Die Jobbeschreibung des Torhüters dürfte sich in den letzten 20 Jahren im Fußball am meisten gewandelt haben. Keine andere Spielposition wurde durch Regeländerungen derart umgekrempelt, die Anforderungen so verändert wie bei den Keepern. Die Einführung der Rückpassregel im Jahr 1992 und ihre Anpassungen im Laufe der Jahre führten dazu, dass sich ein völlig neuer Typus Torhüter entwickeln musste. Die reinen Ballfänger starben bis rund um die Jahrtausendwende beinahe völlig aus und eine neue Generation übernahm.
Taktische Veränderungen gab es schon immer, die rasanten Entwicklungen der letzten zehn, 15 Jahre aber manifestierten eine ganz neue Qualität des Fußballspiels. Und die Torhüter sind dabei längst keine Randerscheinungen mehr, sondern im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin. Mitspielende Keeper gab es auch schon in den 60er und 70er Jahren, Lev Jaschin war ihr Anführer, in Deutschland wagten sich die Münchener Sepp Maier und Petar Radenkovic auch mal aus ihrem gewohnten Habitat. Das hat mit dem Torwartspiel von heute allerdings nicht mehr viel gemeinsam.
Der Torhüter ist nicht mehr nur die letzte Instanz, sondern auch der erste Aufbauspieler, Libero und Abwehrchef in einem. Als tiefster Spieler seiner Mannschaft hat nur er den Blick für das große Ganze, muss dirigieren und kommunizieren, Spielsituationen erkennen und richtig einschätzen. Seinen Strafraum beherrschen und dabei die Fähigkeiten auf der Linie nicht vernachlässigen. Und er muss mit beiden Füßen so ballsicher sein wie es ein, sagen wir, Vorstopper in den 80er Jahren war.
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Jan Oblak wurde das Talent in die Wiege gelegt
Jan Oblak hat von der Entwicklung seines Berufsbildes kaum noch etwas mitbekommen: Er war zur Zeit der großen Revolution auf dem Rasen noch gar nicht geboren. Die Gnade der späten Geburt hat es für den Slowenen wohl etwas leichter gemacht als für die Reihe seiner Vor-Vorgänger, für die Kahns und Barthez' und Schmeichels. Der eine konnte mit der Umstellung ganz gut umgehen, der andere hatte durchaus so seine Probleme. Jan Oblak, Jahrgang 1993, kennt nur diese eine Torhüterschule. Und in der hat er - Sohn eines ehemaligen Drittliga-Torhüters und einer Handballerin, die Schwester Basketball-Nationalspielerin ihres Landes - als einer der Besten absolviert.
Es gibt unterschiedliche Komitees zur Ermittlung des so genannten Welttorhüters, eines ist die International Federation of Football History and Statistics (IFFHS), welche das seit 30 Jahren mahct, und das andere der Weltverband FIFA, der erst seit 2017 den besten Keeper der Jahres kürt. In diesen Ranglisten sind sie alle zu finden, von Jean-Marie Pfaff bis Thibaut Courtois, darunter auch Oliver Kahn und Manuel Neuer, selbst Andreas Köpke war mal die Nummer eins unter den Torhütern der Welt. Jan Oblaks Name sucht man allerdings vergeblich. Nicht mal im Feld der "Geschlagenen" auf den Plätzen zwei und drei wurde Oblak bisher gelistet - was im Grunde nichts weiter ist als ein mittelschwerer Skandal.
Jan Oblaks Odyssee durch Portugal
Gut, Oblak ist eine Art Spätentdeckter. Zwar gab der schlaksige Kerl schon mit 16 Jahren sein Profidebüt in der slowenischen ersten Liga und war damit der jüngste Spieler aller Zeiten, zwischen 2009 und 2014 wechselte Oblak aber die Klubs wie Autofahrer ihre Reifen: Fast im Halbjahresrhythmus wurde Oblak, der von Benfica gekauft wurde, in Portugal herumgereicht.
Nach vier Leihgeschäften fanden sie in Lissabon dann immer noch keine Verwendung für Oblak und strichen stattdessen 16 Millionen Euro Ablösesumme ein. Im Nachbarland Spanien gab es tatsächlich einen Klub, der bereit war, so viel Geld für einen wenig etablierten Torhüter ohne großen Namen zu bezahlen. Streng genommen war es ein ziemlicher Wahnsinn von Atletico, eine derart hohe Summe in ein Versprechen zu investieren. Die Chuzpe und Fantasie der Rojiblancos sollte sich aber schon schnell auszahlen.
Jan Oblak: Anders als die anderen
Diego Simeone war die treibende Kraft hinter der Verpflichtung Oblaks. Der verrückte Argentinier war mit Atletico gerade erst Meister geworden - mit nur 26 Gegentoren in 38 Saisonspielen. Weil aber Thibaut Courtois wieder zurück nach London musste und Simeone den Defensivstil seiner Mannschaft noch weiter zementieren wollte, musste ein Torhüter her, der etwas abwich vom neuen Ideal des "Torspielers". Während alle Welt Manuel Neuers Kunststückchen bei der WM 2014 bestaunte und sich eing war, dass das die Zukunft des Torhüterspiels sein müsste, ging Simeone mit der Wahl Oblaks einen etwas anderen Weg.
Der Trainer benötigte keinen Torhüter für die Galerie oder mit einem großen Namen, mit dem man hausieren gehen könnte oder der als Rollenmodell taugte. Simeone brauchte eine Nummer eins, die in Sachen Strafraumbeherrschung und Reaktionsvermögen auf der Linie weltklasse war und damit perfekt zum eher defensiven Ansatz Atleticos passte. Die Madrilenen standen damals an der Schwelle zur europäischen Spitzenmannschaft und das mit einem Spielstil, der sich von dem der Konkurrenz auf diesem Niveau doch sehr unterschied. Während Real und Barca, die Guardiola-Bayern und in Ansätzen auch schon Manchester City und PSG sehr dominanten, offensiv ausgerichteten Fußball spielten, wagte Atletico sich freiwillig in die Rolle des Underdogs.
Simeones Team kultivierte die 1:0-Siege, selbst in der heimischen Primera Division gegen Kellerkinder gab es allenfalls die kontrollierte Offensive im 4-4-2, wo doch alle Welt in anderen Spielsystemen nach vorne stürmte. Vorne trafen Saul oder Griezmann oder der liebe Gott und hinten hielten die bärenstarke Abwehr und zur Not dann eben Oblak den Kasten sauber. In dessen zweiter Saison knackte er die Marke von lediglich 18 Gegentoren in 38 Spielen, in der langen Geschichte der spanischen Liga gab es das zuvor erst ein einziges Mal. Vier Mal in Folge holte sich Oblak die Trofeo Zamora für den Keeper mit den wenigsten Gegentoren in einer Saison, vor ein paar Wochen wurde er zum ersten Torhüter überhaupt in Spaniens Eliteliga, der die Marke von 100 Zu-Null-Spielen in weniger als 200 Partien knackte.
"Wenn das Hauptziel eines Torhüters immer noch ist, Tore zu verhindern, gibt es keinen Besseren als Oblak", sagt Sam Jackson, Chefanalyst der Agentur "World in Motion", die sich unter anderem auf Torhüter spezialisiert hat. "So sehr sich das Torhüterspiel auch verändert hat, geht es letztlich immer noch in erster Linie darum, Bälle zu halten."
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In den Kerndisziplinen ist Oblak überragend
Im Frühjahr 2016 führte er Atletico ins Finale der Champions League. In der K.o.-Phase kassierte Oblak in sieben Spielen nur fünf Gegentore unter anderem gegen die Großmächte Barcelona, Bayern und Real und festigte seinen sehr speziellen Ruf: Oblak hat die Gabe, Spiele fast im Alleingang für seine Mannschaft zu entscheiden. Auch - oder gerade - unter Dauerbeschuss bringt er das Beste in sich zum Vorschein. Handballtorhütern sagt man dieses gewisse Etwas nach, dass sich die Besten der Besten in den Kopf der gegnerischen Angreifer arbeiten können, mit jeder weiteren Parade noch unbezwingbarer erscheinen und das Tor am Ende wie vernagelt scheint. In dieser Disziplin gibt es auf der Welt seit Jahren keinen Besseren als Oblak.
Im März führte Oblak seine Mannschaft an der Anfield Road erst ins Viertelfinale der Champions League gegen RB Leipzig. In einer abermals magischen Nacht in der Königsklasse parierte Oblak Schuss um Schuss der Reds, die am Ende nur noch verzweifelten. "Unser Torwart ist der Beste der Welt. Er entscheidet Spiele so, wie es Messi für den FC Barcelona tut", sagte sein Trainer damals nach dem Spiel. Oblak machte neun (Groß)Chancen des Titelverteidigers zunichte - eine selten gesehene Vorstellung, selbst auf Champions-League-Niveau.
Die Spielweise anderer Mannschaften verschafft deren Torhütern viel längere Erholungsphasen in großen Spielen gegen große Gegner. Dann konzentriert sich einiges auf diese vielleicht zwei oder drei Aktionen pro Spiel. Neuer, Courtois, Ederson, Alisson Becker, Marc-Andre ter Stegen kennen das Gefühl kaum noch, im Hagel gegnerischer Torschüsse zu stehen. Diese Torleute haben andere Vorzüge, sind mit dem Ball am Fuß besser als Oblak, können weiter und genauer abstoßen, tatsächlich als elfter Feldspieler agieren, weit vor dem eigenen Tor postiert. Oblak aber ist der Meister des Strafraums. Seine groben Fehler in sechs Jahren in Madrid lassen sich an einer Hand abzählen.
Jan Oblak: Bald der teuerste Keeper der Welt?
Jan Oblak ist der selten besungene Atleti-Held, ein stiller Arbeiter mit größtmöglichen Wirkungsgrad für seine Mannschaft. Und in der Reihe der angebliche besten Torhüter derzeit ein wenig der Außenseiter: Weil sein Spiel noch am ehesten wie ein Relikt aus alten Tagen wirkt. Womöglich wird sich Oblaks Status in den kommenden Wochen aber noch gravierend ändern. Der FC Chelsea soll starkes Interesse an Oblak zeigen, die Blues sind mit ihren Keepern Willy Caballero und Kepa nicht besonders zufrieden. Caballero ist 38 und derzeit trotzdem gesetzt, weil sich das Versprechen in Kepa Arrizabalaga Revuelta nicht eingelöst hat.
Den jungen Spanier holte Chelsea vor zwei Jahren aus der Talentschmiede von Athletic Bilbao und legten dafür 80 Millionen Euro auf den Tisch. Kepa wurde zum teuersten Torhüter überhaupt. Diesen Rekord könnte nun Oblak brechen und Kepa erneut eine wichtige Rolle dabei einnehmen. Englische Medien bringen ein Tauschgeschäft ins Spiel, Oblak nach London, Kepa dafür nach Madrid. Die in Oblaks Vertrag angeblich festgeschriebene Ablösesumme von 130 Millionen Euro dürfte nämlich selbst den akkurat subventionierten Engländern zu hoch sein.
Jan Oblak: Seine Karrierestationen
Verein Jahr NK Olimpija Ljubljana 2009-2010 Benfica Lissabon 2010-2014 SC Beira-Mar (Leihe) 2010 SC Olhanense (Leihe) 2011 Uniao Leiria (Leihe) 2011-2012 Rio Ave FC (Leihe 2012-2013 Atletico Madrid Seit 2014