Sehr gesittet liefen sie ab, die Münchner Feierlichkeiten zu später Stunde im Estadio Jose Alvalade. Kein ausuferndes Herumhüpfen, keine überschwänglichen Finale-oho-Gesänge. Stattdessen stille Freude, Erleichterung.
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Olympique Lyon hatte sich nämlich als der erwartet unangenehme Widersacher für den FC Bayern entpuppt. Am Ende stand dennoch ein letztlich souveräner 3:0-Erfolg für den deutschen Rekordmeister zu Buche.
Finalticket gelöst, Paris Saint-Germain kann kommen - und das vermutlich über die Außenbahnen. Die Erkenntnisse zum FCB-Endspieleinzug aus Lissabon.
1. Das Glück der (anfangs) Untüchtigen: FC Bayern muss Balance finden
"Das müssen wir abstellen", sagte Trainer Hansi Flick im Nachgang der Partie auf der Pressekonferenz. Was er damit meinte? Die leichten Ballverluste in der Vorwärtsbewegung, die Lyon zu Beginn der Partie gleich mehrfach in aussichtsreiche Positionen brachten.
Thiago leitete nach nur vier Minuten mit einem Fehlpass die erste dicke Chance für die konterstarken Franzosen ein, die Lyons Depay jedoch ungenutzt ließ. Einen Davies-Ballverlust, an den sich eine missglückte Goretzka-Grätsche reihte, musste Boateng in höchster Not ausbügeln (13.), ehe Ekambi Davies entwischte und in der Folge den Pfosten traf (17.).
Lyon, zunächst aus kompakter Defensive agierend, hatte vor allem die beiden Flügel, auf denen Kimmich und Davies - wie gewohnt - hoch verteidigten, als Schlüsselstellen ausgemacht, stieß dementsprechend ein ums andere Mal in die freigewordenen Räume.
"Wie schwer es gegen eine so laufstarke Mannschaft, die defensiv taktisch hervorragend spielt und offensiv immer wehtun kann, haben wir gerade in der ersten Phase des Spiels gesehen", resümierte Flick. "Die haben wir auch mit Glück überstanden. Die Räume hinter der Abwehr haben wir nicht so gut verteidigt, wie wir es normalerweise kennen."
FC Bayern: Gegen PSG nicht auf Fortuna verlassen
Gnabry sagte nach der Partie: "Lyon hat sehr viel Druck auf uns gemacht und ist mit schnellen Leuten hinter die Kette gekommen. Wir hatten am Anfang ein bisschen Glück." Aber "zum Glück" habe man letztlich doch besser in die Partie gefunden und "das 1:0 aus dem Nichts gemacht", wie Kimmich feststellte.
Glück war also das Stichwort. Gegen PSG sollte man sich allerdings nicht auf Fortuna verlassen. Dass die Bayern unter Flick ein gewisses Risiko eingehen, ist bekannt - und gewollt. Balleroberungen hoch in der gegnerischen Hälfte, den Weg zum Tor des Kontrahenten verkürzen, das ist der Plan. Gut, wenn er aufgeht, schwierig, wenn man selbst in derartige Situationen hineinläuft wie gegen Lyon bisweilen geschehen.
Für das Duell mit Paris am Sonntag bedarf es also einer gewissen Balance aus seriöser Spielkontrolle und der Nutzung eigener Stärken in Umschaltbewegungen. Ein ständiges Angreifen und Ausschwärmen mit voller Kapelle könnte ansonsten schnell zum ungewollten Bumerang werden. Vor allem, wenn man bedenkt, wer beim Tuchel-Team vorne, insbesondere über die Außen, wirbelt.
2. Das Team fürs Finale steht: Perisic rührt die glanzlose Werbetrommel
Wenn zuletzt über die alles und jeden dominierenden Super-Bayern gesprochen wurde, waren die verbalen Lorbeerkränze schnell verteilt: Lewandowski, Müller, Davies, Gnabry (gegen Lyon) oder Goretzka. Einer flog dabei zumeist unter dem Radar: Ivan Perisic, der verlässliche Arbeiter abseits des Rampenlichts.
Der Kroate, der eigentlich nur aufgrund der Verletzung Kingsley Comans gegen den FC Chelsea vor der Turnierrunde in Portugal in die Startelf gerückt war, löst seine Rolle jedoch seitdem vorbildlich, erfüllt alle von Flick gestellten Vorgaben - ohne den ganz großen Glanz zu versprühen. Auch gegen Lyon reihte er sich in ein (nach 17 Minuten) funktionierendes Konstrukt ein.
Anfangs noch ohne nennenswerten Einfluss aufs Geschehen, lieferte Perisic quasi die Vorarbeit zum 2:0 und hatte kurz nach dem Seitenwechsel die Chance, die Partie vorzeitig zu beenden, scheiterte aber mit seinem Abschluss an OL-Schlussmann Lopes.
"Er hat eine hohe Effizienz", hatte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge im Gespräch mit der Sport Bild über Perisic jüngst gesagt. "Wann immer er spielt, macht er etwas Produktives. Ivan ist vielleicht nicht immer spektakulär, aber sehr zuverlässig." Ohne Murren machte der Routinier dann Platz für Coman, der potenziell mit mehr Spektakel aufwartet, sicherlich veranlagter ist als Perisic.
Perisic gewinnt "Endspiel-Casting" gegen Coman
Zu nutzen vermochte der Franzose seine Chance aber nicht, Coman fiel in einer insgesamt zerfahrenen Halbzeit nicht sonderlich auf. Das tut Perisic für gewöhnlich auch nicht, nur ließ Coman die Produktivität, das Zählbare vermissen, was der ehemalige Dortmunder hingegen einmal mehr zustande brachte (bei lediglich 29 Ballaktionen).
Kein Grund also für Flick, einen Wechsel vorzunehmen. Perisic, der Unterschätzte, dessen Verpflichtung im Sommer vergangenen Jahres von nicht wenigen belächelt wurde, darf sich mit Fug und Recht Hoffnungen auf einen Platz in der Final-Startelf machen - und vielleicht sogar auf ein längerfristiges Engagement bei den Bayern.
3. 2013, Teil zwei: Jetzt wird's noch besser!
Das Sequel, also die Film-Fortsetzung eines ehemaligen Kassenschlagers, kann normalerweise nicht mit dem ersten Teil mithalten. Im Falle des FC Bayern scheint diese Faustregel nicht zu greifen.
Als Kapitän Neuer nach dem Duell mit Lyon erklären sollte, was die aktuelle Mannschaft vom Triple-Team 2013 unterscheidet, erklärte er: "Wir sind in der Breite besser aufgestellt, haben Klasse-Spieler über den 18er-Kader hinaus."
"Fantastisch, was wir für eine Mannschaft haben, ohne Stinkstiefel im Team", schob Neuer nach. Eine Aussage, die tiefe Einblicke in das derzeitige Mannschaftsgefüge der Münchner gibt.
Nicht, dass der Keeper mit dem Hervorheben der Stinkstiefel-Abstinenz sagen wollte, dass in der Mannschaft, die vor sieben Jahren erstmals in der Vereinsgeschichte die prestigeträchtige Kombination aus Meisterschale, DFB-Pokal und Henkelpott in die bayrische Landeshauptstadt holte, unzählige Querulanten dabei gewesen wären.
Bayern-Luxus: Hernandez und Martinez ohne Einsatz
Vielmehr zeigte sein Statement, wie beeindruckend es um die Qualität und das Gemeinschaftsgefühl im heutigen Kader bestellt ist. Allein die Tatsache, dass Flick in einem Halbfinale der Königsklasse Spieler wie Süle, Coman, Coutinho, Tolisso und Pavard von der Bank bringen kann, verrät, wie groß die personellen Möglichkeiten dieser Tage sind.
Gar nicht erst eingesetzt wurden übrigens beispielsweise die Weltmeister Hernandez oder Martinez. Die Bayern waren auch 2013 freilich hervorragend aufgestellt, aber auf eine solch enorme Anzahl an Spielern von internationalem Spitzenformat in zweiter Reihe konnte Jupp Heynckes definitiv nicht zurückgreifen.
Die Einwechslungen im Halbfinal-Rückspiel (3:0 gegen den FC Barcelona) damals: Rafinha, Luiz Gustavo und Anatoliy Tymoshchuck.
4. Lewandowskis Ausnahmejahr: Und er trifft doch in wichtigen Spielen
In den vergangenen Jahren wurde Robert Lewandowski regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, in wichtigen Spielen Ladehemmungen zu haben. Auch ein Grund, warum der FC Bayern nach 2013 nicht mehr in ein Champions-League-Endspiel einzog.
Doch dieses Jahr ist anders. Nicht nur, weil eine Pandemie die Welt in Atem hält und die Königsklasse via Turnier in einer einzigen Stadt im August ausgetragen wird: Nein, der immer schon zuverlässige Pole hat 2019/20 noch einmal ein neues Entwicklungslevel erreicht - und erzielt passenderweise sogar diesmal in einem Halbfinale ein Tor.
Klar, sein 3:0 gegen Lyon war nicht entscheidend, aber es steht sinnbildlich für den unglaublichen Werdegang, den Lewy in der noch immer laufenden Saison genommen hat. Mit nun 15 Treffern in der Champions League, schielt er nach wie vor auf den Rekord von Cristiano Ronaldo aus der Spielzeit 2013/14 (17), den deutschen Uralt-Rekord von 55 Pflichtspieltoren, den Ausnahmestürmer Gerd Müller 1972/73 aufgestellt hatte, egalisierte Lewandowski am Mittwochabend.
"Für mich ist er der weltbeste Stürmer", schwärmte Flick von seinem Schützling. "Und ich hoffe, er trifft auch gegen Paris." Nunja, Lewandowski hat bei all seinen neun Champions-League-Einsätzen in dieser Saison mindestens einmal getroffen. Da wird er doch nicht ausgerechnet im Finale eine Ausnahme machen.