Hört man sich die Beschreibung von Till Schumacher an, versteht man schnell, weshalb er von einem "riesigen Kulturschock" spricht. Bei 16 Grad unter Null stand er im Januar 2018 auf einem Fußballplatz in einer tschechischen Bergbaustadt, kaum jemand sprach Englisch. Doch egal, Schumacher wagte dennoch den Schritt zum FC Vysocina Jihlava in die 1. Liga - und ist damit bis heute der einzige Deutsche, der im Nachbarland kickt.

Dass es überhaupt soweit kam, war in den Jahren zuvor ganz und gar nicht abzusehen. Der Linksverteidiger wechselte im Sommer 2013 aus der U17 von Rot-Weiss Essen zu der von Borussia Dortmund. Ein Jahr später schon war er Deutscher B-Junioren-Meister und wurde Nationalspieler.

Spieler auf seiner Position waren und sind begehrt, Schumacher lieferte überzeugende Leistungen ab. Kein Wunder also, dass man ihn auch bei den Profis des BVB im Blick hatte. Bereits mit 16 trainierte er unter Jürgen Klopp mit: "Das war schon etwas surreal, als 16-Jähriger zum Profitraining mit Jürgen Klopp, Marco Reus und anderen bekannten Namen zu gehen und am nächsten Tag wieder ganz normal in der Schule zu sitzen."

Testspiele mit der A-Elf kamen hinzu, bald setzte er seine Unterschrift unter einen Profivertrag - und führte die U19 2016 als Kapitän zur A-Jugend-Meisterschaft. Seine Mitspieler hießen Christian Pulisic, Jacob Bruun Larsen oder Janni Serra. Alles Spieler, die heute höherklassiger spielen als er. 2017/18 nahm der BVB Schumacher in seinen 32-köpfigen Champions-League-Kader auf.

Till Schumacher: Verbleib beim BVB war ein "Fehler"

Nach dem Titel mit der U19 hätte er den Verein verlassen sollen, sagt er heute und bezeichnet seinen Verbleib als "Fehler". Stattdessen wurde er in die zweite Dortmunder Mannschaft beordert. Es war zum damaligen Zeitpunkt nachvollziehbar, weshalb sich Schumacher so entschied.

"Es gab beim BVB damals nur Marcel Schmelzer als Linksverteidiger und es sah danach aus, dass für mich ein Platz frei werden könnte", erklärt er. Doch Thomas Tuchel sah das anders. Schumacher, mittlerweile zum U20-Nationalspieler aufgestiegen, verletzte sich einige Male und kam kaum zum Zug.

"In der zweiten Mannschaft hatte ich viele Verletzungen, oft zum unpassenden Zeitpunkt. Zudem wurden immer wieder Spieler aus der ersten Elf bei uns eingesetzt, deshalb war ich plötzlich auch dort nicht mehr gesetzt", sagt Schumacher. Ihm dämmerte: Für die Dortmunder Profis wird es wohl nicht reichen. Was also tun?

Vom BVB II in die erste tschechische Liga

In den Jahren zuvor mangelte es an Interessenten nicht, auch Klubs aus Belgien und der Niederlande erkundigten sich. Doch Schumachers Stern war beträchtlich gesunken, Angebote waren rar gesät. "Man ist enttäuscht darüber, wenn man so nah dran ist und es dann doch nicht schafft."

Als Jihlava auf ihn zukam, kannte er weder Klub noch Stadt. Doch es war ein Erstligist mit der großen Aussicht, auf Anhieb in die Startformation zu kommen und sich unter anderem mit international agierenden Vereinen wie Sparta und Slavia Prag oder Viktoria Pilsen messen zu können. Zur Rückrunde 2017/18 machte er nach viereinhalb Jahren beim BVB rüber.

"Auf dem Papier klingt es in der Tat erst einmal fragwürdig", gab Schumacher zu. Doch es klappte vorzüglich: Er stand in allen 14 Rückrundenpartien über 90 Minuten auf dem Platz. Jihlava verlor davon nur vier Spiele, stieg aber dennoch ab.

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Schumacher wechselt zum "FC St. Pauli Tschechiens"

Da es Schumachers Plan war, sich in Tschechien wieder für eine Rückkehr nach Deutschland - mittlerweile ist er da ergebnisoffener - zu empfehlen, war für ihn klar, dass ein Verbleib in der 2. tschechischen Liga nicht in Frage kam. Im August 2018 wechselte er schließlich zu Bohemians Prag in die Hauptstadt und blieb somit in der erstklassigen Fortuna Liga.

Auch Bohemians könnte auf einen Spieler, der zuvor den infrastrukturellen Luxus der Dortmunder Nachwuchsabteilung genoss, recht irritierend wirken. Der Verein mit dem Känguru im Wappen wird nicht zu Unrecht als "FC St. Pauli Tschechiens" bezeichnet.

Inmitten von Häuserzeilen steht das Dolicek-Stadion, das Kabinen auf Landesliga-Niveau und nur 6800 Zuschauern Platz bietet. Das Gelände teilt sich der Klub mit einem kleineren Verein, der Platzwart wohnt direkt im Stadion. Für den traditionsbewussten Schumacher macht dies aber genau den Charme aus: "Wenn die Menschen mitfiebern, das Stadion schon ein bisschen angerostet ist, die Farbe von der Wand bröselt, das ist einfach etwas Wunderschönes", sagt Schumacher.

Till Schumacher: "Es ist schon auch frustrierend"

Bohemians ist für seine frenetischen Fans, die sich als antifaschistisch und antirassistisch bezeichnen, im ganzen Land bekannt. Der Schriftzug "Dolicek, mehr als ein Stadion!" prangt in weißen Lettern auf grüner Fläche hinter der Fan-Tribüne. "Die Fans sind schon Weltklasse. Ihnen geht es weniger um den Erfolg, sondern mehr um das Zusammensein und eine gute Zeit zu haben."

Sportlich lief der Wechsel nach Prag anfangs jedoch nicht so wie gewünscht. Rein fußballerisch war die Umstellung ohnehin groß, denn im tschechischen Mittelmaß setzt man noch auf alte Tugenden. Das Spiel ist sehr hart und physisch, lange Bälle fliegen umher, es wird Fußball gearbeitet.

Schumachers Start war noch mehr als ordentlich, anschließend fiel er jedoch nach einer Operation am Fuß für längere Zeit aus. Wie sich herausstellen sollte, stand Trainer Martin Hasek ohnehin nicht wirklich auf ihn. Sein deutlich älterer, erfahrenerer, aber auch rustikaler Konkurrent Jakub Podany erhielt in der vergangenen Saison häufig den Vorzug. "Es ist schon auch frustrierend, weil mich diese Situation ein bisschen ausbremst," sagte Schumacher, dessen Vorzüge vor allem sein Offensivgeist und die Spielintelligenz sind.

Ex-BVB-Talent Schumacher hofft auf den nächsten Schritt

Erst als im Herbst 2019 Ludek Klusacek das Traineramt übernahm und Schumacher mit einer guten Winter-Vorbereitung auf sich aufmerksam machte, lief es wieder für ihn. Nach der Winter- und vor der Corona-Pause stand er bereits viermal über die volle Distanz auf dem Feld, im Februar wurde er von den Fans zum Spieler des Monats gewählt. Als der Ligabetrieb wieder aufgenommen wurde, ging es positiv weiter - und Schumacher erzielte am 26. Spieltag gegen Budejovice endlich seinen ersten Treffer in Tschechien.

"Ich habe mit meinen Leistungen den neuen Trainer in seiner Entscheidung bestätigt, eine Win-Win-Situation also", sagt Schumacher, der die fußballfreie Zeit vor allem für sein Psychologie-Fernstudium nutzte und nach Karriereende auch in diesem Bereich arbeiten möchte: "Das hat mich schon immer interessiert. Für mich war immer klar, dass ich so viel wie möglich für meinen Kopf machen will."

Diese Zeit ist aber noch weit weg. Der mittlerweile 22-Jährige ist erpicht darauf, den nächsten Schritt als Fußballer zu gehen. Das dürfte auch im Interesse von Bohemians liegen, denn der Verein finanziert sich vor allem durch Spielertransfers. Schumacher, dessen Vertrag allerdings 2021 ausläuft, müsste bei gleichbleibender Entwicklung eine vernünftige Summe einbringen.

"Ich habe keine Angst vor der Zukunft. Ich bin komplett weltoffen", sagt der Außenverteidiger. "Nicht um jeden Preis" wolle er eine Rückkehr nach Deutschland erzwingen, auch die drei tschechischen Top-Klubs oder ein weiteres Engagement im Ausland seien für ihn denkbar. "Ich will mich einfach Schritt für Schritt weiterentwickeln. Ich muss nicht Bundesliga spielen, um am Ende eine schöne Karriere gehabt zu haben."

Ex-BVB-Talent Till Schumacher: Seine Karriere im Überblick

Verein Pflichtspiele Tore Vorlagen Minuten Rot-Weiss Essen U17 24 - - 2103 Borussia Dortmund U17 24 - - 2011 Borussia Dortmund U19 63 2 6 5364 Borussia Dortmund II 16 - 1 728 FC Vysocina Jihlava 20 - 1 1711 Bohemians Prag 27 1 6 2245