Es war im November 2018, in einer Zeit, als es in Fußballstadien noch geöffnete Mixed Zones und beim FC Bayern noch einen Präsidenten namens Uli Hoeneß gab. Hoeneß jedenfalls kam damals nach einem 5:1-Sieg in der Champions League gegen Benfica Lissabon in die Mixed Zone der Allianz Arena und statt selbst etwas zu sagen, sagte er nur: "Heute wird Hasan zu Ihnen sprechen." Und dann sprach Hasan eben. Was genau, blieb aber weniger in Erinnerung als die Ankündigung an sich.
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Es war in einer Zeit, als vor allem Hoeneß aber auch sein Co-Alphatier Karl-Heinz Rummenigge händeringend versuchten, das angeschlagene öffentliche Standing ihres Sportdirektors Hasan Salihamidzic zu verbessern - während sie es nebenher selbst torpedierten.
Womöglich am exemplarischsten bei der schon längst legendären Pressebeschimpfungskonferenz einige Wochen zuvor, als Hoeneß und Rummenigge Salihamidzic zwar auf dem Podium sitzen und ganz ernst schauen ließen, ihm als es wirklich wichtig wurde, aber das Wort entzogen. Es schien stets so, als wären die jahrelangen Alphatiere etwas unschlüssig: Einerseits wollten sie Salihamidzic vollends vertrauen, aber irgendwie waren sie sich auch nicht sicher, ob sie das tatsächlich wollten.
Womöglich geht die gerade abgelaufene Kalenderwoche 27 in diesem Jahr 2020 als Wendepunkt in die Geschichte ein, als endgültiger Durchbruch Salihamidzics in seiner Rolle als Verantwortungsträger des FC Bayern. In dieser für ihn goldenen Woche verkündete er nicht nur die Transfers seiner beiden Wunschspieler Tanguy Kouassi und Leroy Sane, sondern wurde zum 1. Juli auch vom Sportdirektor zum Sportvorstand befördert. Es war die Erfüllung seines großen Ziels seit seinem Amtsantritt im Sommer 2017.
Kompromisslösung Salihamidzic und das Glas Wasser
Ein Jahr zuvor hatte der bisherige Sportvorstand Matthias Sammer den Klub verlassen, woraufhin sich die beiden Alphatiere nicht auf einen Nachfolger einigen konnten. Hoeneß wollte dem Vernehmen nach Borussia Mönchengladbachs Manager Max Eberl, Rummenigge Philipp Lahm.
Als vermeintliche Kompromisslösung kam Salihamidzic, der anders als Sammer nur zum Sportdirektor ernannt und bei seiner Vorstellung ob seiner Positivität mit einem Glas Wasser verglichen wurde. "Wenn ich Hasan mit einem Objekt beschreiben müsste, dann wäre es ein zur Hälfte gefülltes Glas", sagte Rummenigge. "Bei vielen wäre es halbleer, bei ihm immer halbvoll." In der breiten öffentlichen Wahrnehmung wurde Salihamidzics Arbeit seitdem jedoch eher halbleer als halbvoll gesehen und das hatte Gründe.
Salihamidzics Flirts, Selbsteinschätzungen und Ansprachen
Da war beispielsweise der verzweifelte Flirt mit seinem erklärten Wunschspieler Callum Hudson-Odoi, in den er sich sogar "verliebt" habe, der jedoch letztlich beim FC Chelsea verlängerte.
Da waren erstaunliche Selbsteinschätzungen wie im Dezember 2018: "In meiner bisherigen Arbeit habe ich wahrscheinlich mehr bewegt als meine Vorgänger in ihrer gesamten Amtszeit beim FC Bayern." Wobei mit Christian Nerlinger (2009 bis 2012) die einzige Referenzgröße tatsächlich gescheitert war. Zuvor regierte Hoeneß, danach Sammer in der Rolle als Sportvorstand.
Und da waren auch skurrile Ansprachen wie nach der Beinahe-Blamage im DFB-Pokal gegen den VfL Bochum im vergangenen Oktober: "Ich bin da, aber einfach nur, um da zu sein."
Bald darauf trennte sich der Klub von Trainer Niko Kovac, einem langjährigen Freund und Verbündeten von Salihamidzic. Der nächste große Tiefpunkt - und seitdem der letzte. Seitdem geht es für Salihamidzic bergauf, seitdem wird er zunehmend mit positiven Nachrichten in Verbindung gebracht.
Salihamidzics Einflüsse auf die Transferpolitik
Alphonso Davies, der auf Salihamidzics Betreiben im Januar 2019 zum FC Bayern wechselte, erkämpfte sich einen Stammplatz und avancierte innerhalb kürzester Zeit zu einem der besten und konstantesten Linksverteidiger Europas. Auf der gegenüberliegenden Seite überzeugte Benjamin Pavard, an dessen Verpflichtung Salihamidzic ebenfalls einen großen Anteil hatte, die wegen der bestehenden Ausstiegsklausel aber auch recht einfach zu realisieren war. Davies und Pavard verfügen über die beiden Attribute, die Salihamidzic bei Neuzugängen am wichtigsten sind: Jung und flexibel einsetzbar.
In den vergangenen Monaten gewann Salihamidzic auch bei seiner persönlichen Öffentlichkeitsarbeit an Profil. Etwa, als er Trainer Hansi Flick für dessen Forderung von zwei Winterneuzugängen rügte ("Ich bin kein Freund von medialer Kaderplanung.") und ihm mit Alvaro Odriozola nur einen besorgte. Der Kader war in der Tat dünn, Salihamidzic pokerte also hoch, darf sich nach dem souveränen Gewinn des Meistertitels in seinem Vorgehen aber bestätigt fühlen.
Rummenigge lobt Salihamidzic für Sane-Transfer
Auch in Sachen Königstransfer für diesen Sommer setzte sich Salihamidzic durch: Er gilt seit jeher als Fan von Sane, während Flick dem Vernehmen nach eher eine Verpflichtung von Timo Werner anstrebte. Glaubt man Rummenigge, hatte Salihamidzic einen großen Anteil an der Realisierung des komplizierten Sane-Transfers. "Ich möchte Hasan Salihamidzic für die erfolgreiche Umsetzung des Transfers ein großes Kompliment aussprechen", erwähnte er explizit.
Die Verpflichtung von Sane war zwei Tage nach der des 18-jährigen flexiblen Defensivspielers Tanguy Kouassi der zweite Teil der Einlösung von Salihamidzics Transferversprechen vom April ("Wir wollen uns mit einem Toptalent aus Europa verstärken und auch einen internationalen Star nach München bringen.") und außerdem der krönende Abschluss seiner goldenen Kalenderwoche 27 im Jahr 2020. Das halbleere Glas füllt sich langsam.