Thiagos Sinneswandel beim FC Bayern

Bei Thiagos erstem und bisher einzigem Wechsel im Sommer 2013 war es einfach. Sein fußballerischer Mentor Pep Guardiola war damals in Folge einer einjährigen Auszeit zum FC Bayern München gewechselt und sprach dort nach seiner Ankunft den vielzitierten Satz, der eigentlich gar kein Satz ist: "Thiago oder nix!"

Für Thiago stellte sich im Umkehrschluss lediglich die Frage: "FC Bayern oder nix." Nix wäre in diesem Fall die einzige andere denkbare Option gewesen: Ein Verbleib bei seinem Jugendklub FC Barcelona. Letztlich wechselte er dank einer Ausstiegsklausel für 25 Millionen Euro zum FC Bayern und gewann dort in sieben Jahren sieben Meistertitel und vier DFB-Pokale.

Als es vor einigen Tagen noch sechs Meistertitel und drei DFB-Pokale waren, deutete einiges darauf hin, dass es in den kommenden Jahren noch mehr werden könnten. Thiago stand kurz vor einer Verlängerung seines 2021 auslaufenden Vertrags. "Es schien alles fix. Hasan (Salihamidzic, Anm. d. Red.) hat die Gespräche mit seinem Berater geführt. Wir hatten den Eindruck, dass alle Konditionen so weit in Ordnung waren", erzählte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge bei Sport1 .

Doch dann folgte ein weiterer Meistertitel und auf einmal scheint Thiago doch genug zu haben. Er zögerte, er unterschrieb den ausgehandelten Vertrag doch nicht und er gewann noch einen weiteren DFB-Pokal. "Nun setzt er sich offensichtlich damit auseinander, nochmal etwas Neues zu machen", erklärte Rummenigge.

Thiago ist 29 Jahre alt. Will er sich noch bei einem anderen Top-Klub probieren, dann muss er es jetzt probieren. Sollte er trotz der Liebesbekundungen von Trainer Hansi Flick nicht verlängern, wird er den Klub laut Rummenigge in diesem Sommer gegen eine Ablöse verlassen und nicht im kommenden Sommer gratis. Die Arbeitgeber-Auswahl ist aber nicht so einfach wie damals im Sommer 2013. Was sind seine Optionen?

Thiagos Optionen in der Premier League

Eine generell sicherlich nicht ganz so uninteressante Option wäre es, sich dem wohl besten Klub der vergangenen zwei Jahre anzuschließen und das ist der FC Liverpool. Laut spanischen Medien besteht Interesse, laut englischen nicht und Rummenigge sagt: "Mit Liverpool haben wir noch keinen Kontakt gehabt." Wirklich Sinn machen würde ein Liverpool-Transfer für Thiago kaum.

Einerseits hat Liverpool mit Fabinho, Georginio Wijnaldum, Naby Keita, Jordan Henderson, Alex Oxlade-Chamberlain und James Milner sowie dem einen oder anderen Talent aktuell reichlich Fußballer, die die drei Mittelfeld-Positionen im meist praktizierten 4-3-3-System besetzen können. Andererseits steht Thiago für eine andere Spielweise als das aktuelle Liverpool: Guardiolas dominanter Pass-Fußball passt besser zu ihm als Jürgen Klopps dynamischer Power-Fußball.

Und damit zu Guardiola, der rund eine Autostunde östlich in Manchester arbeitet und natürlich wie in Barcelona und München auch dort dominanten Pass-Fußball spielen lässt. Guardiola kann nie genügend Mittelfeldspieler haben, am liebsten würde er elf Vertretern dieser Spezies in die Startelf beordern.

Hinzu kommt, dass City im Mittelfeld ohnehin eher Bedarf hat als Liverpool, weil mit David Silva der jahrelange Regisseur den Klub in diesem Sommer verlassen wird. Glaubt man aber Guardiola, soll ihn das 20-jährige Eigengewächs Phil Foden ersetzen. "Als David verkündet hat, dass es sein letztes Jahr ist, habe ich den Verantwortlichen gesagt, dass wir Phil haben. Also müssen wir nicht investieren", erklärte er vor einiger Zeit.

Gegen City spricht aus Thiagos Sicht aber vor allem der drohende zweijährige Champions-League-Ausschluss. Der Klub hat Einspruch eingelegt, eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Dass Thiago auf regelmäßige Einsätze (und eine realistische Aussicht auf den Titelgewinn) in der Champions League verzichtet, ist kaum vorstellbar.

Und deswegen sind die in dieser Saison strauchelnden Premier-League-Top-Klubs FC Arsenal, Tottenham Hotspur und Manchester United wohl keine realistischen Ziele. Der FC Chelsea, der sechste Vertreter der großen Sechs, setzt unter Trainer Frank Lampard unterdessen auf eine Verjüngungs- und Beschleunigungskur und schielt wohl eher auf einen Kai Havertz als auf einen Thiago.

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Thiagos Optionen in der Primera Division

Zu Barcelona würde Thiago natürlich bestens passen, dort wurde er schließlich ausgebildet. Aber gibt es aktuell auch Bedarf für eine Heimkehr? Obwohl die Vorstellung durchaus Charme hätte und Thiago neulich davon gesprochen hat, irgendwann nach Katalonien zurückkehren zu wollen: aktuell eher nicht.

Mit Sergio Busquets und Frenkie De Jong stehen zwei berühmte Mittelfeldspieler im Kader und werden es noch länger tun. Mit Ivan Rakitic und Arturo Vidal zwei weitere, deren Zukunft jedoch unklar ist. Außerdem hat Barcelona mit Miralem Pjanic von Juventus Turin in diesem Sommer noch einen weiteren berühmten Mittelfeldspieler verpflichtet und Philippe Coutinho wird wohl oder übel bald auch wieder auftauchen.

Bleiben die beiden Top-Klubs aus Madrid, die für einen in Katalonien sozialisierten Fußballer schon allein deshalb eigentlich nicht in Frage kommen sollten, weil sie aus Madrid kommen. Das Atletico von Trainer Diego Simeone würde auch fußballerisch kaum passen, Real dagegen schon eher.

Das seit Jahren identische Mittelfeld bestehend aus Luka Modric, Toni Kroos und Casemiro könnte tatsächlich mal einen neuen Impuls vertragen. Ob der immer so friedfertig wirkende Thiago sich die wohl unausweichlichen Anfeindungen aber antun möchte, erscheint jedoch fraglich.

Thiagos Optionen in der Serie A

Genau wie zum FC Barcelona wäre auch ein Wechsel nach Italien für Thiago eine Heimkehr, wurde er doch im April 1991 in San Pietro Vernotico geboren. Einem kleinen Städtchen am Schuhabsatz Apulien, irgendwo zwischen Brindisi und Lecce, wo Thiagos Vater Mazinho damals spielte. Zieht es auch den Sohn in die Serie A?

Will Thiago in der kommenden Saison in der Champions League spielen, kommt wegen der bereits so gut wie sicher vergebenen vier Startplätze eigentlich nur ein Serie-A-Klub ernsthaft in Frage: Inter Mailand. Atalanta Bergamo und Lazio Rom werden sich Thiago kaum leisten können, Juventus Turin hat wegen der immensen Kadergröße wohl keine Plätze im Mannschaftsbus mehr frei.

Unter Trainer Antonio Conte, der durchaus lustigerweise in Lecce geboren wurde und zum Zeitpunkt von Thiagos Geburt mit dessen Vater zusammenspielte, entwickelte sich das in den vergangenen Jahren dahindarbende Inter zu einem Titelkandidaten.

Untermauert wurde dieser Anspruch auch auf dem Transfermarkt: Mit Romelu Lukaku, Christian Eriksen, Alexis Sanchez und Diego Godin verstärkte sich der Klub schon in der vergangenen Saison prominent, zur neuen kommt der europaweit umworbene Achraf Hakimi. Ein Stratege fürs zentrale Mittelfeld wie Thiago würde Inter noch guttun: Dort spielten zuletzt nämlich Spieler, die sich Roberto Gagliardini, Borja Valero oder Nicolo Barella nennen.

Thiagos Optionen in der Ligue 1

Wenn Frankreich, dann natürlich nur Paris Saint-Germain - und dort könnte Thiago das Niveau im zentralen Mittelfeld tatsächlich bedeutend heben. Neben dem gesetzten Marco Verratti probierte Trainer Thomas Tuchel schon Etliches: Meist Idrissa Gueye, manchmal den gelernten Innenverteidiger Marquinhos, manchmal Leandro Paredes und manchmal Ander Herrera, wenn er mal zufälligerweise nicht verletzt ist.

Spielphilosophisch würde Thiago perfekt zu Tuchels PSG passen. Als dieser noch Borussia Dortmund trainierte, traf er sich der Legende nach das eine oder andere Mal mit Thiagos Mentor Guardiola zum Essen sowie zum Salz- und Pfefferstreuer über den Tisch taktieren. Ein Thiago als Würzung des PSG-Kaders ist durchaus vorstellbar und wäre für den schwerreichen Klub auch finanziell problemlos machbar.