Die Worte von Deshaun Watson im vergangenen Januar lesen sich rückblickend wie eine Prognose.

"Ich bin nicht enttäuscht", erklärte Watson nach der 31:51-Niederlage im Playoff-Duell gegen die Chiefs. "So lange ich bei diesem Team, in dieser Stadt bin, werden wir definitiv in solche Spiele kommen können."

Gut sieben Monate später hat sich Watson - genau wie sein Chiefs-Gegenpart Patrick Mahomes in Kansas City - langfristig an sein Team gebunden . Doch während Mahomes und die Chiefs als frisch gebackener Titelverteidiger und erneuter Titelkandidat in die Saison starten und es bereits im Jahr davor bis ins AFC Championship Game geschafft hatten, ist die sportliche Perspektive in Houston deutlich unklarer.

Die 2002 gegründeten Texans sind das einzige Team in der NFL, das noch nie in einem Conference Championship Game stand.

Mit Watson hat Houston einen Top-5-Quarterback - doch haben die Texans in dieser Offseason genug gemacht, damit man um Watson herum weiter einen Titelkandidaten formt? Stagnieren die Texans? Ist man überhaupt noch der Favorit in der eigenen Division? Das Auftaktspiel in Kansas City bietet jedenfalls direkt eine Standortbestimmung: Kann man mit der Elite in der eigenen Conference mithalten?

Watson: "Das Beste liegt noch vor uns"

Watson führte seine Überlegungen nach der Niederlage im Januar weiter aus: "Eines der besten acht Teams zu sein, ist eine große Sache für uns. Diese Organisation ist noch dabei zu wachsen und ist relativ neu. Das Beste liegt noch vor uns." Doch die Frage, die die Fans in Houston vor allem beschäftigen wird, lautet: Wie weit an den Horizont muss man schauen, um Watsons These zu bestätigen?

Die Texans eröffneten die Free Agency im März mit einem Knall, als bekannt wurde, dass Houston Star-Receiver DeAndre Hopkins per Trade nach Arizona schickte. Offensichtlich wollten die Texans Hopkins nicht vorzeitig mit einem neuen Vertrag ausstatten, auch über persönliche Differenzen mit Head Coach Bill O'Brien wurde spekuliert. Und so beginnt die 2020er Saison für Houston unweigerlich mit einer Frage: Wie schwer wiegt dieser Verlust?

Watson kam 2017 in die NFL, Hopkins war da bereits in seinem fünften Jahr und ein Superstar. In den drei gemeinsamen Jahren erhielt Hopkins in der Regular Season 164, 159 und in der vergangenen Saison 146 Targets - das ist nicht nur eine beeindruckende Konstanz, es unterstreicht auch, wie wichtig er für Watsons Entwicklung war. Hopkins rangierte damit im Liga-Target-Vergleich auf Platz 1, 5 und 6 in den jeweiligen Saisons.

Jetzt gilt es für Watson, neue Wege zu beschreiten. Den Ball besser zu verteilen - und im Zuge dessen womöglich sogar noch effizienter zu werden.

Texans: Der Hopkins-Trade als Chance?

Mit 54 selbstverschuldeten QB-Pressures listete Pro Football Focus Watson im vergangenen Jahr - 20 mehr als jeder individuelle Offensive Lineman für die Texans 2019. Watson kassierte ligaweit die zweitmeisten Sacks bei Snaps, bei denen er den Ball 2,5 Sekunden oder länger hielt.

All das ist keine Rechtfertigung, einen der besten Wide Receiver der NFL in seiner Prime zu traden; es ist vielmehr der Versuch, aus Texans-Sicht einen positiven Spin zu finden. Watson hat mit Will Fuller, Brandin Cooks - der allerdings angeschlagen ist - und Kenny Stills jede Menge Speed in seinem Waffenarsenal, dazu kommt Randall Cobb im Slot. Die Chiefs werden mit diesem Waffenarsenal alle Hände voll zu tun haben.

Das gilt umso mehr, da Cornerback Bashaud Breeland die ersten vier Spiele gesperrt verpassen wird und so erwartet die Texans eine Cornerback-Gruppe, in der Charvarius Ward, Rashad Fenton und Antonio Hamilton mutmaßliche Starter sind. Die Chiefs sind gut darin, defensiv Probleme über ihre starke Safety-Gruppe sowie einen gefährlichen Pass-Rush zu lösen - doch wenn KC Watson hinter einer guten Offensive Line nicht unter Druck setzen kann und der den Ball gut verteilt, besteht hier enormes Shootout-Potenzial.

Texans: Die Johnsons als X-Faktor

Denn spannend wird darüber hinaus nicht nur sein, wie die Texans den Hopkins-Abgang im Wide Receiver Corps auffangen - auch der Spieler, der im Gegenzug aus Arizona kam, könnte eine interessante Rolle haben.

David Johnson hat nicht mehr die Explosivität vergangener Tage, aber er ist noch immer einer der gefährlichsten Receiving-Backs in der NFL. Einen solchen haben die Texans allerdings bereits in Duke Johnson, was unweigerlich die Frage aufwirft: Wie schafft es O'Brien, beide gemeinsam aufs Feld zu bringen?

Und auch hier liegt, insbesondere wenn man die mehr als wacklige Tight-End-Situation in Houston betrachtet, eine interessante Chance: Die Texans könnten mehr mit zwei Backs und drei Wide Receivern agieren, um so maximale Flexibilität und Matchup-Möglichkeiten aufs Feld zu bringen.

Das wiederum sind keine guten Nachrichten für die Chiefs, die nicht nur bei den Cornerbacks, sondern auch was die Coverage-Qualitäten ihrer Linebacker angeht, enorme Fragezeichen mit in den Saisonauftakt bringen. Willie Gay, der ultra-athletische Zweitrunden-Rookie, könnte hier sehr früh in seiner NFL-Karriere eine entscheidende Rolle zukommen. Denn in puncto Coverage-Potenzial dürfte er Anthony Hitchens und Co. schnell in die Tasche stecken.

Chiefs: Das Debüt von Clyde Edwards-Helaire

Die gute Nachricht für Chiefs-Fans, von denen im Zuge der Corona-Maßnahmen rund 16.000 beim Auftakt im Stadion zugelassen sein werden, ist eine altbekannte Mitteilung: Vor Shootouts muss man keine Angst haben.

Kansas City bringt auch dieses Jahr die gefährlichste Passing-Offense an den Start, und könnte das gleiche Mismatch anbieten wie die Texans auf der anderen Seite. Denn auch Houstons Linebacker sollten im Passspiel wenige Antworten auf Running Back Clyde Edwards-Helaire haben. Kansas Citys Erstrunden-Pick glänzte im College insbesondere mit seinen Qualitäten als Receiver, das sollte sich früh auch in der NFL bemerkbar machen.

Darüber hinaus ist es nicht so, als hätten die Texans eine Cornerback-Gruppe, die viel Mut macht. Bradley Roby und Vernon Hargreaves sind anderswo gescheiterte Erstrunden-Picks, die maximal Liga-Durchschnitt bedeuten - können junge Spieler wie Lonnie Johnson oder John Reid so früh eine größere Rolle spielen?

Das individuell vielleicht hochwertigste Eins-gegen-Eins-Duell wartet auf dieser Seite des Balls derweil an der Line of Scrimmage: Wenn J.J. Watt auf Chiefs-Right-Tackle Mitchell Schwartz trifft, gehen zwei der besten ihres Fachs im direkten Matchup gegeneinander. Sollte Schwartz, wie er es in den vergangenen Jahren so häufig getan hat, einen Elite-Edge-Verteidiger weitestgehend aus dem Spiel nehmen, droht Houston, das im Zentrum Free-Agency-Abgang D.J. Reader ersetzen muss, ein sehr langer Abend.

"Ich denke, gegen diese Jungs ist man mit keiner Führung auf der sicheren Seite", fasste Bill O'Brien nach dem Playoff-Aus im Januar so treffend zusammen. "Wir waren der Meinung, dass wir 50 Punkte brauchen würden. Das haben wir nicht geschafft."

Das Ergebnis am Donnerstagabend wird die Saison für Houston nicht prägen oder gar beenden. Der Ansatz, dass man 50 Punkte brauchen wird, um die Chiefs zu schlagen, könnte sich unabhängig davon aber als zutreffend erweisen.