Wäre man ketzerisch, könnte man behaupten, dass es die bislang beste Aktion von Nico Schulz seit Beginn der Vorbereitung auf die kommende Saison war. Der Linksverteidiger von Borussia Dortmund hielt nämlich zielsicher drauf, als Thomas Meunier, Mateu Morey, Emre Can, Erling Haaland, Jude Bellingham und Youssoufa Moukoko im Trainingslager ihre Einstandssongs trällerten - und daraus ein durchaus amüsantes Video entstand.
Ansonsten jedoch hat Schulz in seiner bisherigen Zeit beim BVB noch nicht für positive sportliche Schlagzeilen gesorgt. Der 27-Jährige, im Sommer 2019 für die stolze Ablösesumme von 25,5 Millionen Euro als fünftteuerster Neuzugang der Dortmunder Vereinsgeschichte aus Hoffenheim gekommen, durchlebte vielmehr ein rabenschwarzes Jahr. Und aktuell sieht es nicht so aus, als wäre Licht in Sicht. Schulz steckt im Tunnel fest.
Es ist weniger seinen sportlichen Leistungen als vielmehr dem nicht übermäßigen Angebot an Alternativen geschuldet, dass Schulz von Bundestrainer Joachim Löw für die beiden anstehenden Nations-League-Länderspiele gegen Spanien und die Schweiz nominiert wurde. Doch es folgte für ihn nun die nächste schlechte Nachricht: Schulz musste mit Problemen an der Wade wieder abreisen.
Beim Testspiel des BVB gegen Paderborn (1:1) bekam er einen Schlag ab. Eine weitere Untersuchung am vergangenen Montag ergab, dass Schulz nun in Dortmund weiter behandelt wird. Wie lange er ausfällt, ist unklar. Viel schlimmer noch: Es hat den Anschein, als wäre das für Schulz' Perspektive bei der Borussia ohnehin unerheblich.
Nico Schulz und seine magere Saisonbilanz beim BVB
"Extrem ärgerlich" nennt Schulz diesen Rückschlag, weil er aus eigener Erfahrung weiß, dass er zur Unzeit kommt. Bereits im Vorjahr fiel Schulz recht schnell nach Saisonstart aus. Damals verletzte er sich bei der Nationalmannschaft. Ein Teilriss eines Bandes in der linken Fußwurzel beim verlorenen Länderspiel gegen die Niederlande zog eine fünfwöchige Pause nach sich, sechs BVB-Pflichtspiele verpasste er dabei.
"Es war eine schwere Zeit, wenn man neu zu einem Verein kommt und gleich verletzt ist", sagte Schulz nach seinem Comeback. Sechsmal durfte er anschließend noch bis zur Winterpause spielen, doch seitdem ist die Luft komplett raus.
Achtmal saß er ohne Einsatzminute zu Beginn des Jahres auf der Bank, ehe ihn eine Muskelverletzung fünf weitere Bundesligaspiele kostete. 29 Minuten Spielzeit gab ihm Trainer Lucien Favre dann noch in den drei finalen Saisonspielen. Seine Liga-Bilanz liest sich daher mager: nur sieben Startelfeinsätze, 14 Mal ohne Einwechslung im Kader gestanden, neun Begegnungen verletzt verpasst.
Schulz will sich beim BVB nicht kampflos ergeben
Kein Wunder also, dass jemand wie Schulz in Zeiten wie diesen schnell auf allerhand ominösen Verkaufslisten auftauchte. Dass Dortmund aber gerade während der Corona-Pandemie nicht einmal einen Bruchteil des investierten Geldes zurückerhalten und es auch für Schulz wenig Sinn ergeben würde, sich sofort wieder vom Acker zu machen, lag gleichermaßen auf Hand. Fest steht: Der einstige Marktwert von Schulz, der in Hoffenheim zur besten Saison der Vereinsgeschichte beitrug und dort Nationalspieler wurde, ist eklatant abgesackt.
Ein Leihgeschäft wäre wohl noch das Höchste der Gefühle für ihn, angesichts von kolportieren sechs Millionen Euro Jahresgehalt aber auch nicht jedermanns Sache. Vielmehr sendete der Außenbahnspieler Signale in Richtung der Dortmunder Vereinsführung, dass er sich nicht kampflos ergeben und beim Vizemeister durchbeißen wolle.
Favre trat bisher zwar nicht als großer Schulz-Fan in Erscheinung, doch zumindest auf dem Papier ist er nicht komplett chancenlos. Schulz hat derzeit lediglich Raphael Guerreiro als Konkurrenten vor sich, mit Marcel Schmelzer fällt der dritte Linksverteidiger im Bunde noch monatelang aus und wird auch nach seiner Genesung keine Rolle mehr spielen.
Schulz' Hoffnung: Die hohe Taktung der Spiele
Knackpunkt für Schulz wird vor allem die systematische Herangehensweise des BVB in der nächsten Saison sein. In einer Viererkette wäre Schulz nach aktuellem Stand erster Rotationsspieler für Guerreiro, der im Vorjahr eigentlich hinlänglich bewies, dass er eine Linie weiter vorne deutlich wertvoller für die Mannschaft ist.
Die ideale Guerreiro-Position in der so erfolgreich praktizierten Dreierkette wäre in der Theorie auch Schulz' bevorzugter Betätigungsplatz, denn dort glänzte er bereits in Hoffenheim und brachte seine Stärken wie Dynamik und Tempo gut ein. Auch wenn derzeit nicht klar ist, ob Favre künftig eine bestimmte Systematik bevorzugen und diese durchziehen wird, kommen sehr wahrscheinlich eher beide Formationen als lediglich eine zum Einsatz. Eine gänzliche Abkehr von der Dreierkette ist nahezu ausgeschlossen.
Sobald Schulz wieder auf dem Damm ist, besteht also seine größte Hoffnung darin, dass die sehr vielen Spiele in kurzer Taktung die Aussicht auf Bewährungschancen erhöhen. Dann jedoch muss er sich zwingend steigern, um in Favres Gunst zu klettern. Seit Schulz in schwarzgelb kickt und das war nun auch wieder in den bisherigen Testspielen zu sehen, mangelt es ihm - freilich wenig verwunderlich - an Selbstvertrauen.
Auch die DFB-Perspektive könnte sich für Schulz erledigen
Der bis 2024 an den BVB gebundene Schulz meidet in seinem Spiel zu häufig das Risiko, bleibt dennoch nicht frei von Fehlern und wirkt belastet, seine Körpersprache strahlt wenig Positives aus. So ist es schwer, die eigene Qualität auf den Platz zu bringen und sich als echte Alternative zu empfehlen.
Diesen Negativ-Kreislauf muss er in der kommenden Spielzeit dringend durchbrechen. Denn sonst ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es mit weiteren DFB-Nominierungen und erst recht der Europameisterschaft 2021 eng und daraus eine Lose-Lose-Situation für drei Parteien wird.
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Nico Schulz: Seine Leistungsdaten beim BVB
Wettbewerb Spiele Tore Assist Spielminuten Bundesliga 11 1 - 591 DFB-Pokal 3 - - 258 Champions League 3 - - 225