Wer wird der Starting Quarterback der New England Patriots im Jahr 2020 sein?

Der Abgang von Tom Brady wirft diese Frage zum ersten Mal ernsthaft in Foxborough seit 2001 auf - und trägt bereits jetzt kuriose Triebe.

Seit der Vorwoche dürfen die NFL-Teams in ihren Camps "richtig" trainieren, also mit Pads im Training Kontaktsport betreiben. Entsprechend ist damit auch der Quarterback-Dreikampf in New England offiziell eröffnet.

Für die Reporter vor Ort bedeutet das, dass sie Buch führen über die gezeigten Leistungen von Cam Newton, Jarrett Stidham und Brian Hoyer. Und ganz nebenbei müssen die News-Seiten der hiesigen Zeitungen und Online-Portale befüllt werden.

Das führte dazu, dass der Journalist Phil Perry von NBC Sports Boston Head Coach Bill Belichick auf einer Pressekonferenz fragte, ob es sein könne, dass die Patriots in der kommenden Spielzeit mit einer Art Quarterback-Platoon auflaufen könnten. Sprich: Ein Job-Sharing zwischen zwei Quarterbacks. Würde Belichick das tatsächlich umsetzen, wäre es eine Sensation.

Belichicks Antwort verlief in etwa so, wie man sich das vorstellt: "Sehen Sie, ich sage immer, dass ich das tun werde, was ich für das Beste für das Team halte. Was gibt uns die beste Chance zu gewinnen? Was auch immer das sein mag, werde ich in Erwägung ziehen."

Für Belichicks Verhältnisse eine zuvorkommende, aber dennoch nichtssagende Antwort.

Patriots: Wie realistisch ist ein Quarterback-Platoon?

Das allerdings hielt die örtlichen Medien nicht davon ab, diese Aussage nicht nur zu verbreiten, sondern auch aufzublähen. Kolumnen über Kolumnen wurden mit dem Thema Quarterback-Platoon gefüllt, immerhin hatte Belichick der Idee nicht nur keine klare Absage erteilt, sondern - wenn man die Antwort so interpretieren möchte - sogar angedeutet, dass man etwas derartiges in Erwägung ziehen könnte.

Doch wie realistisch ist ein solches Szenario überhaupt?

Belichicks Aussage allein ist keineswegs ein Grund, das Thema überzubewerten. Belichick sagt in aller Regel gar nichts, auch wenn er manchmal - wie in diesem Fall - durchaus redet. Belichick tut letztlich immer das, was er als das Beste fürs Team erachtet. Das ist keine Neuigkeit, sondern sein stets wiederkehrendes Mantra. Nicht mehr, nicht weniger.

Letztlich gilt Belichick als unkonventionell und sehr innovativ. Im Vorjahr verzichtete er des Öfteren auf eine klare Defensive Line und stellte teilweise einen oder gar keinen Down-Lineman auf, um dahinter mit Linebackern und Defensive Backs noch unberechenbarer zu sein. Anfang des vergangenen Jahrzehnts machte er die 2-Tight-End-Sets salonfähig. Belichick ist in der Hinsicht seit jeher Trendsetter in der Copycat-Liga NFL.

Allerdings darf bezweifelt werden, dass der so erfolgreiche Head Coach zu Beginn des Training Camps verraten würde, was er konkret in der anstehenden Saison vorhabe. Dazu ist der 68-Jährige der Öffentlichkeit gegenüber viel zu skeptisch eingestellt.

Patriots: Erste Trainingseindrücke der QBs überschaubar

Die Trainingseindrücke der ersten paar Einheiten im Camp waren bei allen drei Kandidaten auf den Starter-Job eher überschaubar. Newton begann solide, warf dann am zweiten Tag seine erste Interception und zeigte sich ansonsten noch etwas zögerlich. Dem Vernehmen nach brauchte er etwas zu lange für seine Reads und damit seine Würfe, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass er die Offense lernen muss.

Stidham, den derzeit Probleme mit der Hüfte plagen, was ihn wertvolle Trainings-Snaps kostet, wackelte wiederum ehe er zuletzt ausfiel und sorgte vor allem durch mehrere Interceptions für Schlagzeilen. Einst als Favorit auf den Starter-Job gehandelt, muss er inzwischen, so scheint es, am ehesten wieder Boden gutmachen.

Hoyer wiederum präsentierte sich solide und als derjenige, der wohl das Offensiv-System von Offensive Coordinator Josh McDaniels am besten beherrscht. Letzteres ist nicht verwunderlich, schließlich ist dies bereits sein dritter Aufenthalt in Foxboro.

Belichick betonte, dass man allen dreien eine Chance geben wolle und entsprechend die Reps im Training aufgeteilt werden sollen. "Momentan wollen wir allen die Gelegenheit geben, an den Basics zu arbeiten. Und das machen wir wirklich auf allen Positionen. Alle rotieren gerade durch und wir geben allen die Gelegenheit, die grundlegenden Plays zu spielen und die Grundlagen zu verinnerlichen", sagte Belichick gegenüber Reportern.

Allerdings räumte Belichick auch ein: "Natürlich wird der Punkt kommen, an dem nicht mehr jeder gleich viele Einheiten bekommt. Das ist offensichtlich, aber da sind wir noch nicht." Lediglich Stidhams Verletzung zwang die Patriots in den jüngsten Einheiten zu einer klareren Aufteilung.

Entsprechend darf zunächst weiter spekuliert werden, weiter Strichliste im Training geführt werden, wer denn die meisten Plays mit der ersten Offense absolvierte und wie viele Pässe ankamen und so weiter. Ebenso wird die Platoon-Theorie weiter im Raum stehen.

Quarterback-Platoon: Kaum positive Präzedenzfälle

Wirklich überzeugende Präzedenzfälle gibt es dafür in der NFL oder generell im Football jedoch kaum. Anfang der 70er Jahre etwa ließ Tom Landry zwei Quarterbacks abwechselnd bei den Dallas Cowboys starten - Craig Morton und einen Naval-Academy-Absolventen namens Roger Staubach.

Bevor sich dann der spätere Hall-of-Famer durchsetzte, trieb Landry den damaligen "Quarterback Shuttle" in einem Spiel gegen Chicago 1971 auf die Spitze und ließ beide QBs abwechselnd pro Play ran. Das führte zu heillosem Chaos und 4 Interceptions. Das Spiel verloren sie 19:23. Danach übernahm Staubach und führte die Cowboys zu deren erstem Super-Bowl-Sieg.

Im College-Bereich versuchten es unter anderem die Michigan Wolverines unter Head Coach Lloyd Carr bis Saisonmitte 1999 mit einem QB-Platoon mit Drew Henson und Tom Brady - einer spielte das erste Viertel, einer das zweite und wer sich besser präsentierte, durfte die zweite Hälfte übernehmen. Letzten Endes aber war Brady der Starter und führte das Team zu einem Orange-Bowl-Triumph.

Diese und andere Beispiele lassen sich aber kaum auf die Patriots 2020 übertragen. Eher noch die Idee der Texas Longhorns aus dem Jahr 2016: Jene machten Shane Buechele zum Starter und ersetzten damit den Vorjahres-Starter Tyrone Swoopes, der aber doch noch eine Rolle in der Offense hatte.

Er war der athletisch bessere QB und durfte immer noch in einem Personnel-Package ran, das sich "18 Wheeler" nannte. Es handelte sich dabei um ein Heavy-Package, mit Blockern, die zusammen fast 3000 Pfund (rund 1360 Kilogramm) auf die Waage brachten. Es war für Short-Yardage- und Goal-Line-Situationen gedacht und half Swoopes dabei, 174 Rushing Yards und 7 Touchdowns zu erzielen.

Allerdings darf bezweifelt werden, dass die Patriots allen Ernstes Newton, der maximal 7,5 Millionen Dollar verdienen könnte und ein früherer MVP ist, nur geholt hätten, um ihn in Goal-Line-Packages zu nutzen. Das hätten sie auch günstiger haben können.

Patriots: Platoon problematisch für den Rhythmus

Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich am Ende des Training Camps dann doch derjenige mit dem größten Potenzial durchsetzen wird. Und das ist nun mal Newton. Dafür spricht seine Vita, ebenso seine große Erfahrung in der Liga.

Dass er in Woche 1 des Camps ein für ihn völlig neues System noch nicht beherrscht, sollte niemanden überraschen. Auch nicht, dass sich noch kein klarer Starter herauskristallisiert hat, da schließlich jedes NFL-Team mit Corona-bedingtem Trainingsrückstand in die Vorbereitung gegangen ist.

Zudem sind Quarterbacks dann besonders gut, wenn sie einen gewissen Rhythmus finden. Wenn sie sich "eingegroovt" haben, wenn man so will. Das gilt für einen Brady genauso wie für einen Patrick Mahomes, der im Super Bowl lange keinen Rhythmus fand und entsprechend ineffektiv war. Schaut man nun auf die aktuellen Starter-Anwärter der Patriots, allen voran Newton und Stidham, würde fehlender oder gestörter Rhythmus mehr Schaden anrichten als positive Aspekte mit sich bringen.

Newton braucht Spielpraxis, um das System und die Mitspieler kennenzulernen, Stidham, weil er schlicht noch über kaum Erfahrung in der NFL verfügt und in seinem zweiten Jahr noch reichlich grün hinter den Ohren sein könnte. Dann als Teilzeitkraft zu agieren, wäre wohl für den Gesamterfolg für beide eher hinderlich.

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Belichick mit Sonderlob für Cam Newton

Belichick jedenfalls scheint schon Freude an Newton gefunden zu haben: "Cam kam erst spät dazu, aber hat sehr viel Energie mitgebracht und bringt sehr viel Erfahrung mit in unseren QB-Room. Für ihn geht es nun darum, den Rückstand aufzuholen und die Besonderheiten und die Terminologie des Patriots-Systems zu lernen. Und daran arbeitet er extrem hart."

Was allerdings zu Saisonbeginn passieren könnte, sind Experimente. Es ist zwar davon auszugehen, dass sich die Patriots auf einen Starter vor Saisonbeginn festlegen werden. Aber dennoch könnte diese Entscheidung dann noch nicht in Stein gemeißelt sein. Belichick betrachtet den September zumeist als erweiterte Preseason und versucht in mehreren Mannschaftsteilen auszuloten, was letztlich das Beste fürs Team ist. In einem Jahr ohne Preseason könnte das noch mehr gelten.

Das ist eine Erklärung für die gelegentlich holprigen Saisonstarts New Englands in den vergangenen 20 Jahren. Und auch in diesem Jahr könnte es zu einem solchen Experimenten kommen, nur dieses Mal eben auch in der Frage, wer denn als Starting Quarterback auflaufen wird.

Ein Platoon bleibt dabei jedoch, trotz aller Gerüchte und Gedankenspiele, die unwahrscheinlichste Lösung, da hier einfach die negativen Aspekte überwiegen. Die primäre Frage lautet nun: Kann Stidham den Rückstand infolge der verpassten Einheiten abholen?

Oder ist das Duell in Foxboro womöglich sogar schon entschieden?