SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen zur Situation der Brooklyn Nets.

Was ist passiert und wie ist die Saison zu bewerten?

Die Nets wurden in der ersten Playoff-Runde von Champion Toronto Raptors gesweept, die Ausfallliste war jedoch in der Bubble in Disney World schier endlos. Unter anderem fehlten Kevin Durant, Kyrie Irving, Spencer Dinwiddie, DeAndre Jordan, Taurean Prince und Wilson Chandler, auch Joe Harris stand nur teilweise zur Verfügung.

In Anbetracht dieser Tatsache waren die zuletzt gezeigten Leistungen durchaus beachtlich. Die Nets gewannen fünf ihrer acht Seeding Games und besiegten dabei Top-Teams wie die Milwaukee Bucks oder L.A. Clippers. Platz sieben in der Eastern Conference wurde somit verteidigt, gegen abgezockte Raptors war dann allerdings nicht mehr als ein enges Spiel 2 drin.

Dabei konnten neben Caris LeVert auch Rollenspieler wie Timothe Luwawu-Cabarrot (16 Punkte, 3,8 Rebounds) oder der vor dem Restart verpflichtete Tyler Johnson (13,8 Punkte, 39,3 Prozent 3FG) Verantwortung übernehmen und Selbstvertrauen sammeln. Jarrett Allen legte ein Double-Double auf (10,3 und 14,8), während der eigentlich gute Dreierschütze Garrett Temple nur ein Viertel seiner Versuche von Downtown versenkte.

Ein sportliches Fazit der Saison, das auch Aussagekraft für die Zukunft hat, ist nahezu unmöglich. Durant verpasste die gesamte Spielzeit aufgrund seines in den Finals 2019 mit den Warriors erlittenen Achillessehnenrisses, Irvings Saison war nach 20 Einsätzen am 1. Februar aufgrund einer Schulterverletzung beendet. So verwundert es nicht, dass die Offense der Nets bisweilen unausgewogen daherkam (Rating: 108,7, Platz 22), während die Defense sogar etwas überraschte (Rating: 109,2, Platz 10).

War Irving fit, zeigte er seine Fähigkeiten und knackte zweimal die 50-Punkte-Marke, erstmals bei seinem Debüt gegen die Timberwolves. Ohne KD war er klar die erste Option der Nets und nahm durchschnittlich fast 21 Würfe. Die Zahlen lesen sich gut: 27,4 Punkte (Career High), 6,4 Rebounds und 5,4 Assists stehen zu Buche - und das bei absolut akzeptablen Quoten (47,8/39,4/92,2 Prozent).

Auch abseits des Courts sorgte Irving hin und wieder für Schlagzeilen. In seiner Funktion als Vizepräsident der NBAPA sprach er sich mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten gegen einen Restart der Saison aus. Neben dem Fokus auf den systematischen Rassismus in den USA kritisierte er den Unterschied zwischen den Gehältern zwischen den Superstars und den restlichen Spielern.

Bereits im Januar übte er allerdings auch öffentliche Kritik an der Zusammenstellung des Kaders: "Es ist doch offensichtlich, jeder sieht es. Es ist sonnenklar, was wir brauchen, um den nächsten Schritt zu machen", sagte er. "Wir werden mit dem jetzigen Kader das Beste geben und werden uns dann mit dem anderen Zeug im Sommer befassen, wenn es darum geht, wie wir den Kader optimieren können."

Die Topscorer der Brooklyn Nets gegen Toronto

Spieler Punkte FG in % 3FG in % FT Caris LeVert 20,3 37,0 42,9 18/25 Joe Harris (2 Spiele) 16,5 52,2 58,3 2/4 Timothe Luwawu-Cabarrot 16,0 33,9 33,3 11/12 Tyler Johnson 13,8 45,7 39,3 2/2 Garrett Temple 12,0 34,7 25,0 5/6 Jarrett Allen 10.3 / 58,3 13/16

Wird Interimscoach Jacque Vaughn seinen Job behalten?

Die Nets trennten sich im März von Head Coach Kenny Atkinson, vor allem der Zeitpunkt der Trennung kam äußerst überraschend, da Brooklyn auch damals bereits klar auf Playoff-Kurs war und kurz zuvor die Spurs deutlich besiegt hatte. Als Grund galt übereinstimmenden Medienberichten zufolge der fehlende Rückhalt in der Kabine - in erster Linie bei den Superstars.

"Es ging nicht um die vergangenen 24 Stunden oder um das vergangene Spiel. Es war nur der Höhepunkt einiger Vorkommnisse über das komplette Jahr", erklärte auf der folgenden Pressekonferenz vielsagend. Obwohl sich Atkinson in der Ausbildung der Youngster (u.a. auch D'Angelo Russell) im Zuge des Rebuilds große Verdienste erworben hatte, sollen Durant und Irving wenig Interesse daran gezeigt haben, mit Atkinson in die neue Saison zu gehen. Auch das Wort von Besitzer Joe Tsai soll bei der Entscheidung großes Gewicht gehabt haben.

Vaughn wird ein enger Kontakt zu den beiden Stars nachgesagt, was sich auch darin zeigte, dass er deren Buddy DeAndre Jordan nach seiner Beförderung wieder in die Starting Five beorderte - zulasten des fraglos besseren Jarrett Allen, der vor allem perspektivisch möglichst viel Spielzeit sehen sollte, um seine zukünftige Rolle zu evaluieren.

Die sportlichen Leistungen der vergangenen Wochen sprechen für Vaughn, weshalb es denkbar ist, dass aus dem ursprünglich als Übergangslösung angedachten Engagement etwas Langfristiges werden könnte. "Ich bin definitiv ein großer Fan. Was er mit uns hier in der Bubble geleistet hat, ist überragend. Mit seiner Einstellung und seiner Art der Kommunikation hat er gezeigt, dass er es verdient, ein Head Coach in dieser Liga zu sein", sagte Temple.

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Brooklyn Nets werben um Gregg Popovich

Dennoch hofft man in Brooklyn wohl auf die große Lösung, die auf den Namen Gregg Popovich hört. Nach Informationen von The Athletic wird die Möglichkeit ausgelotet, den fünffachen Champion mit den Spurs zu verpflichten. General Manager Sean Marks (ehemals Assistant Coach unter Popovich) wolle erst dann mit weiteren Kandidaten in Kontakt treten - gehandelt werden Jeff Van Gundy, Tyronn Lue, Jason Kidd, Ime Udoka, Mark Jackson und auch Ex-Sixer Brett Brown -, wenn er eine Absage von Pop kassiert hat.

Popovich hatte nach dem Saisonende mit den Spurs klargestellt, weiter coachen zu wollen, die Zeichen deuten darauf hin, dass er das weiterhin am Alamo River tun wird, auch wenn Durant und Irving nach ESPN -Infos als große Befürworter einer Verpflichtung des Trainer-Urgesteins gelten. Sollte sich die Anfrage jedoch (wie erwartet) als aussichtslos erweisen, könnte das weitere Vertrauen auf Vaughn durchaus Sinn ergeben.

Was geschieht in der Offseason?

"Priorität Nummer eins". Das sagte GM Marks, als er darauf angesprochen wurde, welche Rolle Joe Harris in den Offseason-Planungen einnehmen wird. Der Scharfschütze legte über die Saison 14,5 Punkte bei 42,4 Prozent aus der Distanz auf (in der Vorsaison waren es sogar 47,4 Prozent), in der Bubble konnte er seine Produktion sogar auf durchschnittlich über 20 Zähler und 54,1 Prozent vom Perimeter steigern.

Harris' Zweijahresvertrag über 16 Millionen Dollar läuft aus, er wird Unrestricted Free Agent. Trotz der coronabedingt unklaren Lage bezüglich Salary Cap und Beginn der Free Agency ist klar: Ein Spieler wie Harris wird das Interesse zahlreicher Teams auf sich ziehen. Das sollte die Nets jedoch nicht davon abhalten, beim Werben um Harris bis an ihre Schmerzgrenze zu gehen.

Dieser passt als Scoring-Option, die den Ball nicht in der Hand haben muss, um effektiv zu sein, perfekt zum Duo aus Irving und Durant. Sollten die beiden wieder regelmäßig gemeinsam auf dem Feld stehen, werden sich Räume für Harris öffnen, welche dieser bisher nicht hatte. Ein Anstieg seiner Dreierquote ist demnach nicht auszuschließen.

Angesichts des überschaubaren Free-Agency-Markts wird Brooklyn keinen gleichwertigen Ersatz finden. Entscheidend wird sein, in welchem Umgang Besitzer Tsai bereit ist, in die Luxussteuern vorzudringen. Die Contract Extension von Taurean Prince sichert diesem in den kommenden beiden Jahren stolze 29 Millionen Dollar zu. Denkbar ist bei Harris ein gut dotierter Vertrag mit kurzer Laufzeit, mit dem er seinen Marktwert weiter steigern kann.

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Nets erklären Harris zur "Priorität Nummer eins"

Um einen solchen Deal möglich zu machen, könnten die Nets auf die Team-Option bei Temple (5 Mio.) verzichten und außerdem Free Agent Wilson Chandler ziehen lassen, der auf einer ähnlichen Position zuhause ist. Tyler Johnson könnte mit einem Minimalvertrag gehalten werden und als Backup-Point-Guard fungieren.

Im Draft wählen die Nets an Position 19 aus, aufgrund des Mangels an hochkarätigen Spielern ergibt es wohl am meisten Sinn, in erster Linie den Bedarf auf einer bestimmten Position in den Blick zu nehmen. Hierbei dürfte der Blick der Verantwortlichen vor allem auf den Flügel wandern, wo hinter KD, Prince und Dzanan Musa gähnende Leere herrscht. Auch die Center-Rotation um Allen und Jordan könnte adressiert werden.

Müssen die Nets Caris LeVert traden?

"Je mehr du spielst, desto mehr Erfahrung sammelst du. Aber nächstes Jahr wird es deutlich einfacher für uns alle, wenn wieder mehr Leute zur Verfügung stehen", freute sich Caris LeVert schon auf die neue Saison in Brooklyn. Ob er aber dann noch zum Roster gehört, muss zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden.

Bereits im März deutete ESPNs Brian Windhorst an, dass die Nets wohl auf Starsuche gehen werden und hierzu auch bereit wären, ihr junges Talent zu opfern. "Sie werden einen Angriff auf dem Markt unternehmen." Aufgrund der Cap-Situation wäre eine Verstärkung des Kaders nur via Trade möglich, LeVert wäre in einem solchen Szenario das mit Abstand attraktivste Asset.

In seiner vierten Saison in der Liga legte der Flügelspieler die besten Zahlen seiner Karriere auf und verbuchte 18.7 Punkte, 4,4 Assists und 4,2 Rebounds. Auch die 36,4 Prozent aus der Distanz waren ein Career-High, nachdem er zuvor immer mal wieder vom Perimeter strauchelte. Soll er an der Seite von Durant und Irving auch Off-Ball und mit geringerer Usage Rate zu funktionieren, muss er diesen Wert beibehalten. 31.6 Prozent bei den Catch-and-Shoot-Dreiern bieten noch Luft nach oben.

LeVert unterzeichnete im vergangenen August einen Dreijahresvertrag, der ihn für auf den ersten Blick läppische 52 Millionen Dollar bis inklusive der Saison 2022/23 an die Franchise bindet. Dies ist ist primär auf seine Krankenakte zurückzuführen. Diese war bereits 2016 der Grund dafür, dass LeVert erst an 20. Stelle gedraftet wurde, in seinen vier NBA-Spielzeiten bestritt er 57, 71, 40 und 45 Spiele.

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Insbesondere die schreckliche Fußverletzung im November 2018 bereitete lange Sorgen, nun aber ist LeVert seit Jahresbeginn durchgehend einsatzfähig, hat seinen Wert eindrucksvoll bewiesen und seine Spielmacher-Qualitäten demonstriert. 13 Assists gegen die Clippers folgten 15 und 11 in den Playoffs gegen die Raptors.

In diesen Playoffs konnte LeVert schalten und walten wie er wollte, mit Irving und Durant wird das nicht der Fall sein. Beide Superstars sind balldominant, für LeVert würde nur eine Rolle als Nebendarsteller übrig bleiben. Womöglich wäre es sinnvoller, wenn LeVert von der Bank kommen würde, sodass er einige Minuten die Offense übernehmen kann. Dafür ist er aber eigentlich verschenkt, auch weil Dinwiddie ähnliche Qualitäten mitbringt.

LeVerts Wert ist durch seine Leistungen in den Playoffs so hoch wie vielleicht nie wieder, entsprechend sollten die Verantwortlichen handeln und schauen, was sie für den 26-Jährigen bekommen können.

Sind diese Nets mit Durant und Irving ein Contender?

Die Antwort auf diese Frage ist zumindest in der Theorie einfach: Sind Durant und Irving dauerhaft fit und rufen ihr Leistungsmaximum ab, garantiert allein dieses Duo Siege - auch in den Playoffs im Osten. Dass in Brooklyn bereits vielversprechende Bausteine vorhanden sind, haben die Ergebnisse in der abgelaufenen Saison gezeigt.

Als möglichen Kandidaten als dritten Star bei den Nets nennt unter anderem Stefan Bondy von der New York Daily News Bradley Beal von den Washington Wizards. Intern sei bereits diskutiert worden, wie dieser den Weg nach New York finden könnte. Ob dieser nach seiner Vertragsverlängerung überhaupt verfügbar ist, sei jedoch unklar.

Generell ist zu diskutieren, ob ein solcher Trade für einen Star überhaupt notwendig und förderlich ist, wenn bereits zwei Spieler im Kader stehen, die Partien im Alleingang entschieden können. Denn der Gegenwert LeVert würde für eine solche Transaktion bei weitem nicht ausreichen. Immerhin besitzt Brooklyn in den kommenden Jahren wieder Erstrundenpicks, 2020 den von Philly, ab 2021 alle eigenen.

Und auch der Kader hält abgesehen von LeVert jede Menge interessante Spieler bereit. "Wir haben großartige Teile, aber es ist offensichtlich, dass wir ein oder zwei mehr brauchen, die mich, Kevin, DeAndre, Garrett, Spence und Caris vervollständigen", nannte Irving bei seiner Forderung nach Verstärkungen mit Dinwiddie zumindest einen dieser Namen.

Allen, LeVert und Dinwiddie als Bestandteile der Zukunft?

In seiner vierten Saison in Brooklyn legte dieser 20,6 Punkte und 6,8 Assists auf. Für die nächste Saison ist er noch für günstige 11,5 Millionen Dollar an die Nets gebunden, für die Folgesaison verfügt er über eine Spieleroption (12,3). Diese wird er wohl nur ziehen, sollte der Salary Cap infolge der Corona-Pandemie entscheidend fallen.

Nicht nannte Irving hingegen Jarrett Allen. Der Center spielte in der Bubble stark auf und geht ins letzte Jahr seines Rookie-Contracts. Sollte dieser seine Zukunft nicht in Brooklyn sehen oder die Nets diesen nicht bezahlen wolle, wäre er ein interessanter Trade-Chip. "Es herrscht derzeit eine große Unsicherheit", sagte Allen - und bezog sich damit auf den Status der NBA wie auch den der Nets.

Die Nets können ein beeindruckendes Trade-Paket schnüren, um sich die Dienste eines "richtigen" dritten Stars zu sichern. Der Wert der Spieler, die sich in Abwesenheit von Durant und Irving präsentieren durften, ist möglicherweise auf einem einmaligen Höchstwert. Und doch könnte die beste Lösung darin bestehen, einfach nichts zu machen und dem vorhandenen Kern eine Chance zu geben - zumindest fürs Erste.