Fast zehn Monate lagen zwischen einer der größten Fehleinschätzungen eines Trainers im deutschen Fußball und dem zweiten Triple der Vereinsgeschichte für den FC Bayern München.

"Man muss auch die Spielertypen haben. Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 schaffen", sagte Niko Kovac Ende Oktober nach dem Betrachten eines Spiels des FC Liverpool in Hinblick auf seine Spieler.

Wenige Stunden, nachdem Kovac sein Debüt für die AS Monaco in der französischen Ligue 1 mit einem recht glücklichen 2:2 gegen Stade Reims absolviert hatte, führte sein einstiger Assistent Hansi Flick seine Hochgeschwindigkeitsfußballer, die allesamt auch vor zehn Monaten schon im Kader des FC Bayern standen, zum Sieg über Paris Saint-Germain.

Der sechste Königsklassentitel der Münchner war natürlich ein Triumph einer gesamten Mannschaft und auch einer der Mannschaft hinter der Mannschaft. Nach großen Siegen wird oft ein besonderes Gemeinschaftsgefühl zitiert, ohne das die Protagonisten nie den Erfolg hätten erreichen können.

In den allermeisten Fällen ist da schon auch was dran. Der Bayern-Klasse von 2020 nimmt man das jedoch vollumfänglich ab. Was ganz viel mit der Arbeit und Persönlichkeit von Hansi Flick zu tun hat, dessen Empathie selbst Jose Mourinho im fernen London als greifbar empfand.

Hansi Flicks Coman-Begründung auf herrliche Art altmodisch

Flick sei schon als Assistent von Joachim Löw während der WM 2014 derjenige gewesen, der stets die richtigen Worte gefunden habe, erzählte Weltmeister und DAZN-Experte Per Mertesacker erst dieser Tage. Und wie Flick vor dem großen Finale gegen PSG die Startelf-Nominierung des zuvor verletzten Kingsley Coman begründete, war ja tatsächlich auf eine herrliche Art altmodisch, ja fast schon romantisch gewesen.

"Wir spielen gegen Paris, das ist sein Heimatverein, wir hoffen, dass er da noch ein bisschen mehr motiviert ist", hatte Flick da gesagt.

In einer Zeit, in der völlig zu Recht viel vom "Qlassico" und "Sportswashing", von der Vereinnahmung des durchkommerzialisierten, turbokapitalistischen Fußballs im Allgemeinen und der beiden Finalgegner im Speziellen durch das Emirat Katar die Rede gewesen war, kommt unmittelbar vor dem größten Spiel seiner Karriere ein Trainer mit einer ganz einfachen Weisheit daher - und trifft mit seiner Entscheidung auch noch voll ins Schwarze. So schreibt man Heldengeschichten.

Hansi Flick der sechste deutsche Königsklassensiegtrainer

Es gehört zum Flick-Prinzip, dass er sich und seine Rolle immer ein bisschen kleiner macht, als er ist. Denn natürlich war Comans Hereinnahme in erster Linie taktisch motiviert, der Siegtorschütze sollte mit seinem Tempo den Ex-Schalker Thilo Kehrer permanent stressen und in Schwierigkeiten bringen. Was wunderbar funktioniert hat und ein Schlüssel zum Triumph war.

Flick ist nach Udo Lattek, Dettmar Cramer, Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes und Jürgen Klopp der erst sechste deutsche Trainer, der die Königsklasse gewinnt und hat von diesem Sextett die geringste Erfahrung als Cheftrainer. Aber er weiß schon sehr genau, wo er ist und was er tut.

Flick hat die Bayern während seiner Amtszeit nicht nur wachgeküsst und sie zu einer Einheit geformt. So einfach funktioniert das nicht. Flick hat den Spielern einen deutlich durchdachteren und funktionaleren Fußball verordnet als zuvor Kovac. Der langjährige Assistenztrainer von Löw und frühere DFB-Sportdirektor hat keinen neuen Fußballstil erschaffen, er, hat mit einigen simplen, aber umso wirkungsvolleren Tricks aktiviert, was in der Mannschaft steckt.

Flick lässt die Spieler das spielen, was sie können und hat so eine Mannschaft erschaffen, die geradezu besessen vom Toreschießen scheint und beseelt ist vom Gefühl der Unschlagbarkeit.

Hansi Flick, Tuchel, Nagelsmann und Klopp: Erfolg dank kreativer Karrierewege

Um das zu schaffen, braucht es weit mehr als Menschenfänger- und Moderationsqualitäten. Flick vor allem als empathisch darzustellen, ist daher ebenso falsch wie sein Gegenüber Thomas Tuchel nur als Taktik-Tüftler. Im Finale standen sich zwei Trainermannschaften gegenüber, angeleitet von Trainern, die die gesamte Klaviatur beherrschen.

Dass mit Flick, Tuchel und Julian Nagelsmann sogar drei deutsche Trainer im Halbfinale des Lissaboner Turniers standen, mag zum Teil auch diesem verrückten Jahr 2020 geschuldet sein, war aber kein Zufall. Im vergangenen Jahr gewann ja mit Jürgen Klopp schon ein deutscher Trainer mit der Trainermannschaft FC Liverpool die Champions League, 2018 hatte er das Team auch schon ins Finale geführt.

Die vier Erfolgstrainer denken Fußball unterschiedlich, sind völlig unterschiedliche Charaktere, haben aber doch viel gemeinsam. Keiner von ihnen ist reiner Laptoptrainer, aber Nationalspieler waren sie auch nicht. Bis auf Klopp, der über Nacht vom Zweitligaspieler zum Zweitligatrainer wurde, waren alle als Jugendtrainer erfolgreich.

Alle vier wurden zudem von der Stuttgarter Schule Ralf Rangnicks, die später zur Hoffenheimer und schließlich zur Red-Bull-Schule wurde, beeinflusst. Und haben Rangnicks Ball-und-Gegner-Hetz-Dogma um ihre Elemente erweitert. Der Erfolg der vier beweist einerseits, dass auch ungewöhnliche, kreative Karrierewege zum Erfolg führen können. Taugt aber durchaus auch als Beleg für die Qualität der Trainerausbildung beim DFB.

Die zu seiner Zeit als DFB-Sportdirektor übrigens maßgeblich ein gewisser Hansi Flick mit beeinflusst hat.