"Verdammt. So viele Minuten waren es?" Das waren die erstaunten, ersten Worte, die Lowry nach dem Kraftakt zum Serienausgleich nur wenige Sekunden nach Spielende noch von sich geben konnte. Zuvor hatte er 53:28 Minuten gespielt, nach der Halbzeitpause stand er durchgehend auf dem Feld. Sein Resümee? "Der Sieg war alles, was zählte. Es waren einfach zwei Teams, die hart gespielt haben."

Bereits lange vor Spielende war dem Anführer der Raptors anzumerken, dass seine Kräfte langsam zur Neige gehen. Umso erstaunlicher, zu was der immerhin schon 34-Jährige dennoch in der Lage war, als sein Teamkollegen auf ihn zählten. Lowry zog Offensivfouls, schnappte sich Rebounds (8), spielte teils herausragende Pässe (6) und versenkte 6 Dreier für insgesamt 33 Punkte ( hier geht es zu Lowrys besten Szenen ) - in Spiel 5 waren es nur 10.

Die wichtigsten beiden davon kamen 11,7 Sekunden vor Schluss. Lowry ging gegen Kemba Walker in den Post und traf den schweren Turnaround-Fadeaway-Jumper - im Fallen. Danach ging er zu Boden und schaffte es erst in der Nähe der Mittellinie wieder, seinen Körper unter Kontrolle zu bekommen. Nach dem Spiel musste er sogar mit drei Stichen an seiner Wange genäht werden, nachdem er sich schon im zweiten Viertel einen Cut zugezogen hatte.

Nach Spiel 3 hatte der Spielmacher sich selbst noch "Eier aus Stahl" attestiert , in Spiel 6 lieferte er dafür weitere Beweise.

Dass er es nicht allein war, der die Celtics in 58 teils dramatischen Minuten niederrang, brachte Lowry allerdings auch zum Ausdruck: "Danke, Norman. Das war verdammt nochmal unglaublich. Das haben wir gebraucht." Gemeint war damit Teamkollege Norman Powell, der von der Bank 23 Punkte beisteuerte, 10 davon in der zweiten Overtime (plus einen Block gegen Daniel Theis sowie einen Steal). Dies waren die meisten, die jemals ein Raptor in einem Overtime-Abschnitt aufgelegt hatte.

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Celtics gegen Raptors: Ein Spiel der Rekorde

Und Bestmarken gab es teamübergreifend jede Menge. Eine Auswahl: Gleich acht Spieler standen mehr als 50 Minuten auf dem Platz, der vorherige Rekord lag bei sechs. Acht Spieler stellten einen persönlichen Höchstwert in Karriere-Minuten auf. Und noch ein netter Randaspekt: Alle sechs Spiele der Serie gingen an das Team, das nominell als Auswärtsmannschaft angetreten war. Die 35 Punkte in der zweiten Verlängerung waren zudem die drittmeisten in der NBA-Postseason-Geschichte.

Neben Lowry und Powell, die ihren Beitrag zur letztlich guten Dreierquote der Raptors leisteten (19/47, 40,4 Prozent; im Auftaktviertel waren es gerade einmal mickrige 22,2 Prozent), gab es jedoch weitere Rollenspieler, die für den enttäuschenden Pascal Siakam (12 Punkte, 5/19 FG) in die Bresche sprangen. Exemplarisch zu nennen sind O.G. Anunoby und Serge Ibaka.

Während Anunoby (13 Punkte, 13 Rebounds) vor allem für seine Fähigkeiten am defensiven Ende des Feldes bekannnt ist, war er es, der in der zweiten Overtime einen Dreier traf, der eine Minute vor Schluss einen 2-Punkte-Rückstand in eine Führung verwandelte. Ibaka, vor dem Spiel aufgund eines verstauchten Sprunggelenks noch als fraglich gelistet, war es, der Mitte des zweiten Viertels eine Serie von neun verworfenen Dreiern brach und in diesem Abschnitt aus der Distanz perfekt blieb (3/3).

Eine echte Teamleistung also, die die Raptors ins alles entscheidende Spiel 7 brachte, welches in der Nacht von Freitag auf Samstag stattfindet - und positive Erinnerungen weckt. Das letzte Game 7 der Kanadier fand im Mai 2019 statt, als sich Toronto dank Kawhi Leonards Buzzerbeater , der gefühlt minutenlang auf dem Ring tanzte, gegen die 76ers durchsetzte.

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Celtics trotz Niederlage zuversichtlich: "Ein großartiges Spiel"

Doch trotz der Niederlage wollte auch Celtics-Coach Brad Stevens optimistisch nach vorne schauen: "Es war ein großartiges Spiel" sagte er. "Wir werden uns anschauen, was wir bereinigen müssen. Legen ein bisschen Eis auf unsere Beine und bereiten uns auf Freitag vor." Etwas mehr ins Detail wollte da schon Bostons Topscorer Jaylen Brown (31) gehen: "Wir hatten am Ende jede Menge Möglichkeiten und haben nicht so gut auf den Ball aufgepasst, wie wir es sollten."

In der Tat erspielten sich die Celtics, die zumeist gegen eine Box-and-1-Defense agierten, deutlich mehr offene Würfe als die Raptors - vor allem aus der Distanz. Doch insbesondere bei ihm (4/13) wie auch beim ganz schwachen Kemba Walker (1/6) landeten hochprozentige Versuche oftmals nur auf dem Ring.

Die Überlegenheit in der Zone (14:8 Offensiv-Rebounds, 42:36 Punkte), zu der auch Theis (18 Punkte, 7 Rebounds) einen gewaltigen Beitrag leistete, verspielten die Kelten durch Unkonzentriertheiten (15 Turnover, 6 davon durch Jayson Tatum). Auch eine zwischenzeitliche 12-Punkte-Führung reichte somit nicht. "Wir müssen die Herausforderung annehmen. Beim Basketball geht es darum, sich gegen Widerstände durchzusetzen", sagte Brown.

Dass auch die Raptors Boston noch lange nicht abgeschrieben haben, betonte Matchwinner Lowry: "Es ist ein hartes, sehr gut gecoachtes Team mit mehreren All-Stars, ein großartiges Team. Wir mussten hart für diesen Sieg arbeiten und werden dies erneut tun müssen." Auch dann wird es wieder auf Lowry ankommen, wie auch Head Coach Nick Nurse bewusst ist: "Er ist der ultimative Wettkämpfer. Er fürchtet sich nicht vor den großen Momenten. Das har er heute eindrucksvoll unter Beweis gestellt."

Lowry verkörpert eben alles, was diese Toronto Raptors in dieser Saison ausmacht, das große Herz eines echten Champions.

Toronto Raptors vs. Boston Celtics: Alle Termine (Stand: 3-3)

Spiel Datum Uhrzeit Team 1 Team 2 Ergebnis 1 30. August 19 Uhr Toronto Raptors Boston Celtics94:112 2 1. September 23.30 Uhr Toronto Raptors Boston Celtics99:102 3 4. September 0.30 Uhr Boston Celtics Toronto Raptors103:104 4 6. September 0.30 Uhr Boston Celtics Toronto Raptors93:100 5 8. September 0.30 Uhr Toronto Raptors Boston Celtics89:111 6 10. September 0.30 Uhr Boston Celtics Toronto Raptors 122:125 7* 12. September 3 Uhr Toronto Raptors Boston Celtics