Im Grunde genommen ist es viel Lärm um recht wenig. Denn ob ausgesprochen oder nicht - was ändert sich schon großartig dabei? "Dieses Spielchen spielen wir nicht mehr mit. Das wird es von uns nicht mehr geben", sagte Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke Ende Juni.
Der BVB hat vor dem Beginn der in vier Wochen startenden Saison kein offizielles Saisonziel ausgegeben - "und das geschieht nicht, weil wir keines haben", schob Watzke wenig überraschend nach. Der mediale Druck sei mal wieder Schuld daran gewesen, dass die öffentlich formulierte Vorgabe im Vorjahr, alles versuchen zu wollen, um Deutscher Meister zu werden, scheiterte. "Das hat man drei Wochen später eigenmächtig gelöscht. Dann hieß es nur noch, die wollen Deutscher Meister werden. Um uns dann ab April zu kritisieren, dass wir unser Ziel nicht erreicht haben."
Wie auch immer man es sich hinbiegen möchte: Das Saisonziel der Borussia ist auch unausgesprochen völlig offensichtlich und gewissermaßen alternativlos. Unterhalb der direkten Qualifikation für die Champions League geht mit diesem Kader und den finanziellen Möglichkeiten des Vereins natürlich nichts. Und wenn man wie der BVB in den letzten acht Jahren fünfmal Zweiter wurde, dann kann man nur in eine Richtung der Tabelle blicken.
Dort oben thront aber immer wieder dieselbe sehr starke Mannschaft. Dennoch, so sagte es mit Mats Hummels ein Führungsspieler der Mannschaft, wolle man künftig logischerweise "einen Platz nach oben rutschen". Weil: "Das muss immer das Ziel sein, wenn man so eine Mannschaft hat." Auch andere Spieler wie Julian Brandt oder Erling Haaland machten ihre Meisterschaftsambitionen bereits öffentlich. Verblüffend ist das nicht, einzig konsequent.
BVB-Trainer Favre steht der bislang beste Kader zur Verfügung
Um zudem das zuletzt biedere Abschneiden in DFB-Pokal und Champions League zu verbessern, benötigt es im kommenden Jahr vor allem eines: zwei ähnlich gute Halbserien. Jeweils eine ist den Schwarzgelben in den beiden Spielzeiten unter Trainer Lucien Favre bereits gelungen. In der ersten Saison holte das Team des Schweizers 13 Siege und 42 Zähler in der Hinrunde, im zweiten Abschnitt waren es jedoch acht Punkte weniger. Im Vorjahr veränderte sich die Reihenfolge: 13 Siege und 39 Punkte folgten auf eine mit 30 Zählern enttäuschende Hinserie.
Die Gründe für diese Divergenz wurden vielfach diskutiert und divergierten ebenfalls. Von mangelnder Erfahrung über defensive Schwächen, zu zögerndem Auftreten, Punktverlusten gegen schwächere Teams und den immer wieder gern hervorgeholten Mentalitätsproblemen war alles dabei. In erster Linie war es eine Zusammensetzung all dieser Faktoren, die dem BVB im Weg stand.
Nun allerdings, und da gibt es kein vertun, steht dem seit zwei Jahren vor allem im Dortmunder Umfeld umstrittenen Favre noch einmal ein besserer Kader zur Verfügung als in Jahr eins und zwei. Im vergangenen Sommer kamen für über 100 Millionen Euro Ablöse Hummels, Brandt, Nico Schulz und Thorgan Hazard hinzu, ein halbes Jahr später stießen Haaland und Emre Can zum Team. Und nun bleibt mit Jadon Sancho aller Voraussicht nach der mit Abstand beste Scorer und ein Unterschiedsspieler im Team.
In Hakimi hat der BVB nur einen wichtigen Spieler verloren
Weggebrochen ist dem BVB dagegen nur ein Akteur von Belang, die Trennung von Mario Götze ist zu vernachlässigen. In Achraf Hakimi verlor Dortmund einen wichtigen Vielspieler mit unglaublichem Tempo, der in 73 Pflichtspielen an 29 Treffern beteiligt war, aber teils eklatante Defensivschwächen aufwies. Der als Ersatz verpflichtete Thomas Meunier bringt ein gänzlich anderes Profil mit, jedoch auch ein deutliches Mehr an (internationaler) Erfahrung.
Auffällig seit den Winter-Transfers von Can und Torjäger Haaland ist, wie häufig aus der Mannschaft heraus die Wichtigkeit dieser beiden Spieler für das Gefüge betont wird. Und da sind wir dann auch nicht mehr allzu weit entfernt vom Thema Mentalität, vor allem aber von der Gier und dem steten Willen, den diese beiden Neuzugänge dem Kader ganz offensichtlich hinzuzufügen in der Lage sind. Sie reißen die anderen mit, heißt es immer wieder.
Genau dies dürfte der wohl wichtigste Faktor dafür sein, dass dem BVB eine gleichmäßig konstante Saison glückt. Das fußballerische Können läuft der Mannschaft schließlich aus den Ohren heraus, wie es Ex-Coach Jürgen Klopp formulieren würde. 201 Tore in 91 Pflichtspielen unter Favre belegen dies - die Motivation des gesamten Teams muss vielmehr sein, die 111 in diesem Zeitraum kassierten Gegentore zu minimieren.
Mats Hummels: "Es geht um Konstanz"
Zuversichtlich machen dabei die Mischung des Kaders, dessen Struktur jetzt austarierter wirkt als in den beiden Vorjahren, und die Tatsache, dass die Mannschaft nun in ihr zweites, teils drittes gemeinsames Jahr geht. Doch es ist wie so häufig beim BVB: Auf dem Papier sieht das alles wunderbar aus. Entscheidend ist aber auf dem Platz, wie man besonders in Dortmund gut weiß.
"Das ist die Theorie, die fußballerische Qualität, die wir haben. Diese müssen wir auf den Platz bringen in jedem Spiel und am besten in fast jedem Training. Das ist es, was Mannschaften, die etwas gewinnen, von den anderen richtig guten Mannschaften unterscheidet. Es geht um Konstanz und darum, immer da zu sein. Es wird für uns ganz relevant sein, in den meisten Spielen von Anfang an da zu sein und zu zeigen, dass wir eine Top-Mannschaft sind", sagte Hummels treffend.
All dies permanent auszustrahlen, liegt freilich auch im Verantwortungsbereich von Favre. Für den mit großspurigen Ansagen fremdelnden Coach ist die öffentliche Zurückhaltung hinsichtlich eines Saisonziels gewiss ein Segen, der beste Kader seiner Amtszeit womöglich aber auch ein Fluch. Die Erwartungshaltung an den 62-Jährigen, der in seiner ersten Bundesligasaison beim BVB sieben Punkte mehr einfuhr als in der zweiten und in den Pokalwettbewerben jeweils im Achtelfinale ausschied, wird gleichbleibend hoch sein.
BVB: Mammutprogramm bis Winter steht bevor
Bei allen vermeintlich positiven Voraussetzungen, die Dortmund für eine erfolgreiche kommende Saison mitbringt, könnte ein Gesichtspunkt jedoch noch problematisch werden - dieser betrifft die unmittelbare BVB-Konkurrenz aber gleichermaßen. Besonders den Nationalspielern der Westfalen steht bis Weihnachten ein wahres Mammutprogramm bevor.
Ab Anfang September müssen sie inklusive der sechs Champions-League-Gruppenspiele und zweier möglicher DFB-Pokalrunden 30 Pflichtspiele in 108 Tagen abreißen. Daran schließt sich eine lediglich 14 Tage lange Winterpause an, ehe es allein im Januar mit sechs Bundesligapartien in Folge in atemlosem Rhythmus weitergeht. Eine freilich unverantwortliche Aufgabenstellung an die Spieler und für sie wie auch die Athletikabteilungen der Klubs eine enorme Herausforderung, um die pausenlosen Belastungen verantwortungsvoll zu steuern.
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BVB: Der Saisonauftakt von Borussia Dortmund im Überblick
Datum Programm Ort/Gegner 10.-17. August Trainingslager Bad Ragaz (Schweiz) 11.-14. September 1. Runde DFB-Pokal MSV Duisburg 18.-20. September 1. Bundesliga-Spieltag Borussia Mönchengladbach 30. September Supercup Bayern München