Gegenüber dem Mirror machte Kevin-Prince Boateng einst klar, was in seinen eineinhalb Jahren bei Tottenham Hotspur falsch lief: "Ich spielte kaum und hatte morgens keinen Antrieb, zu trainieren. Ich war gefangen in einer Lethargie. Nachtclubs und Partys waren wichtiger als Fußball", sagte er der englischen Zeitung im Jahr 2010, als er gerade beim FC Portsmouth spielte.

Dort hatte er sich in der Premier League durchgesetzt, wurde ghanaischer Nationalspieler. Sein erstes England-Engagement, jenes bei Tottenham, verkam allerdings zum Albtraum.

"Ich ging mit 20 zu den Spurs und kassierte gleich einen mächtigen Dämpfer", blickte Boateng zurück, der im Sommer 2007 für knapp acht Millionen Euro von Hertha BSC nach London gewechselt war. "Nach einer starken Vorbereitung sagte mir Martin Jol (damaliger Tottenham-Trainer, d. Red.), dass ich zwar ein guter Typ sei und ja unter Vertrag stehe, er mich aber überhaupt nicht haben wolle."

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Kevin-Prince Boateng: "Ich war ganz alleine in dieser riesigen Stadt"

Das muss gesessen haben. Noch dazu, da er eigentlich gar nicht nach England wollte, wie er später verriet: "Ich hätte Spanien bevorzugt, aber bei Hertha rieten mir die Leute, nach England zu gehen." Der FC Sevilla war damals auch an ihm dran, sagte Boateng 2019 im Interview mit SPOX und DAZN .

Doch es wurde Tottenham - und es wurde bitter. "Ich war ganz alleine in dieser riesigen Stadt London, es war deprimierend", erklärte er. Er kam in den ersten Wochen überhaupt nicht zum Zug, durfte erst am 12. Spieltag der Saison 2007/08 erstmals in der Premier League ran. Mitte der Spielzeit hatte er eine ordentliche Phase, doch von Anfang März bis Saisonende ging dann wieder gar nichts mehr.

Boateng setzte falsche Prioritäten, wie er selbst zugibt. "Es war mir wichtig, die coolsten Klamotten zu tragen und in den Nachtclubs bekannt zu sein. Ich war komplett auf der schiefen Bahn." Die mangelnde Spielzeit frustrierte ihn immer mehr, ebenso wie ihn das süße Leben mit den finanziellen Möglichkeiten eines Fußballprofis überforderte.

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Kevin-Prince Boateng kaufte sich drei Autos an einem Tag

"Einmal kaufte ich mir innerhalb eines Tages drei Autos", erzählt der mittlerweile 33-jährige Mittelfeldspieler. Einen Lamborghini, einen Hummer und einen Cadillac Oldtimer legte sich Boateng zu, "für eine hohe sechsstellige Summe. Ich habe auch noch 2000 Baseball-Caps aus dieser Zeit, 20 Lederjacken und 160 Paar Schuhe. Meine Frustration äußerte sich in massiven Anfällen von Shopping-Sucht."

Weil er vor Ort niemanden hatte, mit dem er hätte reden können, der ihn hätte bremsen können, kam Boateng aus jener Spirale nach unten nicht mehr heraus. "Ich hätte jemanden gebraucht, der mich in sportlichen und finanziellen Dingen berät, der mich aufweckt. Aber da war niemand", sagt er. Manchmal habe er "Unsummen von Geld" für eine Feiernacht ausgegeben. "Aber das machte mich nicht glücklich. Ich war ein gebrochener Mann, der in seiner eigenen Welt lebte."

Hatte er in seiner ersten Saison bei den Spurs immerhin noch 13 Premier-League-Einsätze verbucht, kam er in der Hinrunde seiner zweiten Spielzeit nur zu läppischen 14 Minuten Einsatzzeit. Er zog die Notbremse, ließ sich Anfang 2009 an Borussia Dortmund verleihen. Und dort, beim BVB, bekommt er die Kurve, hat in Jürgen Klopp den Förderer, der ihm bei Tottenham immer gefehlt hat. "Er weiß ganz genau, was er sagen muss, damit du auf den Platz gehst und für ihn sterben würdest. Das hat er allen anderen voraus", sagte Boateng bei SPOX und DAZN über den heutigen Liverpool-Coach. "Für Klopp würde ich sogar nach China wechseln."

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Kevin-Prince Boateng lernte aus Tottenham-Zeit: "Ein Jahr lang nur Scheiße gebaut, aber ..."

Im Sommer 2009 musste er zunächst zurück zu Tottenham, ging dann aber zu Portsmouth und kam über Genua 2010 nach der erfolgreichen WM mit Ghana zum AC Mailand, spielte dort mit Zlatan Ibrahimovic, Ronaldinho, Andrea Pirlo oder Robinho. Er wurde italienischer Meister, lief später noch für Schalke, Frankfurt, Barcelona, Florenz oder Besiktas auf.

Boateng hat eine tolle Karriere hingelegt. Eine, zu der für ihn aber auch die dunkle Zeit damals bei Tottenham dazu gehört. "Wäre ich nicht zu Tottenham gegangen, wäre ich nicht der Spieler, der ich heute bin", betont er. "Ich habe dort ein Jahr lang nur Scheiße gebaut, aber rückblickend hat es mir geholfen. Ich habe gelernt, was es heißt, Fußballprofi zu sein und wie man sich richtig ernährt. Ich habe realisiert, dass man auch mal zuhause bleiben sollte, wenn alle anderen nachts um die Häuser ziehen."