Hansi Flick ist in einen illustren Kreis aufgestiegen. Nach Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes und Jürgen Klopp ist er erst der vierte deutsche Coach, der in der Champions League triumphierte. Dem 71 Jahre alten Hitzfeld gelang dies - ebenso wie Heynckes - sogar zweimal: 1997 mit Borussia Dortmund und 2001 mit dem FC Bayern.

Im Interview äußert sich der erfolgreichste deutsche Vereinstrainer auch über David Alaba, Thiago, Thomas Tuchel, die neue deutsche Trainergeneration, das Finalrundenformat der Königsklasse und sein Unverständnis über eine Corona-bedingte Regeländerung.

Herr Hitzfeld, hatten Sie als langjähriger Bayern-Trainer zwischenzeitlich Zweifel, dass es tatsächlich zum Sieg reichen wird?

Ottmar Hitzfeld: Nein. Ich habe das Spiel genossen, denn es sind wirklich die beiden derzeit besten Mannschaften der Welt aufeinandergetroffen. Bayern hat sich den Titel mit seiner unglaublichen Konstanz und Souveränität in der Champions League absolut verdient. Sie sind mit jedem Spiel und jedem Sieg immer selbstbewusster geworden und wussten, dass sie irgendwann treffen werden. Paris hatte zwar Chancen, aber Manuel Neuer war wieder mal ein großer Rückhalt und hat gezeigt, dass er der beste Torwart der Welt ist.

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Welche Bedeutung hat dieses zweite Triple für den Verein?

Hitzfeld: Das ist natürlich ein historischer Erfolg für den FC Bayern. Der Umbruch im Kader ist überzeugend gelungen. Um die Achse mit Neuer, David Alaba, Thomas Müller und Robert Lewandowski herum wächst da eine goldene Generation heran. Viele jüngere Spieler wie Joshua Kimmich oder Serge Gnabry sind schon jetzt Leistungsträger und für ihr Alter unheimlich stabil. Das zeigt, dass der Verein viele hervorragende Transfers in den vergangenen Jahren gemacht hat. Hasan Salihamidzic hat mehrfach ein glückliches Händchen bewiesen, etwa bei einem Juwel wie Alphonso Davies.

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Ottmar Hitzfeld: "Bayern wird die nächsten Jahre international prägen"

Und welche Bedeutung hat der Erfolg für den deutschen Fußball?

Hitzfeld: Die Bundesliga stellt die beste Mannschaft der Welt und das wird auch die anderen Vereine in Deutschland beflügeln. Die Wirkung nach außen ist einfach phänomenal. Man war schon Vorreiter in der Corona-Krise, in der als erste Liga der Spielbetrieb wieder aufgenommen wurde. Die Meisterschaft wurde perfekt zu Ende gespielt und jetzt in der Champions League mit Bayern und auch RB Leipzig im Halbfinale eine überzeugende Visitenkarte abgegeben. Von daher hat der deutsche Fußball in den vergangenen Monaten international enorm an Stellenwert hinzugewonnen.

Die Bundesliga und die Ligue 1 haben den Titel unter sich ausgemacht, die bislang dominierenden Primera Division und Premier League hatten das Nachsehen - nur eine Momentaufnahme oder eine Tendenz?

Hitzfeld: Es ist ein grandioser Erfolg, aber in der neuen Saison beginnt es wieder bei null. Die Konkurrenten in England und Spanien werden topmotiviert sein, zurückzuschlagen. Allerdings sind einige Klubs angeschlagen, der FC Barcelona zum Beispiel befindet sich im totalen Umbruch und wird Zeit benötigen. Deshalb glaube ich, dass Bayern die nächsten Jahre international prägen wird und auch gute Chancen hat, den Champions-League-Titel zu verteidigen.

Wie bewerten Sie den Anteil von Hansi Flick am Triumph?

Hitzfeld: Er hat sich alles hart erarbeitet und auf der für ihn neuen Position als Chefcoach Sensationelles geleistet. Hansi Flick hat diese Chance wahrgenommen und ist der Vater des Erfolgs. Neben seiner sportlichen Kompetenz zeichnen ihn vor allem seine menschlichen Qualitäten aus, weil er ein absoluter Teamplayer ist und für alle Mitarbeiter ein offenes Ohr hat. Flick kann eine Ära prägen mit dieser Bayern-Generation wie zuletzt bei den Europacup-Triumphen 1974, 1975 und 1976.

Ottmar Hitzfeld: "Müller ist wie Phönix aus der Asche aufgestiegen"

Wer ist Ihr Spieler der Saison?

Hitzfeld: Thomas Müller, der wieder wie Phönix aus der Asche aufgestiegen und einer der wichtigsten Antreiber der Mannschaft ist. Er trägt das Bayern-Gen in sich und ist jemand, der in der Kabine und auf dem Platz das Zepter übernimmt. Solche Spieler brauchst Du als Trainer und das macht Müller hervorragend, das hat man auch im Finale gesehen. Er hatte zwar keine großen Szenen, aber er war ganz wichtig für die Mannschaft.

Wie wichtig wäre ein Verbleib von David Alaba?

Hitzfeld: Natürlich ist er einer der Stützen des Teams und spielt seit Monaten überragend. Es war eine hervorragende Entscheidung von Hansi Flick, Alaba in die Innenverteidigung zu verschieben. Ob er bleibt oder nicht, ist sicher auch eine finanzielle Frage. Auf der anderen Seite weiß er, glaube ich, welch große Wertschätzung er bei Bayern hat.

Wie stark schwächt der offenbar feststehende Abgang von Thiago das Team?

Hitzfeld: Das ist natürlich ein Verlust für Bayern. Nachdem er anfangs sein Können nicht immer abrufen konnte, hat er sich wie die gesamte Mannschaft weiterentwickelt und stark verbessert.

Ist Thomas Tuchel trotz der Niederlage auch ein Gewinner?

Hitzfeld: Ich glaube, für die Besitzer aus Katar war ganz wichtig, dass er mit PSG das Finale erreicht hat. Das ist schon eine großartige Leistung und Thomas Tuchel hat sich in Paris absolut etabliert, was als Deutscher in Frankreich nicht ganz so einfach ist. Es ist ja eine schwierige Aufgabe, mit so vielen Stars zu arbeiten und einen solch starken Individualisten wie Neymar noch dahin weiterzuentwickeln, dass er zuerst an die Mannschaft denkt. Das ist Thomas Tuchel gelungen.

Drei der vier Trainer im Halbfinale kamen aus Deutschland, im Vorjahr gewann Jürgen Klopp den Titel. Was sagt das aus?

Hitzfeld: Unsere Trainerausbildung war immer hervorragend, auch früher schon. Aber die Trainer müssen sich dann auch freischwimmen, da hängt viel von der Persönlichkeit ab. Offenbar zahlt sich jetzt der Mut in der Liga aus, jungen Trainern die Verantwortung zu geben. Internationale Topklubs werden sicher noch mehr als ohnehin schon den deutschen Trainermarkt beobachten.

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Ottmar Hitzfeld: Weiterhin fünf Auswechslungen? "Auf gar keinen Fall"

Sollten die fünf Auswechslungen beibehalten werden?

Hitzfeld: Auf gar keinen Fall. Ich verstehe überhaupt nicht, wer auf solch eine Idee gekommen ist und warum man es geändert hat. Die Spieler sind doch fit, da braucht es nicht mehr als drei Wechsel. Mit fünf Wechseln dagegen kann man auf Zeit spielen, wenn man vorne liegt, und macht damit das Spiel kaputt und zerstört die Moral des Gegners. Das ist nicht fair.

Wie hat Ihnen die erstmals ausgetragene Finalrunde gefallen?

Hitzfeld: Das war sicher ein Highlight, fast wie eine WM mit den vielen K.o.-Spielen. Trotzdem bevorzuge ich den alten Modus mit Hin- und Rückspielen. Das ist spannender und auch emotionaler, gerade wenn hoffentlich bald wieder Fans dabei sein dürfen. Aber in der jetzigen Zeit war es eine fantastische Idee.

Auch in der neuen Saison wird allerdings vorerst ohne Publikum gespielt werden, einen Zuschauer-Boom kann der Triple-Erfolg also nicht nach sich ziehen. Wie blicken Sie auf die kommende Spielzeit?

Hitzfeld: Man wird wohl noch eine Zeit ohne Zuschauer auskommen müssen, aber wir müssen glücklich sein, dass überhaupt wieder gespielt wird. Da haben wir DFL-Chef Christian Seifert sehr viel zu verdanken als Vorreiter in der Corona-Krise und mit der Bundesliga als weltweites Vorbild. Der Champions-League-Triumph der Bayern erhöht natürlich massiv den Stellenwert des deutschen Fußballs. Und wenn es einen Impfstoff gibt, werden die Stadien auch wieder schnell ganz voll sein.