Februar 2003, so lange muss es wohl schon her sein, seit er das letzte Mal ein Wort mit George Karl gewechselt hat, überlegte Ray Allen im Dezember des vergangenen Jahres in einem Interview mit dem Milwaukee Journal Sentinel . Fast 17 Jahre herrschte damit schon Eiszeit zwischen dem zweifachen Champion und seinem ehemaligen Head Coach.

Viereinhalb Jahre lang gab Karl dem heute 45-Jährigen Anweisungen von der Seitenlinie, gemeinsam feierten sie in der Anfangsphase der späteren Hall-of-Fame-Karriere Allens erste große Erfolge. Natürlich sind Coach und Star-Spieler in den seltensten Fällen beste Freunde. Das genaue Gegenteil erwartet man nach einer jahrelangen Symbiose aber auch nicht unbedingt.

Und doch: "Ich habe nicht das Bedürfnis, irgendwas zu ihm zu sagen", so Allen im Dezember 2019. "Es war klar, dass er mich nicht mochte. Er hat das getan, was er tun musste, um weiterzumachen. Ich kann meine Zeit oder meine Energie nicht mit Leuten verschwenden, die mich nicht mögen."

Das genaue Datum, wann Allen und Karl zum wohl letzten Mal miteinander gesprochen haben, lässt sich gut eingrenzen. Es dürfte ein Donnerstag gewesen sein, der 20. Februar 2003. Trade Deadline Day. Damals schockten die Bucks die NBA-Welt mit einem Blockbuster-Deal, der den damaligen Franchise-Star und Publikumsliebling Ray Allen zu den Seattle SuperSonics verschiffte.

Für die Fans in Milwaukee brach eine Welt zusammen. Noch Jahre später sollten sie auf diesen Trade als einen der schlechtesten und meistgehassten der Franchise-Geschichte zurückblicken.

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Ray Allen und die Bucks: Ein Spiel von den Finals entfernt

Knapp sieben Jahre zuvor stieß Walter Ray Allen als Nr.5-Pick des Drafts 1996, einem der besten Jahrgänge aller Zeiten, zu den Bucks. Es dauerte nicht lange, bis sich der Shooting Guard einen festen Platz in den Herzen der Bewohner Wisconsins erspielt hatte. Einerseits aufgrund seines Engagements in der Community von Milwaukee, andererseits dank seiner Auftritte auf dem Parkett.

Ist Allen heute vor allem für seinen nahezu perfekten Jumper wie aus einem Guss sowie natürlich "He Got Game" berühmt, attackierte der hervorragende Athlet in seinen frühen Jahren auch äußerst gerne und spektakulär den Korb. So viel Spaß wie mit Allen hatten die Bucks-Fans seit Mitte der 80er Jahre, als Sidney Moncrief sein Unwesen trieb, nicht mehr.

1998 übernahm Karl an der Seitenlinie, dazu komplettierten die Bucks im Laufe der Saison ihre "Big Three" mit Sam Cassell. Mit Allen, Cassell und dem früheren Nr.1-Pick Glenn Robinson sowie Karls offensiver Spielweise kam schließlich der Erfolg nach Milwaukee. Und nicht zuletzt Allens stetige Entwicklung machte die Bucks zu einem Spitzenteam.

In der Spielzeit 1999/2000 knackte der Scharfschütze erstmals die 20-Punkte-Marke über die komplette Saison und wurde in sein erstes von zehn All-Star Teams gewählt. Ein Jahr später führte er sein Team mit starken Leistungen bis in Spiel 7 der Conference Finals gegen die Philadelphia 76ers. Dort war nach 44 Punkten von Allen Iverson zwar Schluss, Allen hatte mit 27,1 Zählern über die Serie dennoch seine Duftmarke hinterlassen.

Trade Deadline 2003: Der Fan-Liebling muss gehen

Doch auch die knapp verpassten Finals, es wären die ersten seit den glorreichen Zeiten von Kareem Abdul-Jabbar und Oscar Robertson gewesen, konnten in den Folgejahren nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hinter den Kulissen rumorte. 2001/02 verpassten die Bucks die Postseason, im Sommer musste Robinson gehen.

Gut ein halbes Jahr später, im Februar 2003, standen die Bucks bei einer mageren Bilanz von 27 Siegen zu 26 Niederlagen auf dem siebten Rang im Osten, als General Manager Ernie Grunfeld und Coach Karl die eigenen Fans schockten und Allen seine Koffer packen musste.

Gemeinsam mit Ronald Murray, Kevin Ollie und einem 2003er Erstrundenpick (der sich später als Luke Ridnour herausstellen sollte) wurde der kurz vor seiner Blütezeit stehende, 27 Jahre alte Fan-Liebling und Leading-Scorer der Bucks für einen 34-jährigen Gary Payton und Desmond Mason in den Westen verschifft. In erster Linie aufgrund von Animositäten zwischen Karl und Allen.

Ray Allen: Schädlicher Perfektionismus

"Das lustige daran ist, ich hatte nie eine Konfrontation mit George", erinnerte sich Allen später. "Wir hatten nie Streit. Es hieß immer nur: 'George mag dich nicht'. Ich habe es immer von anderen Leuten gehört." Oder aber in der Presse gelesen, wo Coach Karl seine persönlichen Probleme mit dem Guard nicht verheimlichte.

"Ich nenne ihn Barbie-Puppe, denn er will immer nur hübsch sein", lautete zum Beispiel Ende 2000 ein Zitat von Karl in der Sports Illustrated . "Er ist ein großartiger Spieler, aber er kümmert sich zu viel um seinen Style, darum, Highlight-Plays zu machen und cool zu sein. Beim Basketball geht es aber nicht darum, cool zu sein. Es ist ein hartes, schwieriges Spiel und um zu gewinnen, musst du gemein sein, ein Assassine. Und das ist Ray nicht."

Ein einfacher Charakter ist Allen sicherlich ebenfalls nicht. Sein Erfolg rührt auch von seinem fast schon krankhaften Perfektionismus her. Seine immergleichen Routinen werden getrieben von einer Zwangsstörung.

"Ray ist ein Perfektionist und außerdem eine sehr selbstbewusste Person. Und das kann in gewisser Weise schädlich sein, wenn er versucht, sich in ein Team einzufügen", sagte Karl 2011 gegenüber Jackie MacMullan von ESPN . "Seine Detailversessenheit war gelegentlich unvereinbar mit seinen Teamkollegen."

Die Karrierestatistiken von Ray Allen

Team Saisons G / MIN Punkte Rebounds Assists FG% 3FG% Bucks 7 490 / 36,3 19,6 4,6 3,8 45,0 40,6 Sonics 5 296 / 39,4 24,6 4,6 4,2 44,0 38,6 Celtics 5 358 / 35,7 16,7 3,4 2,7 47,2 40,9 Heat 2 152 / 26,1 10,3 2,8 1,8 44,6 39,8 Gesamt 18 1300 / 35,6 18,9 4,1 3,4 45,2 40,0

Ray Allen über Coach George Karl: "Unsinniges Zeug"

Allen wiederum meinte, Karl habe ihn einfach nicht gemocht. "Es schien immer eine gewisse Angst zwischen George und mir zu geben", sagte der spätere Hall of Famer ebenfalls bei ESPN . "Keine Feindseligkeiten, sondern Angst. Es war fast so, als wäre ich der eine Typ, der ihm im Weg steht."

"Jedes Mal, wenn ihn jemand etwas über mich gefragt hat, kamen Misstöne dabei heraus. So wie 'Barbie und Ken', weil ich Anzüge zu den Spielen trug", erinnerte sich Allen. "Das war wirklich unsinniges Zeug."

Später, kurz nach dem Trade, legte der heute 69-jährige Karl - ein Coach der alten Schule, der auch bei anderen Stationen in seiner Karriere gerne mal mit Spielern aneinander geriet - ein weiteres Mal nach. Mit Allen habe es immer nur "Schwierigkeiten" gegeben, "wir hatten keine andere Wahl, als ihn loszuwerden."

Letzteres sahen zahlreiche Fans damals ganz anders. Doch das Management entschied sich für den Coach, der das Team mit seinem Offensiv-System zum Erfolg geführt hatte, und gegen den Spieler, der dieses System nahezu perfekt auf dem Court umgesetzt hatte.

Ray Allen feiert Championships, Bucks-Coach Karl muss gehen

Die Bestrafung folgte schon wenige Monate später. Während Allen in Seattle weitere individuelle Erfolge feierte, später in Boston und Miami zwei Championships in seiner Vita notierte und sich zum besten Dreierschützen der Geschichte aufschwang, ging es für die Bucks, Karl und GM Grunfeld, der sich später auch in Washington nicht nur mit Ruhm bekleckerte, bergab.

Die Bucks lotsten im Trade-Paket für Allen Payton nach Milwaukee, den Karl bereits in Seattle gecoacht hatte, 1996 scheiterten sie erst in den Finals an Michael Jordan und den Chicago Bulls. Karl wollte Payton unbedingt, doch die Begeisterung von The Glove für die Stadt Milwaukee hielt sich in Grenzen.

Ganze 28 Partien absolvierte der Defensiv-Spezialist, bevor er im Sommer 2003 das Weite suchte und als Free Agent bei den Los Angeles Lakers unterschrieb. Mason, ein vielversprechender, athletischer Flügel konnte die in ihn gesetzten Hoffnungen in Milwaukee nie erfüllen. Nach zweieinhalb Jahren gaben die Bucks ihn wieder ab.

Und Karl? Der musste bereits nach dem enttäuschenden Ende der Saison 2002/03, also wenige Monate nach dem Allen-Trade, seinen Hut nehmen, genau wie GM Grunfeld. Anschließend starteten die Bucks einen Neuaufbau, bis 2019 gewann Milwaukee keine Playoff-Serie mehr, siebenmal war bereits in Runde eins Schluss. Das änderte sich erst mit Giannis Antetokounmpo.

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Ehemaliger Bucks-Besitzer bedauert Trade von Ray Allen

Entsprechend steht für viele Bucks-Fans der Allen-Trade zu den Sonics auf einer Stufe mit dem Kareem-Trade, bei dem die Franchise ein ähnlich unbeeindruckendes Paket als Gegenwert erhielt. Der feine Unterschied: Die Center-Legende wollte weg , Allen wäre gerne noch weitere Jahre geblieben.

"Er und George Karl haben sich in die Haare gekriegt und es hat einfach nicht geklappt, deshalb haben wir ihn getradet", erinnerte sich der ehemalige Bucks-Eigentümer Herb Kohl im Milwaukee Journal Sentinel 2016 mit Bedauern. "Ich habe den Trade nicht gemacht, aber ich habe es geschehen lassen. Ray Allen ziehen zu lassen, war unser unglücklichster Moment."

Allen selbst ist sich rückblickend sicher, dass die Bucks die Chance auf eine Championship gehabt hätten, wäre das Team intakt geblieben. "Ja, stattdessen wurden wird aufgrund von Georges und meiner Beziehung auseinander gerissen", sagte der Guard. "Das ist einfach unglücklich. Ich hatte das Gefühl, dass ich von ihm immer einen mitbekommen habe. Es gab immer etwas, was er nicht an mir gemocht hat. Ich konnte für diesen Typen nichts richtig machen."

Kein Wunder, dass die beiden seit 17 Jahren nicht mehr miteinander sprechen.