Überregional hatte man schon lange nichts mehr von Kevin Großkreutz gehört. Sein Elfmetertor für den KFC Uerdingen im Testspiel beim FC Schalke 04 vergangenen Dienstag passte aber gleich doppelt wunderbar ins Bild. Es erinnerte an alte Zeiten, in denen der mittlerweile 32-Jährige im Trikot von Borussia Dortmund zahlreiche Duelle und Sticheleien mit dem BVB-Erzrivalen ausfochte. Mit Blick auf die Gegenwart verdeutlichte der Treffer vor allem eines: Großkreutz ist in Uerdingen kein Stammspieler mehr.

Er war erst zehn Minuten vor seinem Tor eingewechselt worden, das ist aktuell auch das Höchste der Gefühle für Großkreutz. "Der spielt keine Rolle mehr bei uns. Aber in Tests kann er mitspielen", wurde KFC-Geschäftsführer Nikolas Weinhart kürzlich in der Bild am Sonntag zitiert.

Auch diese Entscheidung verwundert in doppelter Hinsicht nicht: Großkreutz bringt in Uerdingen schon seit längerer Zeit kein Bein mehr auf den Boden. Nachdem er 2018 für eine kolportierte Ablösesumme von 350.000 Euro vom SV Darmstadt 98 zum Drittligisten wechselte, kam er noch in 36 Pflichtspielen (drei Assists) zum Einsatz. In der vergangenen Saison jedoch verkam Großkreutz zur Randnotiz: 15 Pflichtspiele, nur sieben über 90 Minuten.

Hört man sich bei Beobachtern und Insidern um, ist seine Degradierung zudem folgerichtig. Großkreutz wirkt auf viele wie ein einziges Rätsel. Unisono heißt es: Der Malocher Großkreutz, der im Dortmunder Team von Jürgen Klopp zu Beginn des Jahrzehnts wie ein Uhrwerk Kilometer um Kilometer fraß, ist Geschichte.

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Kevin Großkreutz in Uerdingen: Einfach keine Lust mehr?

Und das liegt nicht nur daran, dass er häufiger verletzt war, in seinen Spielen defensiv wie offensiv höchst bieder agierte oder an Grundschnelligkeit eingebüßt hat. Großkreutz hat einfach keine Lust mehr, lautet der interne Vorwurf.

Demnach sei der zweifache Familienvater, der nebenbei in seiner Heimat beim Landesligisten Türkspor Dortmund den Co-Trainer gibt, nicht mehr bereit genug, um für den Fußball ausreichend Opfer zu bringen. Wille, Motivation, auch Zeit in seinen Beruf zu investieren, scheinen für Großkreutz nicht mehr primär. Der lange ihn auszeichnende Biss ist weg.

Dabei wird ihm bescheinigt, als Fußballer nichts von seinem Können verlernt zu haben. Doch Großkreutz' Konkurrenten sind energischer, zweikampfstärker und können so ihre fußballerische Unterlegenheit wettmachen. Anders ist es kaum zu erklären, dass in Alexander Bittroff ein Spieler ähnlichen Alters wie Großkreutz auf der Position des Rechtsverteidigers deutlich die Nase vor ihm hat - in der 3. Liga.

Großkreutz soll sich Gelbsperre absichtlich eingehandelt haben

Bis es soweit war, genoss Großkreutz als Aushängeschild des Vereins häufiger noch Narrenfreiheit. Er spielte, obwohl seine Darbietungen den Erwartungen nicht mehr entsprachen und auf der Bank leistungsbereitere Spieler mit den Hufen scharten.

Insider berichten, Großkreutz ziehe sich immer mehr zurück und sei introvertiert. Es scheint offensichtlich, dass er kaum Lust empfindet, Teil der KFC-Mannschaft zu sein. Was genau jedoch die Gründe für seine Haltung sind und warum aus ihm selbst keine Motivation mehr kommt, um wieder wettkampffähig zu werden, bleibt für viele unklar. Ob es an den allgemeinen Umständen in einem immer wieder unruhigen Verein oder den nicht gerade professionellen Trainingsbedingungen liegt? Es funktioniere so einfach nicht mehr, heißt es.

Auch die von der Rheinischen Post Ende Juni aufgebrachten Interna aus dem Kreise der Mannschaft, Großkreutz habe sich im Spiel gegen Chemnitz absichtlich seine fünfte Gelbe Karte abgeholt, um sich um die weite Reise nach Rostock ein paar Tage später zu drücken, wurden gegenüber SPOX und Goal erneuert. Es sei vorgekommen, dass Großkreutz nicht im Kader von Auswärtsspielen stehen wollte, wenn ihm im Abschlusstraining dämmerte, er würde nicht von Anfang an spielen.

SPOX und Goal baten die Großkreutz-Seite um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen, eine Reaktion blieb jedoch aus.

Uerdingens Problem: Großkreutz-Vertrag läuft noch bis 2021

Man sollte eigentlich ausschließen können, dass Großkreutz noch des Geldes wegen aktiv ist. Finanzielle Sicherheit dürften ihm allein die euphorischen Jahre bei seinem Lieblingsklub BVB, wo er zweifacher Deutscher Meister sowie Doublesieger wurde und ins Champions-League-Endspiel einzog, eingebracht haben. Auch den Drang, sich noch einmal eine Liga höher zu beweisen, verspürt er offenbar nicht mehr.

Allem Anschein nach ist eine Trennung zwischen Großkreutz und Uerdingen in erster Linie Verhandlungssache. Das Problem des KFC: Der Vertrag des Weltmeisters von 2014 läuft noch bis zum 30. Juni 2021 - und ist für Drittligaverhältnisse überdurchschnittlich gut dotiert.

Es wäre freilich legitim, würde Großkreutz die Geschichte aussitzen und nicht ein Jahr vor Vertragsschluss freiwillig auf Geld verzichten wollen. Andererseits: Der Fußball war und ist Großkreutz' Leben, darüber definiert er sich als Person. Er kennt und kann den Fußball - vielleicht fehlt ihm auch die Aussicht auf eine sinnvolle Alternative?

Er wird es selbst nicht so richtig wissen, sagen viele. Es wäre schade, wenn das zutreffen würde.

Kevin Großkreutz: Seine Karriere im Überblick

Verein Einsätze Tore Vorlagen Rot Weiss Ahlen (2006-2009) 97 24 11 Borussia Dortmund (2009-2015) 236 27 37 Galatasaray (2015) - - - VfB Stuttgart (2016-2017) 28 1 - SV Darmstadt 98 (2017-2018) 28 3 3 KFC Uerdingen 05 (seit 2018) 51 1 4