Nun hat die Corona-Pandemie auch die Faszination des DFB-Pokals zerstört. Denn die Duelle David gegen Goliath vor frenetischer Heimkulisse, die regelmäßig für sensationelle Außenseitersiege sorgten, sind weitgehend abgesagt worden. Gleich elf unterklassige Klubs haben in der ersten Runde freiwillig auf ihr Heimrecht verzichtet, um aufgrund der Gesamtausgaben von bis zu 50.000 Euro nach der erwartbaren sportlichen Pleite vor Geisterkulissen gegen Profiteams nicht wegen der fehlenden Einnahmen auch vor der finanziellen Pleite zu stehen.

Stattdessen spielt Regionalligist FC Oberneuland etwa vor 300 Zuschauern in der 54.022 Plätze fassenden Gladbacher Arena gegen den Bundesligisten, der einer DFB-Empfehlung folgend auch die Kosten der Gäste übernimmt. Das alles sei "ein bisschen doof, weil die Ursprungsidee des Wettbewerbs ein Stück weit verloren geht", sagte Wolfsburgs Geschäftsführer Jörg Schmadtke.

Das traurige Bild wird nur durch einige Vereine aus den neuen Bundesländern geschönt, denn aufgrund der dort geringen Infektionsquote dürfen in Dresden immerhin 10.000, in Rostock 7.500 und in Magdeburg 5.000 Zuschauer in die Stadien. Gleichzeitig zeigt dieser Ost-West-Flickenteppich bei der Wiederzulassung von Fans auch, wie weit der Fußball in Deutschland derzeit von einer gemeinsamen Sprache und einem einheitlichen Vorgehen entfernt ist.

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DFB hat verpasst, sich zu positionieren

Das liegt natürlich an den regionalen Unterschieden bei der Corona-Ausbreitung, die aktuell vor allem Bayern und Baden-Württemberg massiv trifft. Aber es liegt eben auch daran, dass der Deutsche Fußball-Bund im Gegensatz zum Vorgehen der DFL bei den Profiligen bis heute verpasst hat, sich deutlich zu positionieren.

"Der DFB, dem die Aufgabe zukäme, den deutschen Fußball in seiner Gesamtheit durch die Krise zu führen, ist in der Pandemie kaum sichtbar", schrieb die FAZ vor zwei Wochen in einem Leitartikel auf der Titelseite. Um den FC Bayern, Borussia Dortmund und RB Leipzig müssen man sich zwar keine Sorgen machen. "Doch der große Rest steckt im Abstiegskampf. Er reicht von vielen Bundesligaklubs über darbende Amateurvereine bis hin zum viel zu lange komplett stillgelegten Kinder- und Jugendfußball."

Dabei wären die Voraussetzungen für einen flächendeckenden Aufschwung im Normalfall so gut wie seit dem WM-Triumph 2014 nicht mehr. Denn ein historischer Erfolg wie das Triple des FC Bayern führt in der Regel zu einem Ansturm auf die Jugendabteilungen, weil die Kinder ihren Idolen nacheifern wollen, und aufgrund des gesteigerten Interesses zu einem deutlich erhöhten Zuschaueraufkommen in den Bundesligastadien. Dass beides so nicht zustande kommen wird, liegt auch an den fehlenden Konzepten aus dem mit 7,2 Millionen Mitgliedern noch immer größten Sportfachverband der Welt.

DFB-Präsident Fritz Keller dringt nicht durch

Selten bis gar nicht hat man seit März etwas von Präsident Fritz Keller gehört, der seit fast genau einem Jahr im Amt ist. Und wenn, dann drang er nicht durch oder stand in der Kritik. Etwa nach seinen Aussagen über die "Großkotzigkeit" und fehlende Demut im Profifußball, die Karl-Heinz Rummenigge als populistisch scharf zurückwies. Oder jüngst im Umgang mit dem fragwürdigen 180-Kilometer-Flug der deutschen Nationalmannschaft von Stuttgart nach Basel, zu dem sich Keller nicht äußerte. So wurden ihm seine vollmundigen Aussagen aus dem Januar vorgehalten, als er beim Beitritt des DFB zur Klimaschutzinitiative der Vereinten Nationen erklärt hatte: "Fußball kann man nur in einer intakten Natur spielen."

Und auch beim Lockdown des öffentlichen Lebens inklusive wochenlangem Sportverbot hörte man lange wenig bis nichts aus dem Verband, dabei wäre kontaktloses Fitness- und Kleingruppen-Training schon relativ bald wieder möglich und angesichts der gesundheitlichen und sozialen Folgen der fehlenden Bewegung für Millionen Kinder auch dringend nötig gewesen.

Doch offenbar scheuten die meisten Funktionäre den Konflikt mit der Politik. In Bayern etwa zögerte der BFV-Vorsitzende Dr. Rainer Koch, im Verband als 1. Vizepräsident für die Belange aller Amateure zuständig, bis Anfang dieser Woche, ehe nach einer Klageandrohung der bundesweit am längsten eingestellte Spielbetrieb endlich wieder erlaubt wurde. "Das Virus hat den Fußball stillgelegt, der DFB aber sich selbst", kommentierte die FAZ .

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DFB: Große Probleme im Nachwuchs

Ohne Führung von oben und häufig auch ohne medizinische Expertise aber zögern viele kleine Vereine noch immer, ob sie wegen der Ansteckungsgefahr überhaupt wieder zum regulären Training zurückkehren sollen. Diese passiv-abwehrende Haltung ist zwar verständlich, aber dennoch das Gegenteil von Nachwuchswerbung.

Dabei wäre ein Jugendboom wie zu Beginn des neuen Jahrtausends, der letztlich einen wesentlichen Anteil am WM-Sieg hatte, wieder dringend nötig. Denn die DFB-Juniorenteams haben bereits große Probleme, international noch konkurrenzfähig zu sein. "Wenn wir jetzt nicht aufpassen, werden uns andere Nationen nicht ein-, sondern überholen, und dann kostet es noch mehr Kraft, Schweiß und finanziellen Aufwand, um die Lücke zu schließen", sagte sportlicher Leiter der der DFB-Teams, Joti Chatzialexiou, dem kicker .

Aber genau diese angesprochenen Mittel fehlen dem einst schwer reichen Verband - weshalb die darbenden Amateure auch nicht mit den dringend benötigten Corona-Hilfsprogrammen vom DFB rechnen können. "Eine unmittelbare finanzielle Unterstützung einzelner Amateurvereine ist dem Deutschen Fußball-Bund definitiv nicht möglich. Übrigens auch wirtschaftlich nicht", erklärte Schatzmeister Stephan Osnabrügge schon im Frühjahr.

Große finanzielle Probleme - auch wegen Beckenbauer

Stattdessen muss in vielen Bereichen gekürzt werden, unter anderem ausgerechnet bei der Jugendförderung. "Der DFB befindet sich in der tiefsten wirtschaftlichen Krise seiner Existenz", begründete Osnabrügge auf dem außerordentlichen Bundestag im Mai. "Sie könnte bis zu einer Existenzbedrohung führen."

Ein Hauptgrund für die Schieflage sind die hohen Kosten für den Neubau der DFB-Akademie von rund 150 Millionen Euro, ein anderer die Sommermärchen-Affäre um die WM-Vergabe 2006 an Deutschland. Als Folge wurde dem DFB die Gemeinnützigkeit aberkannt, was unter anderem zu Steuerrückzahlungen in Höhe von 22,5 Millionen Euro im Jahr 2017 führte.

Bis heute weigert sich die Schlüsselfigur Franz Beckenbauer zu erklären, warum er damals zehn Millionen Franken an den Katarer Mohammed bin Hammam zahlte. Kein Wunder, dass offizielle Gratulationen von den DFB-Oberen zum 75. Geburtstag des einstigen Teamchefs und Vizepräsidenten am Freitag ausblieben.