz anderer Charakter als der ohnehin einmalige Assauer ist. Aber der 62-Jährige ist erklärter Schalke-Sympathisant und hätte sicher die Erfahrung, Kompetenz und Visionen für eine Rolle als alleiniger Verantwortlicher im sportlichen Bereich, wie sie einst Felix Magath als Sportvorstand und Cheftrainer ausfüllte.
Auf Schalke würde Rangnick mit offenen Armen empfangen. Rangnick und Schneider kennen und schätzen sich zudem aus gemeinsamen Leipziger Zeiten - gut möglich, dass ein Comeback Rangnicks bei Schalke auch Schneider wieder befreiter arbeiten lassen würde.
Doch angesichts der finanziell und sportlich so düsteren Aussichten glaubt kaum jemand, dass sich Rangnick allein aus emotionalen Gründen auf dieses Himmelfahrtskommando einlassen würde. Zumal es vermutlich nicht reicht, wenn nur die Person an der Spitze ausgetauscht würde. Wahrscheinlicher ist, dass das Siechtum im gesamten Klub anhalten wird - ob mit oder ohne Wagner und Schneider.
S04: Die kommenden Gegner von Schalke 04
Wettbewerb Datum Gegner Ort Bundesliga 26.09.2020 Werder Bremen H Bundesliga 03.10.2020 RB Leipzig A Bundesliga 18.10.2020 Union Berlin H Bundesliga 24.10.2020 Borussia Dortmund A Bundesliga 30.10.2020 VfB Stuttgart H