Dazu erklärt Hoeneß, warum eine andere Verteilung der Fernsehgelder nichts bringt und äußert sich aus gesellschaftlicher Sicht zur Corona-Pandemie.
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Herr Hoeneß, wie häufig sind Sie noch an der Säbener Straße?
Uli Hoeneß: Im Schnitt einmal in der Woche für einen halben Tag. Der Kontakt ist nach wie vor vorhanden.
Vor und während des Wechsels Ihres Neffen Sebastian Hoeneß als Trainer zur TSG Hoffenheim haben Sie sich ebenfalls zurückgehalten. Müssen Sie sich aktiv heraushalten oder wollen Sie das?
Hoeneß: Seit ich mein Amt zur Verfügung gestellt habe, habe ich das konsequent gemacht. Ich war Ratgeber, wenn ich gebraucht wurde und habe mich nie in etwas hineingedrängt. Im Fall von Sebastian war ich schon bei seiner Verpflichtung gar nicht beteiligt. Im Gegenteil: Ich war eher der Bremser. Hermann Gerland hat sich aber durchgesetzt, weil er ihn unbedingt haben wollte. Und genauso war es auch jetzt. Ich habe Hasan Salihamidzic und Karl-Heinz Rummenigge keinen Ratschlag gegeben. Das wäre sehr delikat, wenn ich mich als Onkel da eingemischt hätte.
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Wenn Sie am Tegernsee sitzen und die Zeitung lesen, schlagen Sie dann immer noch als Erstes den Sportteil auf oder haben Sie die Prioritäten inzwischen anders gesetzt?
Hoeneß: Das kommt darauf an. Ich lese den Sport-, Wirtschafts- und Politik-Teil. Da wir den Münchner Merkur zu Hause haben, lese ich auch den regionalen Teil. Ich will wissen, was am Tegernsee passiert.
Hoeneß: "Ich habe so eine Zeit noch nie erlebt"
In Bezug auf die Corona-Pandemie: In welcher Zeit leben wir gerade?
Hoeneß: Ich bin kein junger Mensch mehr und habe so eine Zeit auch noch nie erlebt. Wenn Sie etwas älter werden, müssen Sie sich eingestehen, dass das Leben viele Varianten bietet - und das ist jetzt eine für uns alle. Sowohl für die Alten als auch für die Jungen. Eine Herausforderung, die man nur bestehen kann, wenn man vernünftig mit der Situation umgeht. Dann können wir das schaffen. Wir haben die erste Phase, wie ich finde, sensationell geschafft. Dass es Rückschläge geben wird, war ziemlich klar und das bekommen wir auch in den Griff, wenn wir uns konsequent an die Regeln halten.
Ist es in solch einer Krisensituation normal oder frustrierend, dass sich manche Menschen nicht mehr an die Regeln halten?
Hoeneß: Ob das normal ist oder nicht, weiß ich nicht. Wir haben wie gesagt alle so eine Situation noch nicht erlebt. Aber die Jüngeren müssen lernen, dass es ihre Zukunft ist. Und die, die glauben, dass es nur um Ältere geht, die geschützt werden müssen und selbst nichts damit zu tun hätten, werden sich noch wundern. Gerade die Jüngeren müssen jetzt besonders darauf achten, dass ihre Zukunft durch die Folgen der Krankheit nicht durch Inkonsequenz kaputt gemacht wird.
Bleiben aus dem Jahr 2020 trotz der Krise auch positive Dinge hängen?
Hoeneß: Wie immer im Leben werden Leute, die einen guten Charakter haben, die dankbar und demütig sind, auch diese Zeit gut überstehen. Sie werden neue Freundschaften schließen und feststellen, dass, wenn man einen guten Zusammenhalt hat und sich an die Regeln hält, am weitesten kommt. Den Leuten, die denken, dass sie mit dem Kopf durch die Wand können, wird die Krankheit zeigen, dass man so keine Chance hat.
Kommen wir zum Sport: Wie blicken Sie auf das Blitzturnier der Champions League in Lissabon? In Portugal sind die Corona-Zahlen zuletzt auch noch einmal angestiegen.
Hoeneß : Zunächst einmal müssen wir ja Chelsea aus dem Weg räumen. Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen. Der DFB und die DFL haben bereits bewiesen, dass mit so einer Sache mit dem passenden Hygienekonzept gut umgegangen werden kann. Und ich hoffe sehr, dass die UEFA die Angelegenheit ähnlich gut managt. Beim FC Bayern wird, bei allen Dingen, die in seiner Verantwortung sind, hervorragend gearbeitet. Und deshalb bin ich mir sicher, dass die Veranstaltung - leider ohne Zuschauer - ein Erfolg wird.
Werden Sie vor Ort sein?
Hoeneß: Wenn der FC Bayern ins Halbfinale kommt, was ich hoffe, werde ich nach Lissabon reisen und die letzten zwei Spiele hoffentlich miterleben.
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Hoeneß: "Eine andere Verteilung der Fernsehgelder bringt relativ wenig"
Ärgert Sie es, dass die achte Meisterschaft in Folge in der Öffentlichkeit als fast schon normal angesehen wird?
Hoeneß: Ärgern nicht. Auf den Gedanken kann man nur kommen, wenn man nicht beim FC Bayern beschäftigt ist. Soll der FC Bayern jetzt eine 24-Stunden-Woche einführen, etwas weniger arbeiten oder weniger kreativ sein? Das wird es hier nicht geben. Eine andere Verteilung der Fernsehgelder bringt relativ wenig. Man würde dem ein oder anderen Verein zwar zwei oder drei Millionen mehr in die Kassen spülen und den großen 30, 40 Millionen wegnehmen, aber spätestens, wenn die deutschen Vereine dann international keine Chance mehr haben, weil es dort eben nicht so gehandhabt wird, wird das große Wehklagen kommen. Wenn die Verteilung geändert werden soll, muss das überregional gemacht werden. Sonst wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Mannschaften verschlechtert.
Würden Sie trotzdem gerne mehr Spannung in der Liga haben?
Hoeneß: Natürlich würden wir uns auch etwas mehr Spannung wünschen, aber die kann nur dann gewährleistet sein, wenn unsere Chancen im internationalen Geschäft nicht gemindert werden. Der Ansatz für Veränderungen ist nur dann gegeben, wenn europaweit Lösungen gefunden werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Es ist nicht nur in Deutschland so, dass der FC Bayern vorne steht. In Spanien mit Real Madrid und dem FC Barcelona, in Italien mit Juventus und in Frankreich mit Paris Saint-Germain ist es genauso. In England ist es ein bisschen anders. Da sind es mehr Vereine. Solange es keine Änderung europaweit gibt - und da sehe ich zurzeit wenig Chancen - wird das wohl vorderhand so bleiben.
Hätten Sie diesbezüglich konkrete Ideen für die Umsetzung?
Hoeneß: Man müsste die Gelder, die die UEFA generiert, möglicherweise auf alle Vereine in Europa besser verteilen. Alle Länder müssen aber gleichmäßig davon betroffen sein. Wenn die Vereine in den einzelnen Ligen dadurch gestärkt würden und die Wettbewerbsfähigkeit in der Spitze nicht verändert würde, könnte ich mich damit anfreunden.
Hoeneß über Chelsea-Hinspiel: "Selten wurde ein englisches Team so an die Wand gespielt"
Wie ist Ihr Eindruck zur Bayern-Mannschaft, die sich in der Champions League noch keine Blöße gegeben hat?
Hoeneß: Das Hinspiel gegen Chelsea war unglaublich. Ich war selbst vor Ort und habe selten eine deutsche Mannschaft gesehen, die ein englisches Team so an die Wand gespielt hat. Dieses Spiel war von der ersten bis zur letzten Minute eine Demonstration der Stärke. Unsere Mannschaft macht einen sehr hungrigen Eindruck und es herrscht auch Harmonie innerhalb der Gruppe. Alle Spieler arbeiten gut zusammen. Der Trainer hat es geschafft, die Stärken der Mannschaft zu verbessern und das Team zu einer Einheit zu machen. Man sieht, mit welcher Akribie und Leidenschaft bis zur letzten Minute gespielt wird. Die Spieler haben eine unglaubliche Saison gespielt.
Wie schafft es der FC Bayern im Vergleich zu Manchester City und PSG, die zusätzlich finanziert werden, oben mitzuspielen?
Hoeneß: Leidenschaft und Erfolgshunger gibt es in Manchester und Paris auch, aber hier ist ein großer Gemeinschaftskreis entstanden. Das hat nichts mit den verschiedenen Ländern zu tun, sondern liegt an der Kooperation zwischen Mannschaft und Trainer.
Wie vermittelt man das von Ihnen oft angesprochene "Mia-san-Mia-Gefühl"?
Hoeneß: Mit Reden oder einzelnen Gesprächen erreicht man fast nichts, das muss vorgelebt werden. Wenn ein Spieler beim FC Bayern mit allen Verantwortlichen ständig zusammen ist und beobachten kann, wie diese in bestimmten Situationen reagieren, wird er sich - wenn er klug ist - schon seine Gedanken machen. Junge Leute hinterfragen heute sehr viel. So entsteht das Mia-san-Mia-Gefühl, dass wir niemals aufgeben und immer noch eine Schippe drauflegen. Das kommt eben nicht durch eine große Klappe.
Ist es dann umso wichtiger, dass mit Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn Leute in der Führung sind, die die Mentalität auch schon als Spieler vorgelebt haben?
Hoeneß: Das erleichtert diese Dinge, weil sie das - ich würde nicht sagen mit der Muttermilch, aber mit ihren ganzen Poren - in der aktiven Zeit aufgenommen haben. Ich hoffe, dass ihnen die Trainer und die Verantwortlichen, inklusive mir, gute Lehrmeister waren. Und ich habe bei beiden das Gefühl, dass sie dazugelernt haben.
Oliver Kahn hat eine große Entwicklung hinter sich. Sie selbst sind damals jung Manager geworden. Was hat sich in den vergangenen Jahren im Management verändert?
Hoeneß: Oliver Kahn hat eine gesunde Mischung aus Empathie, Intelligenz und Leidenschaft. Er hat auch die Bereitschaft, andere Dinge aufzunehmen. Die Welt hat sich in den vergangenen Jahren extrem verändert. Auch in der Mannschaftsführung gibt es neue Ansätze, aber am Ende gibt es sehr viele Dinge, die in keinem Lehrbuch stehen und die man nicht auf der Uni lernt. Sondern die der eigene Charakter ausbilden muss. Alles Angelernte ist hilfreich. Aber das, was man mit dem Bauch, dem Gefühl, der Empathie und dem Charakter einbringt, halte ich für das Wichtigste.
Wie häufig melden sich ein Salihamidzic oder Kahn, um nach Tipps bei Ihnen zu fragen?
Hoeneß: Es ist natürlich nicht so, dass sie alle zwei Tage anrufen. Aber wenn sie eine Frage haben, können sie das tun - und das wissen sie. Wenn ich an der Säbener Straße bin, setze ich mich oft eine halbe Stunde mit ihnen hin oder sie laden mich zum Essen ein, Geld genug haben sie ja, und dann entstehen sehr kontroverse Gespräche. Sie sind keine Menschen, die alles aufnehmen, was der Alte ihnen da erzählt, sondern hinterfragen viel. Da muss man sich oft gut verteidigen - und das ist auch gut so.
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Hoeneß: Abgang von David Alaba wäre "extrem schade"
Salihamidizicist derzeit sehr viel mit Verhandlungen beschäftigt. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich David Alaba für einen Verbleib beim FC Bayern entscheidet?
Hoeneß: David Alaba hat sich in der Innenverteidigung als eine hervorragende Spielerpersönlichkeit entwickelt. Er war schon immer ein guter Abwehrspieler auf der linken Seite, aber er hat auf der neuen Position noch mal einen Sprung gemacht. Auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist größer. Deshalb wäre es extrem schade, wenn er den Verein verlässt.
Muss der FC Bayern in der heutigen Zeit vielleicht auch mal Spieler abgeben, wenn finanzstärkere Vereine anklopfen?
Hoeneß: Bis jetzt habe ich noch keinen erlebt, der von uns weggegangen ist. Es wäre der Erste.
Wie würden Sie David Alaba davon überzeugen, was er in München hat und woanders nicht findet?
Hoeneß: Ich kann nur aus eigener Erfahrung sagen, dass die letzte Million nicht so wichtig ist. Er bekommt hier einen sicheren Arbeitsplatz, viel Spaß, Heimat, viel Liebe von den Fans und Akzeptanz, die er sich bei einem anderen Verein noch erarbeiten müsste. Es gibt keinen Verein, der so familiär, gemütlich und angenehm wie der FC Bayern ist. Für ihn wäre es finanziell vielleicht ein Fortschritt, aber in allen anderen Bereichen ein Rückschritt. Und nach meinem Gefühl haben zumindest die Vereine, zu denen er gerne hingehen würde, zum Glück bisher nicht angeklopft. Und deswegen habe ich die Hoffnung, dass er bleibt.
Manchester City ist im Prozess um eine Sperre in der Champions League als Sieger hervorgegangen. Ist das Financial Fairplay gescheitert oder muss man es nur umgestalten?
Hoeneß: Wenn ich die Begründung des internationalen Sportgerichtshofs CAS lese, warum er diese Strafe zurückgenommen hat, muss ich mich schon fragen, was das alles soll. Letztendlich war die Begründung der UEFA einfach schwach. Im Prinzip hat es der CAS genauso gesehen, aber hat keine stichhaltigen Beweise für das Verhalten von Manchester City geliefert. Wenn die Richter beim CAS zu dem Ergebnis gekommen sind, dass vonseiten der UEFA schlecht gearbeitet wurde, braucht man sich nicht wundern, was dabei herausgekommen ist. Das Urteil war eine klare Ohrfeige für die UEFA. Wir haben weiterhin mit Manchester City zu tun - und der Klub kann ja nichts dafür, wenn die Dinge schlecht vorbereitet sind.
Hoeneß über Fan-Rückkehr: "Ich glaube nicht, dass die Ultras über Herrn Söder stehen"
Blicken wir abschließend noch in die Zukunft: Haben sie eine realistische Hoffnung, dass die Fans in die Stadien zurückkehren dürfen?
Hoeneß: Vor zwei Wochen wäre ich mir noch sicher gewesen, dass wir bereits im September wieder Zuschauer im Stadion haben werden. Jetzt wird es darauf ankommen, wie die nächsten vier Wochen bezüglich der Infektionen in Deutschland laufen. Der Trend war klar nach unten und man hatte das Gefühl, dass die Verantwortlichen und Ämter alles im Griff haben. Aber jetzt ist durch die Urlaubszeit eine riesige Nachlässigkeit dazugekommen. Wenn es sich dramatisch ändern sollte, wird es schwierig mit den Zuschauern. Wenn es sich wieder einfangen lässt, könnte man in München im September oder Oktober wieder mit 20.000 bis 25.000 Zuschauern spielen.
Einige Ultra-Gruppierungen weigern sich aber gegen diese Pläne und sagen: "Ganz oder gar nicht".
Hoeneß: Die Ultras entscheiden ja nicht über die Zuschauermenge im Stadion, sondern die Gesundheitsämter und Ministerien. Auch der FC Bayern entscheidet es nicht. Ich glaube nicht, dass die Ultras über Herrn Söder stehen.
Sie sagten, dass es für Sie das Wichtigste in Ihrem Job war, die Mitglieder des FC Bayern glücklich zu machen.
Hoeneß: Sie müssen zwischen Ultras und Mitgliedern differenzieren. Das ist nicht immer dasselbe. Für mich ist ein Mitglied ein wichtiger Bestandteil des Klubs, ihnen gehört der Klub im Prinzip. Die haben gewisse Rechte, aber auch Pflichten. Maßnahmen, die nur die eine Seite zufriedenstellen, sind nicht fördernd. Das Wichtigste ist, dass wir alle dem Verein dienen müssen. Vielleicht sollte der ein oder andere Ultra darüber nachdenken, ob er dem Verein in seinem Leben immer gedient hat.
Sie sind in Ihrer Zeit beim FC Bayern viel herumgekommen. Welche Persönlichkeit hat Sie in all den Jahren am meisten beeindruckt?
Hoeneß: Da gibt es sehr viele Leute, die ich toll finde. Beim FC Bayern gab es zum Beispiel einen Franz Beckenbauer und Gerd Müller. Ohne die würden wir alle nicht hier sitzen. Oder auch in der Politik und in der Wissenschaft gab es große Leute. Ich halte es für zu kurz gesprungen, eine bestimmte Person zu nennen. Ich bin ein sehr nachdenklicher Mensch, der sich mit vielen Dingen beschäftigt. Da kommen mir viele Leute in den Kopf. Das Allerwichtigste ist, dass man sich sehr fundiert bildet, indem man mit vielen, auch anders denkenden Leuten diskutiert und ihnen die Möglichkeit gibt, seine eigene Meinung zu verändern. Am Ende muss man sich eine eigene Meinung bilden und zu dieser auch stehen. Das habe ich auch versucht, in meinem Leben durchzusetzen.