Der 9. Juli 2006 veränderte Tahith Chongs Leben für immer. Bis dahin, so sagt er selbst, habe er "überhaupt kein Interesse an Fußball gehabt". Doch dann kam das WM-Finale 2006 zwischen Frankreich und Italien und es wurde Zeit, dass sich was dreht, wie es so schön in Herbert Grönemeyers offizieller Hymne für das Turnier in Deutschland heißt.
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Das Finale war das erste Fußballspiel überhaupt, das der damals Sechsjährige in seinem Leben gesehen habe. "Jeder redete darüber, also habe ich es mir angesehen. Ich war für Frankreich. Ich weiß bis heute nicht, warum und ich kannte noch nicht mal die Regeln, doch damit fing es an", erklärte Chong in einem Gastbeitrag auf der Vereinswebseite von Manchester United.
"Als Frankreich verlor, weinte ich und die Dinge änderten sich für mich." Fortan drängte er seinen Vater, einem Fußballer auf Curacao, der für das lokale Team Excellence spielte, ihn zum Training mitzunehmen. "Er hat das nicht ernst genommen, weil ich so oft gesagt habe, dass ich Fußball nicht mag", erzählte Chong. Erst nach Monaten und dem Einwand seiner Mutter, den Jungen es halt ausprobieren zu lassen, gab der Vater nach.
Schon nach der ersten Einheit kam der Trainer zu Chongs Vater und fragte, wie lange der Junge denn schon spiele. "Als er erfuhr, dass es mein erstes Training war hielt er das für einen Witz." Von diesem Moment an sei er "hooked" gewesen - am Haken des Fußballfiebers hängen geblieben.
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Chongs Vorbild: "Giggsy war definitiv der Eine"
Jedes Spiel, das übertragen wurde, habe er sich danach angeschaut. Nach der Schule ging es raus in den Garten, wo er mit sich selbst spielte und seine Aktionen mit dem Ball kommentierte. Meistens war er dabei Ryan Giggs von Manchester United.
"Es gab damals viele große Spieler, aber Giggsy war definitiv der eine, der mir immer in den Kopf kam", sagt Chong über sein fußballerisches Vorbild. Doch die Red Devils und Giggs spielten nicht nur bei seinen privaten Trainingseinheiten im Garten eine tragende Rolle.
Immer wenn er FIFA auf der Xbox spielte, wählte er United als Mannschaft aus, erstellte sich sogar einen eigenen Spieler und lief zumindest virtuell mit Cristiano Ronaldo, Wayne Rooney und Co. über den Platz.
"Wenn ich heute so darüber nachdenke, ist das schon ein bisschen verrückt", gab er zu. Nicht, weil es etwas Außergewöhnliches ist, wenn Bewunderer sich im Fußball-Simulator selbst einen Spieler mit ihrem Namen erstellen, um den eigenen Idolen zumindest im Spiel nahe zu sein. Sondern "verrückt", weil Chong es vom anderen Ende der Welt auf Curacao tatsächlich dorthin geschafft hat, wo einst CR7 und Rooney standen: mit Manchester United auf dem Rasen des Old Trafford.
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Chong bei Feyenoord: Tausche Paradies gegen Traumreise
Keine Simulation, kein Spiel, kein Fake, sondern "Real Life". Wie er es aus der ehemaligen Kolonie der Niederlande zu einem der größten Klubs in Europa geschafft hat? An erster Stelle würde Chong wohl seinen Vater nennen, der ihm "bei jedem seiner Schritte" im Laufe der Karriere zur Seite gestanden habe.
Nicht nur habe dieser ihm geholfen, sich weiterzuentwickeln, weil er selbst Flügelspieler war und seinem Sohn in jungen Jahren noch Tipps geben konnte. Auch war es sein Vater, der die Verbindung zu Feyenoord Rotterdam herstellte und so einen frühen Wechsel nach Europa erst ermöglichte.
Wie es der Zufall wollte, war der Cousin von Chongs Vater nämlich mit John De Wolf befreundet, damals Spieler bei Feyenoord und heute Co-Trainer von Dick Advocaat. "Als ich acht Jahre alt war, arrangierte er ein Probetraining für mich", erzählte Chong.
Nach ein paar Monaten in Rotterdam wurde Chong in die Jugendakademie aufgenommen. Er kehrte anschließend noch einmal nach Willemstad auf Curacao zurück, um sein Schuljahr zu beenden. Dann tauschte er das "Paradies" mit seinen Stränden, dem klaren Wasser, der karibischen Küche und den fußball- und baseballverrückten Menschen gegen seine ganz persönliche Traumreise ein: den Weg zum Fußballprofi.
Chong wechselt zu Manchester United: Der Robben von Curacao
Dafür brachen auch Chongs Eltern alle ihre Zelte auf Curacao ab und begleiteten ihren Sohn nach Rotterdam. Dort lernte er Jahr für Jahr, sich in taktische Systeme einzufügen, denn das war er aus seiner Heimat schlichtweg gar nicht gewöhnt.
"Alles war anders bei Feyenoord", bilanzierte Chong, der sich trotz allem nach wie vor als "Freigeist" auf dem Platz sieht. "Das wird immer so sein, aber ich versuche das, auf die richtige Art und Weise umzusetzen, in einem korrekten System."
Es blieb nicht bei Versuchen. Chong setzte sein Vorhaben in die Tat um, auch wenn ihm das europäische Klima anfänglich zu kalt war. Als er 16 Jahre alt war, jagten ihn schon zahlreiche Top-Klubs aus ganz Europa und besonders aus der Premier League.
Bei Feyenoord nannten sie ihn schon in der Jugend den "Robben von Curacao", weil er wie die niederländische Fußball-Legende gerne vom rechten Flügel nach innen zog und so ganz gerne mal Traumtore erzielte. Was ihn jedoch von dem echten Arjen Robben unterscheidet, ist sein Körperbau.
Mit 1,85 Metern ist er physisch stark, technisch herausragend und schnell. "Die Kombination aus Physis, Geschwindigkeit, Technik und Übersicht macht ihn einzigartig", schrieb Mark Lievisse Adriaanse einmal in einem auf dem Blog Leven met Feyenoord erschienenen Scouting-Bericht über Chong vor vier Jahren: "Er ist erst 16, aber jetzt schon sehr komplett, verglichen mit anderen Spielern in seinem Alter."
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Chong bei Manchester United: "Es bedeutet mir alles"
Im Sommer 2016 war es dann wieder an der Zeit, dass sich bei Chong etwas drehte. Die Red Devils machten ernst und holten das Offensiv-Juwel in ihre Akademie. Dort entwuchs er den Jugendmannschaften verhältnismäßig schnell und kam vorwiegend in der U23 und der Youth League zum Einsatz (43 Spiele, 18 Tore, 11 Vorlagen).
Nur zwei Jahre nach seiner Unterschrift in Manchester nahm ihn der damalige Trainer Jose Mourinho in der Sommervorbereitung mit auf die USA-Reise der Profis, wo er in Testspielen gegen Bayern München und Liverpool zum Einsatz kam. In der Champions League gehörte er ab Oktober dem Profikader an.
Sein Pflichtspieldebüt gab Chong aber unter Mourinho-Nachfolger Ole Gunnar Solskjaer im Januar 2019. Es folgten noch 16 weitere Einsätze bei den Profis, doch Chongs Spielzeit war oftmals auf ein Minimum begrenzt, was Spekulationen über seine Zukunft in Manchester heraufbeschwor. So hatte beispielsweise Inter Mailand seine Fühler nach dem beidfüßigen Angreifer ausgestreckt.
Doch Chong setzte ein Statement und verlängerte seinen Vertrag bei United bis 2022. "Hier zu spielen, bedeutet mir alles", sagte der heute 20-Jährige bei der Verkündung seiner Verlängerung. Doch schon damals war klar, dass Chong seine Zukunft zumindest vorübergehend fernab des Old Trafford sieht.
Tahith Chong bei Manchester United: Spielerstatistiken
Mannschaft Spiele Tore Torvorlagen Manchester United 16 - 2 Manchester United U23 35 16 8 Manchester United U18 22 8 7 Manchester United UEFA U19 8 2 3
Chong bei Werder Bremen: "Der Junge will das wirklich"
Solskjaer hatte ihm versprochen, dass er den Klub im Sommer verlassen dürfe, um mehr Spielpraxis zu sammeln. Da traf es sich gut, dass mit Werder Bremen ein Verein bei Chong für ein Leihgeschäft anklopfte, bei dem in den vergangenen Jahren zwei Spieler aus der Premier League einen gehörigen Karriere-Schub erhielten.
2012 war das Kevin De Bruyne, der auf Leihbasis von Chelsea an die Weser kam und in nur einem Jahr zum Liebling der ganzen Bundesliga aufstieg. Mittlerweile ist der Belgier einer der besten offensiven Mittelfeldspieler der Welt. 2016 wechselte ein gewisser Serge Gnabry vom FC Arsenal nach Bremen. Heute ist er Triple-Sieger und Stammspieler beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft.
Bremen und Premier-League-Spieler auf der Suche nach Spielpraxis? Das passt und das wusste auch Chongs Berater Erkan Alkan. "Der Junge will das wirklich", sagte er der Bild -Zeitung, um einem etwaigen Staunen über den Wechsel eines so hoch gelobten Talentes zu in der Vorsaison fast abgestiegenen Werderanern vorzubeugen.
Und auch Chong beckmesserte bei seiner Vorstellung: "Letzte Saison war letzte Saison das ist jetzt vorbei, so sehe ich das." Chong untermauerte seine Worte mit Taten. In den ersten beiden Testspielen mit Bremen überzeugte er im gut aufgelegten Bremer Kollektiv, legte ein Tor vor und traf beim 4:0-Kantersieg über Groningen , das ohne den echten Robben antrat, selbst.
Vielleicht ist in Bremen mit Chong nun auch die Zeit angebrochen, in der sich was dreht - und zwar zum Guten.