Für welche der beteiligten Parteien bietet der Transfer ein Risiko? Und für welche nicht? Eine Analyse aus drei Perspektiven.
Der Hakimi-Transfer: Die Perspektive von Real Madrid
Der spanische Rekordmeister ist in der Corona-Krise zwar nicht auf so viel Geld angewiesen wie der Erzrivale aus Barcelona, muss sich aus drei Gründen aber auch mit Spielerverkäufen auseinandersetzen:
- Der Kader ist überfüllt: Mit allen Leihspielern stehen aktuell über 35 Akteure bei den Königlichen unter Vertrag - und damit auch auf der Gehaltsliste.
- Reals Präsident Florentino Perez (73) arbeitet auf einen Transfer von Kylian Mbappe (21) hin. In ein bis zwei Jahren soll der Superstar von Paris Saint-Germain kommen - eine kostspielige Angelegenheit.
- Der seit Frühjahr laufende Umbau des Estadio Santiago Bernabeu kostet mehr als eine halbe Milliarde Euro. Auch wenn der Klub dafür Langzeitkredite aufnahm - Einnahmen sind in dieser wirtschaftlich unklaren Situation auch bei einer der größten Fußballmarken der Welt gern gesehen.
Kein Wunder also, dass Reals Trainer Zinedine Zidane (48) am Dienstag über Hakimis Abgang sagte: "Wir müssen bei der ganzen Sache auch den finanziellen Aspekt berücksichtigen." Sportlich betrachtet lässt sich über die Causa Hakimi schon eher streiten. Für einige Madridistas hat der Verkauf des in Madrid geborenen Marokkaners einen emotionalen Wert, weil dieser aufgrund seiner Fähigkeiten und seines Werdegangs dafür prädestiniert war, in die Fußstapfen erfolgreicher Eigengewächse zu treten. Außerdem hat er in Dortmund eine starke Entwicklung genommen. Zwölf Tore und 17 Vorlagen in 73 Einsätzen sprechen gerade für seine Qualitäten in der Offensive.
Allerdings wäre Hakimi womöglich vorerst nicht an Stammrechtsverteidiger Dani Carvajal (28) vorbeigekommen. Zidane konnte ihm keine klare Perspektive aufzeigen, weshalb ein Verbleib als Backup für ihn nicht in Frage kam. Es heißt sogar, Zidane habe Hakimi ein persönliches Gespräch verweigert, sondern ihm ausrichten lassen, dass Carvajal weiterhin gesetzt sei. Ein Risiko, denn sollte sich der Dauerbrenner einmal verletzen, steht dem französischen Trainer außer Sergio Lopez (21) aus der zweiten Mannschaft keine positionsgetreue Alternative zur Verfügung, es sei denn Alvaro Odriozola (24) bleibt nach seiner Rückkehr aus München bei Real.
Theoretisch wären die Innenverteidiger Nacho Fernandez (30) und Eder Militao (22), Linksverteidiger Ferland Mendy (25) oder Rechtsaußen Lucas Vazquez (29) noch auf der Carvajal-Position einsetzbar. "Das sind alles keine Rechtsverteidiger. Ich sehe deshalb nicht nur mittel- bis langfristig eine Baustelle auf dieser Position - erst recht bei dem Anspruch von Real, in allen drei Wettbewerben so lange wie möglich mitzuspielen", sagt der in Madrid arbeitende Journalist Miguel Gutierrez im Gespräch mit SPOX und Goal .
Berichten zufolge soll sich der 13-malige Champions-League-Sieger immerhin ein Matching Right bei Hakimi gesichert haben. Heißt: Sollte Inter den Spieler in den nächsten vier Jahren verkaufen wollen und ein Angebot eines anderen Klubs erhalten, bietet sich den Blancos die Möglichkeit, dieses Angebot zu egalisieren und Hakimi zurückzukaufen. Stand heute ist Real aber der sportliche Verlierer dieses Transfers.
Der Hakimi-Transfer: Die Perspektive von Inter Mailand
2019 ins Leben gerufen, nimmt das Projekt mit Star-Coach Antonio Conte (50) bei den Nerazzurri Schritt für Schritt Formen an. Nach den Verpflichtungen von gestandenen internationalen Stars wie Romelu Lukaku (27) oder Christian Eriksen (28) ist der Transfer von Hakimi, einem der spannendsten Außenverteidiger-Talente Europas, als weiteres klares Zeichen an die Konkurrenz zu verstehen: Das nach dem Triple-Sieg 2010 jahrelang krisengeplagte Inter will zurück an die Spitze der Serie A und auch in der Champions League wieder für Furore sorgen.
Möglich machen es vor allem die finanziellen Zuschüsse der chinesischen Investorengruppe Lionrock Capital, die vor eineinhalb Jahren 31 Prozent der Anteile des Klubs erwarb. Die Mailänder, so heißt es, konnten Hakimi daher nicht nur mit sportlichen Argumenten überzeugen, sondern ihm auch ein Gehalt offerieren, das Real ihm auch aufgrund der Corona-Krise noch nicht bieten wollte.
Hakimis Berater Alejandro Camano stellte seinen Klienten in den vergangenen Monaten nicht grundlos bei jeder Gelegenheit ins Schaufenster. Der 21-Jährige sei neben Trent Alexander-Arnold vom FC Liverpool "der mit Abstand beste Rechtsverteidiger in Europa" und "bei vielen Vereinen auf dem Zettel", meinte Camano. Es machten auch Gerüchte die Runde, wonach der FC Bayern im Hakimi-Poker mitmische und an die 60 Millionen Euro für ihn biete. Nach Informationen von SPOX und Goal war das Interesse des deutschen Rekordmeisters jedoch nie konkret. Der Verdacht liegt nahe, dass der Name FC Bayern vonseiten Camanos benutzt wurde, um sich eine bessere Verhandlungsposition zu verschaffen.
Inter erfüllte letztlich die wirtschaftlichen Wünsche des Spielers und stemmte mit 40 Millionen Euro eine Ablöse, die auch in Zeiten von Corona nicht als übertrieben oder riskant einzustufen ist. Das macht die Nerazzurri zum großen Gewinner eines vor allem sportlich reizvollen Deals. Es besteht kein Zweifel daran, dass Hakimi die Qualität im Kader von Conte deutlich anhebt.
Gerade über rechts kommt mit Antonio Candreva (33) und Victor Moses (29) zu wenig. Hakimi passt mit seiner Schnelligkeit und seinem Offensivdrang wie maßgeschneidert ins 3-5-2 von Conte, das dem 3-4-3 von BVB-Trainer Lucien Favre ähnelt. Kann der vom FC Barcelona umworbene Top-Torjäger Lautaro Martinez (22) noch ein Jahr gehalten werden, dürfte das aktuell drittplatzierte Inter im Kampf um den Scudetto 2021 mehr als nur ein Wörtchen mitreden.
Der Hakimi-Transfer: Die Perspektive von Achraf Hakimi
Hakimis Wechsel nach Mailand mag angesichts der Gerüchte um namhaftere Interessenten ein wenig überraschend kommen, ist aber zweifelsfrei kein Rückschritt im Vergleich zu Dortmund, wo er nur einen Titel (den Supercup) gewann.
Neben dem Faktor Gehalt (angeblich soll er pro Jahr fünf Millionen Euro netto in Mailand verdienen) sind auch zwei sportliche Kernargumente für Hakimi erfüllt: Er kann mit Inter um Titel mitspielen - vermutlich sogar eher als in Deutschland, wo ein gewisser Klub aus München der Konkurrenz enteilt ist - und hat auf Anhieb die Aussicht auf regelmäßige Spielpraxis. Unter Taktikfuchs Conte kann Hakimi vor allem sein Defensivverhalten verbessern, das beim BVB oftmals ausbaufähig war.
"Für Hakimi ergibt der Schritt durchaus Sinn", sagt auch Spanien-Experte Gutierrez. "Inter ist nicht Real, ein Spieler von seiner Qualität möchte aber nicht die B-Lösung sein. Erst recht nicht, wenn er einen Trainer hat, der ihm nicht das Vertrauen entgegenbringt, das er mit 21 benötigt. Conte hat sich im Gegensatz zu Zidane offensichtlich stark um ihn bemüht und ist dafür bekannt, junge Spieler besser zu machen. Außerdem ist Mailand nicht die schlechteste Adresse zum Leben."
Achraf Hakimi im Steckbrief
Geboren 4. November 1998 in Madrid Körpergröße 1,81 Meter Gewicht 73 Kilogramm Starker Fuß Rechts Position Außenverteidigung