In Foxborough/Massachusetts versuchen sie seit jeher das "Beste für das Team" zu tun. Dieses Mantra wiederholt Head Coach Bill Belichick bei jeder erdenklichen Gelegenheit, wenn es um Personal- oder Taktikfragen geht. Auch 2020 wird dies das übergeordnete Motto bleiben bei den New England Patriots. Nur die Voraussetzungen dafür werden selten schwieriger gewesen sein als in dieser Spielzeit.

Die Coronavirus-Pandemie sorgte bereits dafür, dass die komplette Offseason nur virtuell stattfand. Die gerade für Rookies so wichtigen Minicamps fielen gänzlich flach, die Trainingseinheiten im Training Camp sind limitiert und Preseason-Spiele abgesagt. Obendrauf muss nun auch noch ein personeller Aderlass verkraftet werden, der so auch nicht oft vorkommt.

Die Patriots hatten nun bereits ein gutes halbes Jahr Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, künftig ohne ihren Superstar Tom Brady in die Saison zu gehen. Sie hatten Zeit, einen Plan zur Kompensierung der weiteren namhaften Abgänge besonders in der im Vorjahr wohl besten Defense der Liga zu formulieren, doch nun sind sechs weitere Spieler mit der Corona-Ausstiegs-Option abgesprungen - mindestens vier davon integrale Bestandteile aus jedem Mannschaftsteil.

Wer Belichick kennt, weiß, dass er auch diese Verluste ohne Murren hinnehmen und voranschreiten wird. Doch gelingt es ihm wie sonst auch, den Kurs ohne Weiteres zu halten? Anders als sonst verliert er schließlich dieses Mal erst kurz vor Toresschluss wichtige Leute. In der Regel bleibt ihm eine ganze Offseason, um Lücken zu füllen.

New England Patriots: Diese Spieler verzichten auf 2020

Spieler Position Im Team seit Dont'a Hightower Linebacker 2012 Marcus Cannon Offensive Tackle 2011 Patrick Chung Safety 2014 Brandon Bolden Running Back 2019 Danny Vitale Fullback 2020 Najee Toran Offensive Lineman 2019

Mit Dont'a Hightower verlieren die Patriots eine der herausragenden Defensivstützen des vergangenen Jahrzehnts. Und damit steht New England ohne seine drei Starting Linebacker des Vorjahres da - Jamie Collins spielt nun in Detroit, Kyle Van Noy in Miami. Dahinter wiederum hinterlässt auch Patrick Chung eine größere Lücke, schließlich steht kein adäquater Safety-Ersatz parat, wenn man davon ausgeht, dass Rookie Kyle Dugger trotz großer Vorschusslorbeeren sicherlich eine Zeitlang braucht, um den Sprung von Division-II in die NFL zu schaffen.

Im Vergleich dazu ist der Ausfall von Offensive Tackle Marcus Cannon noch am ehesten zu verschmerzen. Zum einen war er ohnehin ein Wackelkandidat mit der Wiedergenesung des im Vorjahr verletzten Neulings Yodny Cajuste. Zum anderen zeigte sich gerade die O-Line in den vergangenen Jahren stets anpassungsfähig, wenn ein Starter zu ersetzen war. Hier allerdings wird sich zeigen müssen, ob der Abgang vom langjährigen O-Line-Guru Dante Scarnecchia angemessen kompensiert wurde.

Grundsätzlich stellt sich nun die Frage, wie die Patriots konkret auf diese späten Abgänge - dem Vernehmen nach sollten die bisher bekannten Aussteiger die einzigen Fälle im Team sein - reagieren werden. Durch die im angepassten CBA verankerten Ausstiegsoptionen werden nämlich auch die etwaigen Cap Hits der Spieler für diese Saison gestrichen. Je nach Rechnung stehen den Patriots somit 24 bis 27 Millionen Dollar an Cap Space für die laufende Spielzeit zur Verfügung. Das ermöglicht Spielraum für mögliche Verstärkungen.

Entsprechend kursieren diverse Namen von Leuten, die gerade defensiv noch auf dem Markt sind. Soll es die ganz große Kategorie sein, wäre selbst Edge-Verteidiger Jadeveon Clowney zu haben. Doch auch die eher naheliegenden Defensive Tackles wie Marcell Dareus, Timmy Jernigan oder "Snacks" Harrison oder Edge-Rusher wie Ex-Patriot Jabaal Sheard wären denkbar.

New England Patriots: Mehr Cap Space für 2021?

Andererseits kann es auch von Vorteil sein, zunächst mal nichts zu machen und den neugewonnenen Cap Space mit in die kommende Spielzeit 2021 zu nehmen. Dann nämlich droht eine empfindliche Reduktion der Salary Cap, schlimmstenfalls auf 175 Millionen Dollar (von aktuell 198 Millionen). Jede Extra-Million könnte da schon bei etwaigen Vertragsverlängerungen - man denke an Defensive Player of the Year Stephon Gilmore - oder Free-Agent-Verpflichtungen helfen. Zugleich gäbe dies internen Optionen eine Chance, sich in einer Saison zu beweisen, die vielleicht nicht als All-In-Szenario für die Patriots bezeichnet werden kann.

Schon vor Corona war ersichtlich, dass 2020 für New England mit sehr wenig Cap Space und den Abgängen von Brady, weiteren Leistungsträgern und sogar Coaches - Scarnecchia trat zurück, Special Teams Coordinator Joe Judge trainiert nun die New York Giants - ein Übergangsjahr werden würde. Hinzu kommt, dass 2021 mit jeder Menge Cap Space - Stand jetzt knapp 54 Millionen Dollar bei einem Cap von 175 Millionen Dollar - die Perspektive auf einen aggressiven Neuaufbau deutlich besser sein wird als in dieser Saison. Freilich würde niemand das Wort "Tanking" in Foxboro in den Mund nehmen. Die Verpflichtung von Quarterback Cam Newton unterstreicht dies, aber wirklich große Ambitionen wird auch keiner haben für die anstehende Spielzeit.

Vielmehr dürften nun diverse Rookies und Spieler aus der zweiten Reihe ins kalte Wasser geworfen werden. Insbesonders kalte und tiefe Wasser, da gerade den unerfahrenen Spielern das eingeschränkte Vorbereitungsprogramm zu schaffen machen dürfte. Aber letztlich ergibt sich so die Chance, direkt zu sehen, was man an Leuten wie Rookie-Edge-Rusher Josh Uche oder Anfernee Jennigs hat, die schon mit Van Noy und Ex-Ravens-Spieler Courtney Upshaw verglichen wurden. Neuzugang Brandon Copeland könnte sich überdies durch seine Flexibilität als Glücksgriff erweisen, während ein Chase Winovich den nächsten Schritt machen könnte.

In der Secondary wiederum sind Neuzugang Adrian Phillips und Terrence Brooks gefragt, sollte es für Dugger noch zu früh sein. Es gibt also durchaus Optionen in den eigenen Reihen.

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New England Patriots: 2020 als mögliches Übergangsjahr

Unterm Strich bedeuten die zusätzlichen Abgänge bei den Patriots vor allem weitere Unwägbarkeiten in einer gänzlich schwierigen Offseason und anstehenden Saison für diese in jüngster Zeit so erfolgsverwöhnte Franchise.

Unwägbarkeiten allerdings sehen sie in Foxboro in der Regel gelassen entgegen, weshalb auch diese neuerlichen Rückschläge niemanden dazu veranlassen sollten, diese Franchise gänzlich abzuschreiben. Auch wenn 2020 wohl doch nur ein Übergangsjahr werden dürfte.